Lohnenswerte Dauerausstellung in Drumnadrochit / Schottland
Harald Lutz
Drumnadrochit (Weltexpresso) – Was ist dran an den verbreiteten Legenden um den sagenumwobenen Loch Ness? Gibt es unter der Wasseroberfläche etwa einen prähistorischen Jurassic Park?
Den Fragen rund um das geheimnisvolle Seeungeheuer von Loch Ness geht eine wissenschaftlich fundierte und anschaulich aufbereitete Dauerausstellung des „Loch Ness Project" in Drumnadrochit unweit der kleinen Highland-Metropole Inverness nach. Für den kurzweiligen Rundgang durch sechs verschiedene Themenräume wurde viel Mühe auch auf Sinneserlebnisse der Besucher verwandt.
Gleich zu Beginn hinterfragt die Ausstellung die populäre These, Loch Ness-Ungeheuer seien riesige prähistorische Reptilien. Naturgeschichtlicher Hintergrund: Schottlands 60 Millionen Jahre lange erdgeschichtliche Reise zeigt driftende Kontinente, die das Klima der Erde und damit die evolutionäre Entwicklung veränderten: Amphibien im feuchten Karbon, dann Reptilien, als das Klima trockener wurde. Schließlich folgten in einer sich abkühlenden Welt nach dem Tod der Dinosaurier die Säugetiere.
Die historischen Ursprünge der Seeungeheuer-Legende in den schottischen Highlands
Das 55 Quadratkilometer große und mit 230 Metern außergewöhnlich tiefe Gewässer wurde bis vor zwölftausend Jahren von Gletschern der Eiszeit ausgeschürft und bildet heute Großbritanniens größtes Süßwasserreservoir. Können sich an diesem Ort, der immerhin Platz für die gesamte Menschheit böte, nicht auch ein paar Geheimnisse verbergen?
Die Ursprünge der Nessie-Legende gehen nicht etwa auf das schottische Tourist Office zurück, wie böse Zungen behaupten, sondern auf die Sagenwelt in den schottischen Highlands: Im Jahre 565 verbannte der irische Wandermönch und Missionar von Schottland Columban von Iona der Überlieferung nach ein Wasserwesen aus dem Fluss Ness. Folkloristische Erzählungen von Seedrachen und Wasserpferden hielten Einzug in die Mythologie. In der Moderne wurde erstmals 1933 eine lokale Überlieferung mit kräftiger Unterstützung der britischen Presse zu einer weltweiten Sensation aufgebauscht. Angeblich wurde ein Plesiosaurier-ähnliches Tier dabei beobachtet, wie es eine Straße überquerte. Über die Jahre hinweg hat es tausende weiterer Sichtungen von Seeungeheuern im Loch Ness gegeben. Auch Fotoaufnahmen von Monstern wurden verbreitet.
Von der beliebten Nessie-Jagd zur wissenschaftlichen Erforschung des Gewässers
Heutige Experimente zeigen jedoch, dass die Sinneswahrnehmung über der Wasseroberfläche schwierig ist: Treibendes Holz kann schon einmal mit dem Kopf eines Untieres verwechselt werden. Das Wasser ist voll von irreführenden Illusionen und Spiegelungen. All das könnte möglicherweise zu den ursprünglichen Berichten geführt haben, mutmaßen die Forscher. Einige der sog. Beweisfotos - aber wiederum nicht alle - wurden in den 1960er Jahren als Fälschungen entlarvt. Ab diesem Zeitpunkt wandelte sich die beliebte Nessie-Jagd, die schon fast zum Volkssport avancierte, mehr und mehr zu einer systematischen, wissenschaftlichen Erforschung des Gewässers. In den 1970er Jahren tauchten Unterseeboote in die Tiefen von Loch Ness ab. Dadurch kamen wiederum einige kontroverse Fotoaufnahmen an die Öffentlichkeit, die sich letztendlich aber als Wrackteile auf dem Grund herausstellten.
Alle Lebewesen im mysteriösen See werden als Teil einer Nahrungskette betrachtet
Als Teil einer neuen Philosophie betrachteten Forscher die im See enthaltenen Lebewesen jetzt erstmals als Teil einer Nahrungskette. In den 1980er Jahren begannen intensive Ultraschall-Untersuchungen. Die Schallwellen zeichneten zunächst die nächtliche Wanderung junger Fische an die Wasseroberfläche auf. In der Tiefe allerdings wurden drei mysteriöse Kontakte verzeichnet - auch alles wieder nur Illusion?
Britische Forscher und Wissenschaftler haben alle verfügbaren Daten über Loch Ness systematisch analysiert und ausgewertet. Es stellte sich heraus, dass das Wasser für Reptilien zu kalt ist. Amphibien wiederum waren immer Süßwassertiere und konnten demnach nicht nach der Eiszeit aus dem Meer gekommen sein. Säugetiere wiederum hätte man erkannt, meinen die Experten, da sie zum Atmen an die Oberfläche kommen müssen. Sind wirklich alle dokumentierten Augenzeugenberichte an den Haaren herbeigezogen?
Viele gelüftete Geheimnisse und jede Menge Phantasie drehen sich um Loch Ness
Die Nahrungspyramide jedenfalls macht deutlich, dass es für räuberische Wesen nicht genug Nahrung im See gibt. Wanderfische wie der Lachs allerdings ernähren sich nicht im Süßwasser, da sie nur zum Laichen aus dem Meer kommen. Hat also ein großer wandernder Fisch etwas mit den überlieferten Ungeheuer-Sichtungen zu tun?
Heute bietet der berühmte See mitten im schottischen Hochland den Wissenschaftlern weit mehr Stoff, als den Ursprüngen einer Ungeheuer-Legende nachzugehen. Bedeutende naturgeschichtliche und soziale Ereignisse haben nämlich auf dem Grund des Sees ihre winzigen Spuren hinterlassen: So fanden sich in Bohrproben sowohl Pollen aus den sich ändernden Wäldern und Holzkohlepartikel aus Waldbränden als auch Glassplitter aus den Vulkanen Islands, Kohlepartikel aus saurem Regen und radioaktive Isotope aus Atomtests und dem Reaktorunglück in Tschernobyl. Viele Geheimnisse von Loch Ness wurden über die Jahrzehnte gelüftet, aber vieles liegt nach wie vor im Dunkeln. Was wirklich dran ist an den Seeungeheuern, überlässt die kurzweilige Dauerausstellung in Drumnadrochit letztendlich der Phantasie der Besucher selbst.
Nützliche Links:
www.loch-ness-scotland.com/
www.lochnessproject.org/explore_loch_ness/explore_loch_ness_1.htm
Foto: Harald Lutz
Autoreninfo: Harald Lutz lebt und arbeitet als Fachjournalist und Technikredakteur in Frankfurt am Main.