ALL THE TIME IN THE WORLD"? - DEEP PURPLE – 2015, Teil 2

 

Wolfgang Mielke

 

(Weltexpresso) Hamburg. - Inzwischen rettet sich Ian Gillan, statt Gesang zu bieten, da hinein, umständlich einen Witz zu erzählen. Das erinnerte mich an den deutschen Schauspieler Will Quadflieg: Der war auch ein Götterjüngling. Aber seine letzte Rolle auf der Bühne war der Gerüchte-Schwätzer Ferapont aus Tschechows "Drei Schwestern". Im November sah es so aus, als würde Ian Gillan auch dort landen.

 

Dabei ist seine Stimme, sobald sie sich in dem Bereich bewegen darf, der ihm noch zur Verfügung steht, anhörbar wie eh und je. Trotz angeblicher oder auch meinetwegen angeblicher elektronischer Stimmverstärker etc. Warum sich also verausgaben und als unfähig präsentieren durch die alten Salto Mortales, wenn doch auch genügend neues Material vorliegt? Und nicht nur auf NOW WHAT?! - Hier gefiel mir besonders "Hell to Pay", während "Uncommon Man" in Wacken überzeugender klang. (Dort entfaltete sich "Hell to Pay" noch nicht so ganz.)

 

Die Abfolge der Stücke war, wenn ich es richtig behalten habe: Highway Star / Blood Sucker (oder Blud Sucker?) / Hard Lovin' Man / Strange Kind of Woman / Steve Morse Solo (eine Paraphrase auf Contact Lost) / Uncommon Man / Vincent Price / The Mule / Hell to Pay / Lazy / Demon's Eye / Solo von Don Airey, danach Perfect Strangers / Space Truck'n' / Smoke on the Water / Hush / Black Night. Während Ian Gillan also ein traurig fast Erstickender geworden ist, schien Roger Glover auch nur geschwächt mit dabei zu sein. Der einzige der alten Mannschaft, der noch mit Kraft und ungebrochen dabei war, war Ian Paice, der Schlagzeuger von Deep Purple und übrigens der einzige der Band, der alle Besetzung begleitet hat. Ian Paice ist das einzige konstante Mitglied der Gruppe.

 

Daher war "The Mule" die große Überraschung des Abends. Hier gelingt auch endlich (!) der Kontakt mit dem Publikum. Ian Paice ist drei Jahre jünger als Blackmore, Gillan und Glover, war sieben Jahre jünger als Jon Lord; aber dann auch nur drei Jahre älter als David Coverdale und vier Jahre älter als Glenn Hughes. Ian Paice ist jetzt derjenige, der die Band zusammenhielt, zusammenhält. Denn sie scheint sehr deutlich in zwei Lager aufgespalten: Auf der einen Seite Roger Glover, Ian Gillan und Ian Paice; auf der anderen Seite Don Airey und Steve Morse. Der Grund für diese Aufspaltung sind keine künstlerischen Differenzen. Nein, der Grund liegt jetzt einzig darin, dass sowohl Gillan als auch Glover wie angeschossen wirken – durch die Zahl 70.

 

Ist sie erst verkraftet, werden sie wahrscheinlich an Kraft wieder zulegen und die Kluft, die sich jetzt zu den nachgerückten beiden jüngeren Kollegen gebildet hat, wird sich wieder auflösen. Wer weiß, wie Ritchie Blackmore, inzwischen ja der älteste Ex-Purple, der aber natürlich unvergessen ist, schon allein deswegen, weil er das wesentliche Material der Band geschrieben hat, in diesem, im nächsten Jahr wirkt? Die 68er waren die Jugend der industrialisierten Welt. Sie jetzt altern zu sehen, scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Vielleicht ist es deswegen so betrüblich. Es sinkt damit ja auch die Zeit vor einem selber weg, in Richtung Grab, und damit altert man selbst ebenfalls nach. Das ist ja kein Grund zur Begeisterung.

 

Was ist noch berichtenswert von diesem, für mich denkwürdigen Konzert? Dass mir die alten Stücke durchweg besser gefielen als die Klassiker, die zwischen 1969/70 und 1972/73 entstanden. Bis auf den Anfang. Das ist in Ordnung, eine Grundlage zu legen für das dann Kommende, das ja dieser grundlegenden Zeit auch erst nachgefolgt ist. Als "Hard Lovin' Man" angespielt wurde, hielt ich es zuerst für "Flight of the Rat", einen meiner Favoriten, und war froh, meinen Wunsch hier jetzt erfüllt zu sehen. Nach einigen Takten bemerkt man seinen Irrtum, bei dem vielleicht nur der Wunsch der Vater des Eindrucks war, natürlich.

 

Warum nicht "Flight of the Rat" spielen – und das kurze Schlagzeugsolo am Ende nutzen als Beginn eines ganzen Schlagzeugsolos? Das kann dann sehr gerne enden mit "The Mule"; vergleichbar wurde es ja in der Mark III – Besetzung mit "You Fool No-one" und "The Mule" als Endstück auch gemacht …

 

Lazy wurde nicht sofort vom Publikum erkannt. Das mag auch an dem mangelnden Kontakt zwischen Bühne und Publikum gelegen haben. Gillan und Glover waren eben angeschossen von der ersten wirklichen Alters-Jahreszahl. Nach "Lazy", also einem Stück der LP MACHINE HEAD "Demon's Eye" zu spielen, war nicht unproblematisch, weil "Demon's Eye", eines der originären, erstklassigen Stücke von Deep Purple, bereits von der Vorgänger-LP FIREBALL stammt. Von FIREBALL zu MACHINE HEAD gab es aber eine Hinaufbewegung ... Also? "Perfect Strangers" ist das einzige Stück, das an die Zeit der Wiedervereinigung von Deep Purple, Mitte der 1980er Jahre (und damit fünf Jahre schneller als Deutschland), erinnert.

 

"Space Truck'n'" schien mir danach einigermaßen antiquiert zu sein; noch viel stärker aber "Smoke on the Water". Wozu wieder den Bogen zurück in die Blechschachtel biegen, wenn man schon bei den CD's der Zeit ab 1996 mit Steve Morse gekommen war? Hier wären Stücke von PURPENDICULAR, ABANDON, BANANAS und RAPTURE OF THE DEEP viel spannender gewesen. Was auch fehlte, war ein langsames romantisches Stück. "When A Blind Man Cries" hat man vielleicht inzwischen zu oft gehört. Aber wie wäre es denn mit "Haunted" von BANANAS gewesen? Oder mit "Clearly Quite Absurd" oder "Wrong Man" von RAPTURE OF THE DEEP oder auch "Blood on a Stone" von NOW WHAT?!?

 

Das selbe gilt für "Black Night" am Ende des Konzertes; jedes ihrer Konzerte. Allmählich müssen diese uralten Stücke den Musikern doch längst aus den Ohren herauskommen. Sonderbar! Ausgerechnet Ian Gillan, der im Herbst 1972 einen verzweifelten Brief an die Manager schrieb, dass er nicht mehr könne, weil Deep Purple eine unkreative gleichförmige Maschine geworden sei, die an die innovativen Anfangsjahre lange nicht mehr erinnere: Gerade er bestimmt doch den abendlichen Konzertablauf ebenfalls mit. Warum gefällt ihm jetzt oder nimmt er jetzt hin, was ihn in der Hochzeit der Band so auslaugte???

 

So strebt man etwas mißmutig dem Ausgang zu – und hofft auf Genesung.