„ALL THE TIME IN THE WORLD"? - DEEP PURPLE – 2015, Teil 1
Wolfgang Mielke
(Weltexpresso) Hamburg. - Am 26.4. 2013 erschien das jüngste Deep Purple Studio – Album NOW WHAT?! - und wurde sogleich ein großer Verkaufserfolg. Es war dem Deep Purple – Gründer und genialen Organisten Jon Lord gewidmet, der am 16.7.2012 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb.
Ich interviewte nicht nur den Deep Purple–Bassisten Roger Glover ausführlich am Tag der Veröffentlichung von NOW WHAT?!, sondern veröffentlichte noch im selben Jahr die Deep Purple–Historie www.perinique.de WHEN THE DEEP PURPLE FALLS in Berlin. - Das Album erreichte in Deutschland #1.
Im Sommer 2013 spielten Deep Purple live in Wacken. Das war eine frische, beeindruckende Schau. Ein üppiges reifes Konzert. Das Konzert ist inzwischen unter dem Titel "From the setting sun" als CD und DVD erschienen – und das stimmt: Es war ein herrlicher fast südländischer Sommerabend; desgleichen ihr Konzert in Tokyo unter dem entsprechenden Titel "To the rising sun".
Am 26.8.2014 sah ich im Berliner Admiralspalast den Deep Purple–Mitgründer, aber Ende 1993 zu neuen musikalischen Ufern aufgebrochenen Wundergitarristen Ritchie Blackmore mit seiner jungen Truppe Blackmore's Night. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre spielt Blackmore an die Renaissance angelehnte Musik. Aber er zitiert in jedem Konzert noch einmal seine Vergangenheit, beschwört, könnte man sagen, die alten Götter. Und: Sie lassen sich beschwören. Von Alterung keine Spur!
Am Ende warten zahlreiche Fans am Bühnenausgang auf Ritchie Blackmore. Es dauert Ewigkeiten. Ab und zu verläßt jemand das Theater oder sieht jemand aus der Bühnentür heraus auf die mittlere Gruppe wartender Fans. Und noch immer dauert es. Da, plötzlich, öffnet sich im 1. Stock ein zum Ausgang gelegenes Fenster. Unverkennbar erscheint Ritchie Blackmore oben im Gegenlicht, wirft einen raschen, abschätzenden Blick auf die Menge – und schließt das Fenster wieder. Viele stehen da, mit Schallplatten oder CDs in der Hand, die sie sich so gerne signieren lassen würden. Es dauert noch immer. Manche werden ungeduldig und verlassen den zweifelhaften Ort. Die Mehrheit aber bleibt hoffnungsvoll und harrt aus. -
Aber vergeblich! Es dauert nicht mehr lange, da sieht man Blackmore mit seiner jungen Frau und seinen beiden etwa 4-6 Jahre alten Kindern rasch in ein bereits wartendes Auto steigen – von einer entfernt liegenden Ausgangstür aus! Also umsonst gewartet!, "Blackmore-Style" kommentiert ein Konzertbesucher aus Skandinavien ohne Groll, eher nachsichtig und vielleicht sogar letzten Endes froh, dass sich Blackmore auch mit Ende 60 Jahren nach wie vor treu geblieben ist.
Am 14.4.2015 wird Ritchie Blackmore 70 Jahre alt. Sogar die FAZ berichtet darüber.- Am 29.4.2015 erscheint von David Coverdale, dem erstaunlichen Deep Purple – Sänger, der Ian Gillan 1973 ersetzte und später seine eigene Band "Whitesnake" gründete, die CD THE PURPLE ALBUM, auf der er alte Deep Purple – Stücke aus seiner Zeit von 1973 – 1976 noch einmal neu aufgenommen hat. Im Beiheft ist zu lesen, dass er dieses Projekt ursprünglich mit Ritchie Blackmore durchführen wollte. Am 19.8.2015 wird Ian Gillan, der wichtigste Sänger von Deep Purple 70 Jahre alt; und ebenfalls auch wieder in der FAZ gewürdigt. Am 22.10.2015 erreicht mich die Pressemeldung, dass Ritchie Blackmore im Juni 2016 mit einer wieder neu zusammengestellten Band "Rainbow" auf mehreren großen Pop-Festivals auftreten wird. Es ist offensichtlich, dass das ursprünglich mit David Coverdale angedachte 'Purple Album' hier Pate gestanden hat.
So scheint eine Art Torschluss-Panik um sich gegriffen zu haben. Man besinnt sich auf die erfolgreichste Zeit seines Lebens und läßt sie noch einmal für sich wirken. Deep Purple – seit 1994 ohne Ritchie Blackmore, seit 2002 ohne Jon Lord – haben sich dennoch bedeutend am Leben erhalten. Steve Morse übernahm den verwaisten Platz an der Gitarre; und Don Airey, der bereits einmal in Ritchie Blackmores Band Rainbow gespielt hatte, spielt jetzt bei Deep Purple die Tasten-Instrumente. Fünf Studio-Alben kamen dabei heraus: PURPENDICULAR (1996); ABANDON (1998): BANANAS (2003); RAPTURE OF THE DEEP (2005); NOW WHAT?! - und etliche Live-Mitschnitte.
Deep Purple jetzt, 2015, zu sehen, war ein besonderer Eindruck; ein erschütternder Eindruck für eine Woche lang. Da ich dann aber sah, sie werden auch 2016 wieder durch Deutschland touren, tröstet man sich mit einer Art Ausrutscher. Ausrutscher aber wovon? Was war geschehen? Das ist sehr leicht zu beschreiben: Deep Purple wirkte jetzt im November 2015 wie eine zusammengeschossene Truppe. Die hochgedrehte Lautstärke konnte daran nichts ändern. Sie machte die Diskrepanz vielleicht sogar besonders deutlich. Sowohl Ian Gillan wie auch Roger Glover, die 1969 als Duo bei Deep Purple einstiegen und sowohl den Sänger wie auch den Bass-Gitaristen der ersten Formation ersetzten (und weit mehr als das, nämlich erst "Deep Purple", wie es seither zum Begriff geworden ist, mitgeschaffen haben!), wirkten sonderbar angeschlagen.
Ian Gillan ist seit langem ein Problem insofern, als seine einzigartige melodisch-kantige metallische Stimme die hohen Sprünge und Gipfel seiner ersten Jahre bei Deep Purple nicht mehr bewältigen kann. Das war schon bei der Deep Purple – Wiedervereinigung von 1984 unüberhörbar. Warum mußte er überhaupt versuchen, noch seine in den 1970er Jahren ebenso gekonnte wie unerreichte Einlage, in der er, vor allem in "Strange Kind of Woman", mit seiner Gesangsstimme die Gitarre von Blackmore perfekt imitierte (und umgekehrt), wieder aufzuwärmen. Es gelang schon 1984/85 nicht mehr. Es war eher peinlich. Heute ist es nur noch erschreckend und traurig, das mit ansehen zu müssen. Oft wirkt es, als sei er ein an der Sing-Anforderung Erstickender geworden. Das ist erschreckend mit anzusehen. Es ist absurd: Auch von einem Trapezkünstler erwarte ich doch nicht, dass er seine Höhenflüge aus der strahlenden Jugend noch mit 60 oder jetzt 70 Jahren ebenso vollführen kann. Das ist körperlich unmöglich. Das ist hier vor allem eben stimmlich unmöglich. Fortsetzung folgt