Serie: Unterwegs auf dem Alemannenweg, Teil 1/4

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - „Setzen Sie sich doch ein Weilchen und genießen Sie die Natur!“ Lass’ ich mir nicht zweimal sagen. Auf der Tafel über diesem Schild wird erläutert, dass die Holzmenge, die für die massive Holzbank, auf der ich Platz genommen habe, benötigt wird, in vierzig Minuten nachwächst, und zwar in dem Wald in der Gemarkung Otzberg.

 

 

Das sind 36 Bänke pro Tag. Leider steht auf der Infotafel nicht, wie viele Bäume zur Gemarkung Otzberg gehören.

 

Unterwegs auf dem Alemannenweg, einem etwa 140 km langen Fernweg, der in Michelstadt im Odenwald beginnt und endet. Natürlich kann man auch an anderen Orten den Rundweg starten. Ich gehe z.B. in Zwingenberg los und bin, als ich die Bank mit der einladenden Aufforderung entdecke, den dritten Tag unterwegs.

Odenwald. Wald, nur Wald? Von wegen! Wald schon, Wald in Hülle und Fülle, Laubwald und Nadelwald in gefälligem Wechsel, aber nicht ausschließlich, sondern Wiesen, Weiden, Felder, also Wald und Flur, was das Wandern auf dem vom deutschen Wanderverband als Qualitätswanderweg „Wanderbares Deutschland“ ausgezeichneten Alemannenweg abwechslungsreich macht.

 

Während der siebentägigen Wanderung geht es, typisch Mittelgebirge, auf und ab. Circa 4300 Höhenmeter sind zu überwinden.

 

Die Anstiege sind dann nicht beschwerlich, wenn der Wanderer dem Grundsatz folgt: „Wer langsam geht, geht länger.“ Zudem versöhnen Ausblicke und Aussichten denjenigen, der ungern ins Schnaufen kommt, für steile Passagen. Doch es gibt ja genügend Wanderer, die Anstiege genießen können. Zu denen gehöre ich. Beim Bergaufgehen den Schritt etwas verlangsamen, auf den Atem achten, ein wenig, wenn es sein muss noch ein wenig mehr das Tempo drosseln. Geht doch!

 

Das Erleben der Natur des Vorderen Odenwaldes ist das eine, die Vielfalt der Schlösser, Burgen, Ruinen das Pendant. Dazu noch einige hübschen Dorfkirchen, alte Kapellen, Bildstöcke, Grenzsteine. Werner Bergengruen, der den Odenwald in „Das Buch Rodenstein“ preist, ist „angerührt von der Natur und der Geschichte als den beiden großen Erscheinungsformen des organischen Lebens“. Recht hat er. Die Kulturdenkmäler, die dem Wanderer auf dem Alemannenweg begegnen, sind in wünschenswerter Ausführlichkeit von dem Odenwaldkenner Rainer Türk in dem informativen Bändchen „Auf dem Alemannenweg“ beschrieben. Ein paar Beispiele seien genannt: Die Einhardsbasilika und der historische Marktplatz in Michelstadt, Burg Reichenberg, Ruine Rodenstein, das Fürstenlagaer bei Auerbach, das Auerbacher und das Alsbacher Schloss, Burgruine Tannenberg, Burg Frankenstein, Schloss Lichtenberg, Veste Otzberg. Oi, da ist ja einiges zusammengekommen.

Wollte man sämtliche Kulturdenkmäler, die einem auf dem Alemannenweg begegnen, hinreichend würdigen, würden die sieben Tage für den Rundweg bei weitem nicht langen.

 

Also: Beschränken, auswählen! Aber das gilt ja generell und ein Leben lang, man vergisst es nur gelegentlich.

 

Was hat mich auf dem Alemannenweg besonders angesprochen? Was von dem, was ich erlebt habe, ist mitteilenswert? Z.B. stoße ich am Waldrand auf die Schutzhütte „Am Galgen“, die im Jahre 1995 vom „Verkehrs- und Verschönerungsverein“ Ober-Kainsbach errichtet wurde. Unterhalb der Hütte blöken ein paar Schafe, für mich der passende Kontrapunkt zu dem, was ich auf den Infotafeln erfahre. An diesen idyllischen Örtchen stand über Jahrhunderte ein Galgen, der das Leben von wer weiß wie vielen Odenwäldern beendete, nach unter Folter erzwungenem Geständnis. Oft für „kleiner Vergehen“. Darüber wüsste ich gern mehr, auch über die Zahl der Hingerichteten. Aber das, was mich interessiert, steht meistens nicht auf diesen Tafeln. Tod am Galgen wegen „kleinerer Vergehen“? Welche zum Beispiel?

 

1623 brach der Galgen zusammen und wurde flugs, das sagen die Quellen, durch einen neuen ersetzt. „Wir wollen unseren Galgen wieder haben!“ Der neue Galgen kostete 14 Gulden. Für das Richtfest wurden 99 Gulden und 7 Albus (Weißpfennige) ausgegeben. Ein Fest! Ein Gelage, stelle ich mir vor, mit üppiger Fresserei und Besäufnis. Wüsste gern was über die Gefühlswelt der Beteiligten. Freude? Unbändige Freude? „Was ein schöner, neuer Galgen!“ „Herrlich!“ „Der hält bestimmt länger als der alte.“ „An den können wir vieleviele hängen.“ „An dem werden wir lange unsere Freude haben.“ Mal sehen, wer als nächstes dran baumeln wird.“

 

Ich entschuldige mich für meine makabre Phantasie. Aber im Ernst, wie war das Rechtsbewusstsein in der Zeit? Tod am Galgen wurde gewiss als gerechtfertigt angesehen. Die „Täter“ hatten ja gestanden. Folter gehörte dazu, wurde nicht generell in Frage gestellt. Verbrechen und Strafe, Schuld und Sühne. Ob die Mitglieder im „Verschönerungsverein“ von Ober-Kainsbach solche Gedanken zulassen?

 

Der Holzgerüstgalgen wurde um 1743 durch einen „dreischläfriges Steinsäulengalgen“ ersetzt. Auf einer historischen Landkarte von 1801 ist der Galgen verzeichnet. Die Gerichtsbarkeit der Zenten wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts aufgehoben, der Galgen 1806 abgebaut. Ende des „Blut- und Malefizgerichts“! Neben den Tafeln zur Geschichte des Galgens hängt eine über „Einheimische Singvögel“. Mir kommen merkwürdige Gedanken zur Geschichte des Galgens und all den Singvögeln, die das tun, was sie können. Fortsetzung folgt.

 

Foto:

Burg Tannenberg: Burg im Odenwald (c) Odenwald Tourismus

 

Info:

 

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