Guiseppe Verdis LA TRAVIATA an der Berliner Staatsoper
Kirsten Liese
Man mag darüber streiten, welche die beste Violetta aller Zeiten war: Die unvergleichliche Maria Callas, die liebreizende Mirella Freni, die verführerische Anna Moffo oder die in einem legendären Traviata-Film unsterblich gewordene, zerbrechliche Theresa Stratas.
Alle diese Primadonnen besaßen selbstredend die von dieser Partie geforderten stimmlichen Qualitäten und boten - in kostbare, atemberaubende Garderoben gekleidet- einen betörend schönen Anblick.
Wer in solchen Erinnerungen schwelgt, wird von der jüngsten Produktion an der Berliner Staatsoper bitter enttäuscht. Das beginnt schon damit, dass der neue angebliche Superstar Sonya Yoncheva den ganzen Abend weitgehend in einem nüchternen schwarzen Unterrock, angelegentlich auch in einem billig aussehenden, silbrig glitzerndem Kunststofffummel, auf der Bühne steht. Eine Violetta will man sich so nicht vorstellen, zumal die Bulgarin auch keine Grazie, keine Anmut und keine Grandezza ausstrahlt, vielmehr mit ihrem lässigen Auftreten wie eine neureiche, billige Göre anmutet.
Wenn die Sopranistin Yoncheva gleichwohl noch mit zum Besten zählt, was diese Berliner Produktion zu bieten hat, dann zumindest deswegen, weil sie in der Mittellage ein recht schönes Timbre hören lässt und in einigen Pianostellen ihrer Kehle berührende Kopftöne entlockt, die sie in den Spitzen oftmals schmerzlich vermissen lässt. Wird es laut, fängt sie regelrecht an zu schreien, so dass jegliche stimmliche Kultiviertheit auf der Strecke bleibt.
Ich wünschte, ich könnte über die übrigen Protagonisten Besseres berichten. Nur leider haben Daniel Barenboim, der diese verunglückte „Traviata“ am Pult der Berliner Staatskapelle mit etwas zuviel Aplomb leitete, und Noch-Intendant Jürgen Flimm die Partie des Alfredo einem höhenunsicheren Tenor anvertraut, der bei jedem Gesangswettbewerb vermutlich kaum die erste Runde überstanden hätte. Für seine unzureichenden Leistungen musste Abdellah Lasri einige Buhs und harsche Kritiken einstecken. Keine große Ermutigung für einen noch jungen Tenor, dem man gewünscht hätte, von so erfahrenen Kollegen wie Barenboim und Flimm rechtzeitig aus der Schusslinie genommen zu werden. Schon während der Proben hätte Barenboim absehen müssen, dass den Marokkaner seine Rolle überfordert.
Simone Piazzola, der Dritte im Bunde als Alfredos Vater Giorgio Germont, singt zwar seine Partie vergleichsweise – wenn auch mit gelegentlichen Intonationsschwächen - noch solide, aber sein Bariton tönt seltsam flach und ausdruckslos. Hinzu kommt, dass er in einem farblosen Anzug äußerlich recht unscheinbar wirkt, wie man sich überhaupt nicht auswundern kann, dass der Regie führende Altmeister Dieter Dorn sich mit den von Moidele Bickel entworfenen hässlichen, unpassenden Kostümen zufrieden geben konnte. Am unvorteilhaftesten seitens der Ausstattung kommt der von Jan Martinik verkörperte Doktor weg, eine Zirkusfigur wie der Zampanó in Fellinis „La Strada“.
Und Dieter Dorn? Er punktet gegenüber der ebenfalls nicht in bester Erinnerung gebliebenen Vorgängerproduktion von Peter Mussbach in seiner spartanischen Inszenierung mit immerhin einem Hingucker: Er stellt der sterbenden Violetta, aus deren Retrospektive er das Geschehen erzählt, einen Totenkopf zur Seite. Es ist kein gewöhnlicher Totenkopf, er setzt sich aus menschlichen Körpern zusammen. Die acht Mimen, die ihn formieren, lösen sich irgendwann auf, es sind gespenstische unheimliche Gestalten, ganz in Weiß, sozusagen die Todesboten und –begleiter Violettas.
Ein schlüssiger Kunstgriff auch, Violetta eine Sanduhr an die Seite zu stellen. Neben einem gesprungenen Spiegel hängt ein dunkler Sack, aus dem ihre Lebenszeit unaufhörlich rieselt, so dass sich neben einem Tischchen ein heller Berg bildet. Diese Schauwerte lassen ahnen, dass aus dieser Berliner „Traviata“ mehr hätte werden können, wenn einen bessere Besetzung am Start gewesen wäre.
In der insgesamt leider nur mäßigen Produktion sind sie glatt verpufft.