Widerspricht die Parteinahme für Israel den Grundsätzen des DGB?, Teil 3

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Wie aber sieht es hinsichtlich des Gaza-Streifens mit dem zweiten zentralen DGB-Anliegen aus, „politisch klar Position für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ zu beziehen (Homepage DGB-Kreisverbandes Nördliches Emsland)?

 

Arbeitgeber Israel

 

Sichere Arbeitsplätze wären ein gutes Mittel, um der seelischen und körperlichen Zerstörung ganzer Generationen ein Ende zu setzen und Perspektiven zu formen. Eine von Shoshana Bryen erstellte Statistik, deren Ergebnisse ich im Folgenden referiere, macht deutlich, wer derartige Hoffnungen seit mehr als zwanzig Jahren zerstört.[14]

 

1992 waren es 115.600 Palästinenser, die täglich in Israel arbeiteten. Man geht davon aus, dass deren Einkommen jeweils fünf bis sechs weiteren Familienmitgliedern zu Gute kam.

 

1996 organisierte die Hamas eine Terrorkampagne mit Busattentaten und Nagelbomben im Zentrum Tel Avivs, die mehr als 100 Israelis tötete. In diesem Jahr sank die Zahl der in Israel beschäftigten Palästinenser auf 63.000.

 

Im Zeitraum 1995 – 2002 stieg insgesamt gesehen die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse jedoch an. So arbeiteten 40 Prozent aller beschäftigten Palästinenser im Frühsommer 2000 in Israel: Insgesamt 136.000 Personen. Weitere 5.000 arbeiteten im Erez-Industriegebiet des Gaza-Streifens. Tausende weitere waren in Gaza und der Westbank bei israelischen Firmen angestellt.

 

Am 30. September 2000 startete Jassir Arafat die Zweite Intifada. Palästinensische Terrorkommandos töteten mehr als 1.000 Israelis und verwundeten 5.600. Innerhalb eines halben Jahres halbierte sich die Zahl der palästinensischen Beschäftigten in Israel erneut auf 55.000. Das Erez-Industriegebiet wurde nach der Ermordung von elf Israelis geschlossen.

 

2005 zog sich Israel vom Gaza-Streifen vollständig zurück. Es gab kein Hindernis, nun endlich die Wohlstandssteigerung der Palästinenser an die erste Stelle zu setzen. In einem Akt von großer symbolischer Bedeutung hatten amerikanisch-jüdische Donoren für 14 Millionen Dollar 3.000 funktionierende Treibhäuser von den israelischen Siedlern gekauft und sie an die Palästinensische Autonomiebehörde geschenkt. Diese Aktion wurde von dem damaligen Präsidenten der Weltbank, James Wolfensohn, koordiniert.

 

2006 waren alle Treibhäuser zerstört und die zuvor durch Exporte nach Europa erzielten Erlöse in Höhe von jährlich 100 Mio. Dollar verspielt. Schon im September 2005 hatten Plünderungen der Treibhauseinrichtungen begonnen, denen die Palästinensische Behörde nicht Herr zu werden vermochte.[15]

 

2007 ergriff die Hamas mittels eines kurzen aber brutalen Kriegs gegen die Fatah im Gaza-Streifen die Macht. Nachdem 9.000 Raketen vom Gaza-Streifen nach Israel abgefeuert waren, startete Israel im Winter 2008/09 seine Militäroperation „Gegossenes Blei“.

 

2009 etablierten Ägypten und Israel mit Zustimmung der Vereinten Nationen die Sicherheitsblockade des Gazastreifens. Seither ist zwar die Einfuhr von Waffen sowie die Einfuhr von dual-use –Gütern, die für Angriffe auf Israel genutzt werden könnten, gestoppt sowie der internationale Seeweg gesperrt. Der Transfer von Waren, Medikamenten und Rohstoffen ging aber ebenso wie der Personenverkehr weiter.[16]

 

2013 arbeiteten erneut täglich 100.000 Palästinenser in Israel sowie weitere 20.000 in den israelischen Firmen der Westbank. Und jetzt, nach dem jüngsten Waffengang?

Diese Übersicht zeige, so Shoshana Bryen, „dass palästinensische Armut weder eine Plage noch ein Erdbeben darstellt, sondern untrennbar mit der palästinensischen Regierungspolitik verbunden ist. Die Hamas hält an ihrem offenen Krieg mit demjenigen Land fest, das seine Leute am besten beschäftigen kann – Israel. Dieser Krieg aber hat seine Konsequenzen.“[17]

 

Nun hatte erst kürzlich auch ein Sprecher der Hamas die im Westjordanland vorhanden Autos, Bulldozers und Lastwagen erwähnt. Endlich, nach sieben-jähriger Gaza-Herrschaft, eine Art Arbeitsbeschaffungsprogramm?

 

Und wie! Es lohnt, den Aufruf des Hamas-Sprechers Fawzi Barhoum an die Bevölkerung der Westbank zu zitieren:

 

Habt ihr keine Autos? Habt ihr keine Motorräder? Habt ihr keine Messer? Habt ihr keine Knüppel? Habt ihr keine Bulldozers? Habt ihr keine Lastwagen? Jeder der ein Messer, einen Knüppel, eine Waffe oder ein Auto hat und es immer noch nicht dazu nutzt, eine Juden oder einen Siedler zu überfahren, und der es nicht nutzt, um dutzende Zionisten zu töten, der gehört nicht zu Palästina. Palästina sagt laut und klar: Echte Männer sind die, die das Blut von Gaza rächen. Echte Männer werden nicht schlafen, bevor sie nicht das Blut von Gaza gerächt haben. Und zu unseren Leuten innerhalb der Grünen Linie [innerhalb Israels – MK] sagen wir: „Es ist für euch an der Zeit, eine neue Phase in diesem Kampf auszurufen. Politische und soziale Erwägungen sind wertlos. Blut und Märtyrertum – das sind die einzigen Dinge, die zählen.“[18]

 

Nochmal für die DGB-Verantwortlichen: Soziale Erwägungen sind wertlos; was zählt ist Märtyrertum und Blut.

 

Über die veranschlagte Anzahl künftiger Märtyrer gab letzten Freitag ein unbekannter Geistlicher in der Al-Sousi-Moschee in Gaza aus Auskunft:

 

Wir werden auf unsere Waffen nicht verzichten, selbst wenn die Anzahl der Märtyrer nicht nur die Zweitausend -, sondern die Zweimillionen-Grenze übersteigt“, erklärte er in seiner von Al-Jazeera übertragenen Predigt. „Die palästinensische Nation ist bereit, zwei Millionen Märtyrer für die heiligste und gerechteste Sache auf dieser Erdkugel zu opfern. Wir sind bereit, alle Söhne des palästinensischen Volkes für diese heilige Sache zu opfern.“ Und er fuhr fort: „Allah, zerstöre die Juden. Ob Allah, zerstöre die Juden und diejenigen, die Juden unterstützen und diejenigen die Partei für die Juden ergreifen, mit ihnen kooperieren oder Handel mit ihnen treiben.“[19]

 

Die Sache ist sonnenklar. Wer angesichts derartiger Alternativen den antiisraelischen Affekten folgt, um in Äquidistanz zu verharren, löscht die moralischen Unterscheidungen, auf denen das Konzept von Humanität beruht.

 

Ich weiß nicht, ob ostfriesische DGB-Funktionäre Menschen sind, „die in ihren Überzeugungen gefangen sind, wie Ratten in der Falle“, um erneut Howard Jacobsen zu zitieren, oder ob sie ihren Kopf von der Propaganda befreien können und souverän sind, ihre Politik zu korrigieren.

 

Es wäre ein Tiefschlag gegen alles, was wir mit Gedenkstätten wie der in Esterwegen verbinden, wenn Gina Connemann ausgerechnet hier und ausgerechnet wegen ihrer kritisch-solidarischen Haltung zu Israel nicht sprechen dürfte. Es wäre ein Erfolg der Gehirnwäsche und der Barbarei der Hamas.

 

In Esterwegen entstand das Lied von den „Moorsoldaten“ und einer der Häftlinge, die sich „Moorsoldaten“ nannten, war Carl von Ossietzky. 16 Jahre vor der Gründung Israels schrieb der Friedensnobelpreisträger in einer der letzten Ausgaben der „Weltbühne“ den Aufsatz „Antisemiten“, dessen Anfangsworte zu dem, was wir im Sommer 2014 erleben, passen:

 

Zu den Dingen, von denen die republikanische Linke kaum mehr zu sprechen pflegt, gehört auch der Antisemitismus. Die Presse begnügt sich damit, seine Existenz zuzugestehen, ohne sich über seine Erscheinungsformen näher auszulassen; gelegentlich nur werden einige allzu knotige Exzesse niedriger gehängt. Im Ganzen ist man bereit, wie so vieles andre, auch Israel still zu opfern.“[20]

 

Anmerkungen:

 

[14] Shoshana Bryen, a.a.O. .

[15] Looters strop Gaza greenhouses, auf: http://www.nbcnews.com/id/9331863/ns/world_news-mideast_n_africa/t/looters-strip-gaza-greenhouses/#.U-2_aGN8FI0

[16] The Myth of an Israeli Siege on Gaza, Haifa Diary, 12. August 2014.

[17] Shoshana Bryen, a.a.O. .

[18] The Middle East Media Research Institute (MEMRI), Hamas Spokesman Fawzi Barhoum Calls to Carry Out Terror Attacks in Israel and the West Bank“, Clip No. 4408, 30. Juli 2014.

[19] MEMRI, Friday Sermon among the Ruins of Gaza Mosque: We are Willing to Sacrifice Two Million Martyrs, Clip No. 4411, 8. August 2014.

[20] Carl von Ossietzky, Antisemiten, in: Die Weltbühne Nr. 29, XXVIII. Jahrgang, 19. Juli 1932, S. 88.

 

INFO:

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors aus „Texte von Matthias Küntzel“