Christian Thielemann und die Berliner Philharmoniker in zwei Konzerten

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Januar ist Thielemann-Zeit. Schon seit einigen Jahren kommt der gefragte Dirigent traditionell in diesem Wintermonat für zwei Konzerte mit den Berliner Philharmonikern in die Hauptstadt. Daran hat sich zum Glück nichts geändert, auch wenn das Orchester – leider – nicht ihn, sondern seinen russischen Kollegen Kirill Petrenko zum neuen Chefdirigenten gewählt hat.

 

Wie in den vergangenen Jahren wurden die hohen Erwartungen auch diesmal nicht enttäuscht. Besonders bei dem ausnahmslos französischen Programm am 8., 9. und 10. Januar gab es grandiose Momente.

 

Das stille, sanfte Requiem von Gabriel Fauré hat wohl seit Celibidaches Zeit nicht mehr so stark berührt. Das liegt vor allem daran, dass Thielemann eine wunderbare Ruhe und Gelassenheit an den Tag legt, so dass sich die Musik bis ins kleinste Detail prächtig entfalten kann. Und dass er wie ein Seismograf reagiert, wenn eine so treffliche Sängerin wie die Sopranistin Christiane Karg, eine der derzeit schönsten lyrischen Stimmen überhaupt, ihr himmlisches „Pie Jesu“ singt, mit großem Atem für lange Linien und in vollkommenem Legato. Wenn sie um ewige Ruhe bittet, schwebt ihr leuchtender Sopran im zartesten Pianissimo ins Unendliche. So schön habe ich dieses Solo noch von keiner gehört, noch nicht einmal von Margret Price in der sonst so unübertrefflichen Live-Aufnahme unter Celi.

 

Und irgendwie fällt das in diesem Konzert generell auf: Wie knisternd leise und sensitiv die Berliner spielen, wenn ein so genialer Dirigent mit ihnen arbeitet. Nicht, dass sich Simon Rattle oder andere Gastdirigenten nicht um eine subtile Dynamik bemühten, aber bei Thielemann hat das noch andere Dimensionen. Das war auch deutlich in den zwei Tänzen für Harfe und Orchester von Debussy (Solistin: Marie-Pierre Langlamet) zu hören und in dem „Poème de L’amour und de la mer“ für Mezzosopran und Orchester von Ernest Chausson.

 

In letzterem Stück gibt es unhörbar Anklänge an Richard Wagner, vor allem an dessen „Tristan“. Insofern ist es auch nicht ganz verkehrt, wenn der erste Gesang „La fleur des eaux“ farblich etwas weniger französisch und weitaus deutscher klang. Sophie Koch, die unter Thielemanns Leitung schon mehrfach einen trefflichen Octavian im „Rosenkavalier“ gab, ließ dabei einmal mehr ihre große, schlanke, schöne Stimme strömen. Mit der unvergleichlichen Janet Baker möchte man sie zwar noch nicht vergleichen, aber unter den heutigen gibt es womöglich derzeit keine bessere.

 

Die herrliche Poesie des Dichters Maurice Bouchor kam besonders im dritten Teil des Chausson-Poemes, „La mort de l’amour“, also dem „Tod der Liebe“, zum Ausdruck. Auch hier ließen vor allem wieder die leisen Töne aufhorchen. Die Aufmerksamkeit richtete sich dabei besonders auf den neuen Ersten Solocellisten Bruno Delepelaire, der sein geheimnisvolles elegisches Lamento, das leitmotivisch nach jeder Strophe wiederkehrt, ungemein zärtlich anstimmte.

 

Das zweite Thielemann-Konzert am 14., 15. und 16.Januar gelang nicht ganz so famos. Das lag nicht unerheblich an der Auswahl der Stücke. Das Programm war kleinteilig angelegt und enthielt kein sinfonisches monumentales Meisterwerk, das dramaturgisch einen Höhepunkt hätte setzen können.

 

Besonders enttäuscht hatten mich die „Sieben Fragmente für Orchester in memoriam Robert Schumann“ von Aribert Reimann. Es war zwar sehr hilfreich, dass Thielemann zuvor einzelne Instrumentengruppen das ursprüngliche Thema von Robert Schumann, auf das Reimann sich bezieht, zum besseren Verständnis hat vortragen lassen. Und musiziert wurde auch perfekt. Aber dann hatte man dieses tolle Thema im Ohr und wartete vergeblich auf den Wiedererkennungseffekt. Nur einmal klingt kurz etwas leicht verzerrt von dem Original in dem 14-minütigen Stück wieder.

 

Um hier nicht als Ignorantin der Neuen Musik zu erscheinen: Ich schätze Aribert Reimann sehr, unter den Komponisten der Gegenwart ist er sogar der Größte, was er vor allem mit seinen Opern und seiner Vokalmusik unter Beweis gestellt hat, denkt man nur an seine Literaturopern „Lear“ und „Das Schloss“. Die Schumann-Fragmente klingen dagegen ziemlich beliebig.

 

Wenn es einen Programmpunkt gab, der noch schwächer ausfiel, dann Chopins erstes Klavierkonzert. Hier bestätigte sich leider schon im Eingangssatz, dass der einst für seine Chopin-Interpretationen gerühmte Maurizio Pollini diesem Komponisten technisch nicht mehr gewachsen ist. Skalen verwaschen, Akkorde zersplittern, oft wird es übertrieben pathetisch. Ein ähnlicher Eindruck stellte sich schon bei einem Klavierabend vor einigen Jahren in Luzern ein. Nun wird es mehr zur Gewissheit: Die schmerzliche Zeit für den Altmeister, abzutreten, ist gekommen.

 

Blieb zumindest noch Richard Strauss. Er zählt freilich zu den Komponisten, die Thielemann besonders liegen. Seine größten sinfonischen Werke sind die Tondichtungen. Im ehrenrührigen Bemühen, auch mal seltener Gespieltes zu bringen (was grundsätzlich ja auch nicht falsch ist), gab es stattdessen Zwischenspiele aus der Oper „Intermezzo“. Da kommt Walzerseligkeit auf, da geht es auch mal burlesk zu und zwischendurch kann man sich an der einen oder anderen verträumten Melodie delektieren, aber am Ende ist einem doch klar, warum andere Orchesterstücke wie etwa auch die Rosenkavalierfolge im Konzertleben allgemein beliebter ist.