Simon Rattle und Peter Sellars mit „Pelleas und Melisande“ in der Philharmonie Berlin, 16., 17. , 19. und 20. Dezember

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Die Philharmonie hat sich schon mehrfach als ein Raum für semi-szenische Produktionen bewährt, denkt man an den großartigen Wagnerzyklus von Marek Janowski oder auch die von Peter Sellars ritualisierten Aufführungen der Johannespassion und Matthäuspassion.

 

Für Claude Debussys einzig vollendete Oper „Pelléas und Melisande“ erweist sich der Scharoun-Bau, wie jetzt zu erleben, geradezu als ideal, allerdings ist das auch das Verdienst von Peter Sellars, der ihn entsprechend auszuloten versteht.

 

Mit bescheidenen Mitteln besorgt Sellars eine Optik, die all das besitzt, was Debussys Partitur und das Libretto von Maurice Maeterlinck ausmachen: Poesie, Romantik, Mystik, Märchenhaftigkeit. Ein paar an verschiedenen Positionen aufgestellte Leuchtstäbe in Grün, Blau, Rot und Rosa imaginieren stimmungsvoll Schauplätze und Emotionen, den Wald, das Wasser, Liebe und Mitgefühl.

 

Links mittig neben dem Dirigierpult steht ein schwarzes Podest. Auf ihm ereignen sich die Szenen im Wald, am Springbrunnen und in einer Meeresgrotte, zudem fungiert es, von den Musikern umrundet, wie ein Schutzraum für Pelléas und Mélisande und ihre zarte, unausgesprochene Liebe.

 

Besonders poetisch, wenn Mélisande alias Magdalena Kožená liegend ihre blonde Haarpracht von dem Podest herabfallen lässt, und prickelnd spannungsreich, wenn sie und Pelléas alias Christian Gerhaher dicht nebeneinander träumerisch wie in Trance verharren (Foto). Was werden sie gleich tun? Sich umarmen, sich küssen? Oder einfach so weiter sitzen bleiben? Freilich liegt der Reiz dieser Geschichte in einer gewissen Geheimnishaftigkeit, und so bleibt die Beziehung platonisch.

 

Eine bessere Besetzung hätte man nicht finden können. Alle singen ungemein ausdrucksvoll und farbenreich, mit schlanker Stimmführung, dem adäquaten französisch nasalen Klang und bester Textverständlichkeit. Das Spiel wird bestimmt von subtilen Blicken und Gesten und bisweilen auch von der gebotenen Dramatik, wenn etwa der eifersüchtige, von Gerald Finley verkörperte Golaud seinen kleinen Sohn Yniold (ein grandioser Solist des Tölzer Knabenchors) drangsaliert, ihm zu enthüllen, was seine Mutter und sein Onkel Pelléas hinter verschlossenen Türen miteinander treiben.

 

Gerhaher bringt die unterschiedlichen Facetten seines Pelléas wunderbar zum Leuchten, seine anfängliche scheue Zurückhaltung, Dezenz, aber auch die dann und wann aufflammende Leidenschaft, wenn er plötzlich von den Seitenblöcken der Zuschauer wie ein frisch Verliebter ins Parkett saust, seiner Liebsten auf dem Podium entgegen.

 

Für Magdalena Kožená ist die Mélisande vielleicht die Rolle ihres Lebens, bis zum Schluss hält sie ihre Rätselhaftigkeit dieser symbolistischen Figur durch, betört zudem mit goldenen Stimmgaben und feinsten Lyrismen. Dagegen darf Gerald Finley als Einziger, von wachsender Eifersucht überwältigt, häufiger emotional aus sich herausgehen, was ihm bei absoluter Kontrolle seines profunden, kraftvollen Baritons ohne Abstriche im Stimmlichen bestens gelingt. Mit Franz-Josef Selig ist schließlich auch die etwas kleinere Partie des König Arkel, der mit seinem mächtigen Bass vor allem im letzten Akt zum Zuge kommt, trefflich besetzt.

 

Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker lassen die Musik in all ihren Schattierungen zu ihrem Recht kommen, mal düster und dumpf, mal licht, liebreizend und duftig. Die französische impressionistische Musik, keineswegs jedermann Sache, liegt Sir Simon offenbar sehr. Mehr davon.

 

Foto: Magdalena Kožená und Christian Gerhaher Berliner Philharmonie)