Mit Verdis “Giovanna D’Arco” Saisoneröffnung an der Mailänder Scala

 

Kirsten Liese

 

Mailand (Weltexpresso) - Der Vorhang hat sich kaum gehoben, da dominiert schon Giovanna alias Anna Netrebko die Bühne, sie wird sie bis zur letzten Note nicht mehr verlassen. Mit einer durchaus schlüssigen Dramaturgie haben Moshe Leiser und Patrice Caurier ihre Inszenierung von Verdis „Giovanna D’Arco“ an der Mailänder Scala ganz auf die Heldin zugeschnitten.

 

Sie entwickeln das Geschehen aus der Rückblende, in einem Zimmer des 19. Jahrhunderts (Bühne: Christian Fenouillat): Die bettlägerige Johanna wird von politischen, religiösen und amourösen Träumen heimgesucht und erinnert sich an die entscheidenden Stationen ihres Lebens.

 

Giovanna d’Arco“, 1845 in Mailand uraufgeführt, wird an den großen Bühnen noch seltener gespielt als Verdis andere Schiller-Adaptionen „Luisa Miller“ und „I Masnadieri“ (Die Räuber). Sogar an der Scala lag das Frühwerk 150 Jahre lang auf Eis, bis der neue Leiter Alexander Pereira sich dafür stark machte.

 

Die Saisoneröffnungen an der Scala zählen seit jeher zu den wichtigsten kulturellen Ereignissen in Italien, diesmal wurden sie allerdings im Vorfeld von noch größeren Aufregungen und Spannungen begleitet als je zuvor, nachdem Nachrichtendienste in der Oper ein mögliches Terrorziel des sogenannten IS erkannt hatten. Die Scala reagierte angemessen mit hohen Sicherheitsvorkehrungen: Rund 700 Polizisten, darunter auch Scharfschützen, waren rund um den abgesperrten Vorplatz im Einsatz, im Foyer musste sich jeder Einzelne wie auf Flughäfen von einem Detektor abtasten lassen. Zum Glück ließen sich die Italiener davon die Stimmung nicht vermiesen, denn zu entdecken galt es wahrlich ein Kleinod.

 

Gewiss, das Libretto kann seitens der Figurenpsychologie nicht ganz mit „La Traviata“, „Aida“, „Othello“ oder „Rigoletto“ mithalten. Zwar orientiert sich Temistocle Solera an Friedrich Schillers Trauerspiel „Die Jungfrau von Orléans“, dies aber in groben Zügen. Auf viele Figuren hat er verzichtet, einige Konstellationen neu erfunden. Die starke Verknappung macht vor allem Giovannas Vater Giacomo, der seine Tochter erst anklagt, mit dem Teufel im Bunde zu sein und sie schließlich reuevoll aus dem Gefängnis befreit, zu einer Figur, dessen rigorose Sinneswandel etwas zu plötzlich erscheinen.

 

Musikalisch aber wurde „Giovanna d’Arco“ glatt unterschätzt. Mögen sich in den Arien auch keine Ohrwürmer aufdrängen, so offenbaren sich doch die Schönheiten der Partitur im Subtilen, vor allem zwischen den dramatischen Szenen, wenn es ganz kammermusikalisch wird. Das fängt schon in der Ouvertüre an: Nach wenigen Takten musizieren die Holzbläser filigrane, lyrische Melodien. Besonders aufhorchen lässt eine Arie des Königs mit Solo-Cello, Flöte und Oboen, und natürlich finden sich auch im Part der Giovanna wunderbare lyrische Stellen.

 

Leiser und Caurier bebildern das Drama um die französische Nationalheldin, die bisweilen auch ihre mittelalterliche Rüstung anlegen darf (Kostüme: Agostino Cavalca), opulent und fantasievoll. Imposant erhebt sich im dritten Akt die Kathedrale von Reims aus der hinteren Kulisse, bizarre diabolische Gestalten setzen Johanna zu, dazu gibt es Videobilder mit infernalischen Flammen, zarten körperlichen Berührungen und kriegerischen Aktionen, und hier und da ist auch Religionskitsch im Spiel. Allerdings bleibt es bei solchen vordergründigen, illustrativen Schauwerten (Bühne und Ausstattung: Christian Fenouillat).

 

Da hilft es auch nichts, dass die Regisseure den Chor oftmals hinter der Bühne singen lassen, so dass eine kammerspielartige Konzentration auf die drei Hauptfiguren, Giovanna, den König Carlos und Giovannas Vater Giacomo gelingt. Die Personenführung bleibt weite Strecken statisch. Ein wenig ist das dem Umstand geschuldet, dass die Baritonpartie des Giacomo in letzter Minute umbesetzt werden musste. Für den erkrankten Carlos Alvarez sprang Devid Cecconi ein, der, auch stimmlich ein wenig steif, mit der szenischen Gestaltung seiner Figur noch zu wenig vertraut war.

 

Die übrige Besetzung hatte dagegen den elfminütigen Beifall mit Rosenregen redlich verdient: Anna Netrebko ließ ihren Sopran gewohnt schön in allen Farben und dynamischen Facetten herrlich über dem Orchester leuchten. Francesco Meli erwies sich als ein ebenbürtiger Partner, sang seinen König Carlo, eine Fantasiefigur ganz in Gold, mit einem in heutigen Zeiten selten balsamischen Belcanto und großer Strahlkraft. Ein Jonas Kaufmann könnte das nicht besser!