Zum 100. Geburtstag von Elisabeth Schwarzkopf
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Ihre zarten, überirdisch schönen Pianotöne, ihr unverkennbares Timbre und ihre subtilen farblichen Schattierungen waren ihr Markenzeichen. Insbesondere mit ihren Mozart- und Straussinterpretationen setzte Elisabeth Schwarzkopf hohe Maßstäbe.
Heute, am 9. Dezember, feiert die Musikwelt den 100. Geburtstag der Jahrhundertsängerin.
Da trifft es sich gut, dass erst kürzlich ein Dokument zum Vorschein gekommen ist, dass ein anderes Licht auf die unrühmliche politische Vergangenheit der Sopranistin wirft - ihre Mitgliedschaft in der NSDAP. Schwarzkopf selbst hatte sich dazu widersprüchlich geäußert, Biografen und Publizisten unterstellten ihr zeit ihres Lebens rücksichtslosen Karrierismus.
Der vier Seiten lange Brief an einen Doktor Rathenau, vermutlich ein entfernter Verwandter des 1922 ermordeten Reichsaußenministers Walther Rathenau, entkräftet solche harschen Vorwürfe. Ich fand ihn kürzlich im Nachlass des 2012 verstorbenen Tonmeisters Johann-Nikolaus Matthes als Teil einer Materialsammlung, die als Vorlage zu den Memoiren der Sängerin dienen sollte. Matthes sollte Schwarzkopf bei diesem Projekt unterstützen, aber dazu kam es nicht mehr.
Verfasst hat dieses Schreiben der Vater der Sängerin, Friedrich Schwarzkopf. Er war nachweislich als Sozialdemokrat ein Feind der Nationalsozialisten. Weil er sich geweigert hatte, in seiner Schule in Cottbus ein Parteifest für die braunen Machthaber auszurichten, wurde er 1933 „durch ein Telegramm des Regierenden Präsidenten fristlos aus seiner Stellung als Gymnasialdirektor entlassen“. Nach ihrem Abitur wurde auch Elisabeth diskriminiert: „Die Zulassung zur Universität wurde ihr auf dem Reifezeugnis ausdrücklich versagt –die Tochter des politisch Verdächtigen ehemaligen Direktors durfte nicht an die Universität“. Glücklicherweise war sie darauf nicht angewiesen, „bezog stattdessen mit Freude die Hochschule für Musik in Berlin“.
Aufgrund besonderer Leistungen erhielt die junge Sängerin 1938 ihr erstes Engagement am Deutschen Opernhaus in Berlin-Charlottenburg, dort debütierte sie als zweites Blumenmädchen im „Parsifal“. Aber fortan wuchs der politische Druck auf die junge Sängerin, wurde ihr unzählige Male „mit der Ungnade des Ministers Goebbels gedroht“.
In der wichtigsten Passage geht es um die näheren Umstände zum Parteibeitritt. Bei der Entnazifizierung habe seine Tochter, „trotz dem auf sie verübten Druck so nobel wie sie das von Hause aus war“ und „ohne Furcht vor den unbekannten Größen, denen sie ausgeliefert war“, verschwiegen, „dass der Vater es war, der, bedroht von der Hetzjagd, in der sich seit 33 die Familie befand- sie gebeten hatte: ‚Gib dem ewigen Drängen und der Androhung von Repressalien gegen uns nach und melde Dich zum Eintritt in die Partei! Dann werden wir weiter sehn.’“
Als gehorsame Tochter folgte Elisabeth den Weisungen ihres Vaters. Der wusste wohl sehr gut, dass ihre Laufbahn beendet gewesen wäre, wenn sie 1941 die Mitgliedschaft verweigert hätte. Die junge Sopranistin war mit 25 Jahren international noch zu wenig bekannt, um als Emigrantin im Ausland Fuß zu fassen.
Das Jahr 1942 hätte vielleicht unter einem besseren Stern gestanden, wenn die junge Sängerin nicht zu allem Übel noch an Tuberkulose erkrankt wäre. Für ein halbes Jahr musste sie in die Tatra. Nach ihrer Genesung wechselte sie in der Spielzeit 1943/44 an die Wiener Staatsoper, der Dirigent Karl Böhm hatte sich dort sehr um sie bemüht. Laut den Zeilen von Friedrich Schwarzkopf ließen die Nationalsozialisten die Sängerin aber noch immer nicht in Ruhe. Im Mai 44 zitierte Goebbels sie zu einer Berliner Kommission unter dem Vorsitz von Rainer Schlösser. Friedrich Schwarzkopf begleitete seine Tochter zu dieser Verhandlung, da „ sie völlig verängstigt war“. Was wohl hinter den Türen geschah, berichtet er nicht, aber seinen Ausführungen nach zu schließen, muss Elisabeth abermals massiv unter Druck gesetzt worden sein, stürzte sie doch am Ende „ schreiend aus dem Saal“ und fiel ihrem Vater, „von tödlicher Angst erfüllt, in die Arme“. Goebbels wollte sie offenbar mit Gewalt nach Berlin zurückholen.
Am Ende blieb Elisabeth Schwarzkopf aber in Wien. Nicht wohl zuletzt, weil das Deutsche Opernhaus schon ausgebombt war und das Konzertleben in Berlin mehr und mehr brach lag.
Abschließend erklärt Vater Friedrich, warum er sich nicht schon viel früher zu Wort meldete. Er hatte seine Tochter und seine Frau im Frühjahr 1945 aus den Augen verloren und fand sie erst nach langem Suchen im August 45 wieder. Da aber „hatte das Kesseltreiben gegen Elisabeth“ schon begonnen, ohne dass er eingreifen konnte, als Reichsdeutsche mussten die Eltern Österreich umgehend wieder verlassen: „Niemals bin ich selbst zu der Angelegenheit vernommen worden, obwohl ich noch 1948 in Salzburg persönlich darauf gedrungen hatte.“