Serie: Unterwegs auf dem Alemannenweg, Teil 2/4

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Ein paar Kilometer weiter notiere ich auf dem „Meditationsweg“ in der Nähe von Michelstadt: „Höchster, allmächtiger guter Herr, Dein ist das Lob, die Herrlichkeit und Ehr und jeglicher Segen. Dir allein gebühren sie, Höchster, und kein Mensch ist würdig, Dich zu nennen.“ Darunter die Telefonnummer des Diakons, der Auskunft zum Meditationsweg erteilt.

 

Auf was man bei solchen Wanderungen alles stößt!

 

In der Nähe von Nonrod komme ich an einer Bank mit folgendem Schild vorbei: „LIEBE - MENSCHLICHKEIT - MITGEFÜHL“. Und unmittelbar daneben: „Erinnert euch!“

Versuche mich zu erinnern. Mir fällt der Galgen ein, dann die Zerstörungen des Weltkriegs. Der Zivilisationsbruch. Das halbe Land zerdeppert. Und hier, im Himmel und der Hölle des Odenwalds Sorgfalt und Pflege zur Bewahrung von Natur und all den Kulturdenkmälern.

 

Wenn schon so viel unnötig kaputt ging, für immer verloren ist, wollen wir wenigstens das, was übrig ist, was wir vorfinden, erhalten. War das mit „Erinnert euch!“ gemeint?

Auf einer Rastplatz mitten im Wald steht ein Auto, im Fenster das Schild: „Wir erneuern für Sie die Markierungen der Wanderwege.“ Wenn ich unterwegs jemand treffe, der gerade Zeichen für den Alemannenweg erneuert, springe ich auf ihn zu, kümmere mich erst mal nicht um sein verdutztes Gesicht, sondern bedanke mich herzlich. Für den Service, der so vielen Wanderern zugute kommt. Ob ich ihm die Hand schüttle? Wichtig, dass ich sage, wie angenehm es ist, einfach so durch den Wald stiefeln zu können, ohne an jeder zweiten Wegegabelung auf die Karte schauen zu müssen.

 

Leider begegne ich niemand, der die Wandersymbole gerade überpinselt. Statt dessen begegne ich unterhalb der Ruine Rodenstein einem Einheimischen, der mir eine Abkürzung zu meiner nächsten Unterkunft (Landhaus Lortz: sehr zu empfehlen!) zeigt. Ich weiche vom markierten Weg ab und treffe kurz danach auf ein Schild „Achtung freilaufender Bulle. Betreten verboten.“

 

Was hätten Sie gemacht? Kein Bulle zu sehen. Noch nicht! Nur in meiner Vorstellung sehe ich ihn, höre sein wütendes Schnauben. Auf der Weide stehen ein paar Obstbäume. Hinter einen davon könnte ich rennen, wenn … Oder liebe den ganzen Weg zurück? Nur Mut, sage ich mir, gehe ein wenig flotter als sonst, drehe mich mehrfach um. In einiger Entfernung ein Bauer auf seinem Traktor. Könnte also rufen, falls … Zwei Möglichkeiten: Zurück oder weiter gehen. Entscheidungshilfe: „Lebe wild und gefährlich.“ (Schnitzler) Wollen doch mal sehen!

 

Grüngrüngrün. Diese vielen Grüns. Die Eskimos sollen mehrere Dutzend Worte für Schnee haben. So viele könnte es doch auch für die vielen Grüns geben, die der beginnende Frühling herbeizaubert. Oder genügt es, die Nuancen zwischen den verschiedenen Grüns einfach nur wahrzunehmen? Und staunen, immer wieder staunen!

 

Einen kleinen Rucksack habe ich dabei, das Notwendigste. Das übrige Gepäck wird von Gasthaus zu Gasthaus transportiert. Organisiert von „Odenwald Tourismus GmbH“. Jeden Morgen warte ich beim Frühstück gespannt, ob ich mir die Brotzeit für die Tageswanderung selbst zusammenstellen soll oder ein fertiges Lunchpaket in die Hand gedrückt bekomme. Was würden Sie bevorzugen? Selber machen oder machen lassen? Sehen Sie, das ist 'ne interessante Frage: Gar nicht so leicht zu beantworten. Was schmeckt, voraussichtlich, besser? Wollen Sie sich lieber überraschen lassen oder gehen Sie auf Nummer sicher? Wie viele Brötchen heute? Welcher Belag? Nicht so wichtig? Von wegen! Denken Sie doch mal an die Frühstücksbrote, die Ihnen die Mutter in die Schule mitgegeben hat. Aha!

 

Allerlei Tiere begegnen einem auf so ’ner Wanderung. Schafe z.B. Schafe, die auf einer Weide herumstehen. Ich habe mich bemüht, sie ohne Vorurteil zu betrachten. Wollte mich von gängigen Klischees nicht beeinflussen lassen. Um es nicht unfreundlich zu sagen, Schafe können offensichtlich einfach nicht so gucken, dass man den Eindruck hätte, die wüssten Bescheid oder hätten, noch bescheidener formuliert, von irgend etwas eine Ahnung. Die glotzen lethargisch aus ihrer pelzigen Wäsche. Die kleine Lämmer dagegen, erzählt mir der Wirt von der Kuralpe, tollen vor lauter Lebenslust herum wie junge Katzen.

Rehe, sofern sie in freier Wildbahn sind, haben es eilig. Es mangelt an der Zeit, sie genauer zu betrachten. Doch es gibt einige Gehege, dann kann man sie in Ruhe mustern. Diese Rehe gucken, so kommt es mir vor, neugierig, sind dabei aber stets auf der Hut. Habachtstellung.

 

Ziegen wirken im Vergleich zu Schafen selbstbewusst, fast stolz. Motto: Mir könnt ihr nichts anhaben. Pferde, die ich im Odenwald gesehen habe, stehen unbeteiligt auf ihren Koppeln rum, wiehern ab und an tadellos. Interessant die Hähne. Schön natürlich, überhaupt mal wieder Hähne krähen zu hören. Und kein bisschen heiser, diese Hähne. Hatte ich anders in Erinnerung. Heiseres Krähen, weil sie es übertreiben, den Schnabel nicht halten können, aufdringlich also. Hier gar nicht. Hier kräht der Hahn noch danach, ohne sich anzustrengen zu müssen.

 

Und die Kühe? Die auf der Weide nicht in Halbtrauer, wie ich es erwartet hatte. Das mag im Norden anders sein. Doch die im Stall, die durch das offen gelassene Tor zu sehen sind, eingepfercht eine Kuh neben der anderen, bieten ein Bild unendlicher Trauer. Was ’n Unterschied zu den auf der Weide stehenden Kühen! Halbwegs frei die einen, die anderen eingesperrt, gelangweilt das vor sie hin geschüttete Heu mampfend. Werde nicht so schnell wieder Kalbsbraten bestellen, nehme ich mir vor.

 

Einem Rotfuchs begegne ich nicht, lese aber bei der Fuchshütte, dass die durch den Fuchs übertragene Tollwut im 19. Jahrhundert die Viehbestände drastisch reduzierte. Auf der Tafel, die darüber informiert, wird der Fuchs aus „Der kleine Prinz“ zitiert: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Na, was heißt das für mich als Wanderer? Bescheidenheit, mein Lieber. Du siehst, was du siehst, aber das Entscheidende siehst du nicht. Das, was ich sehe, genügt mir, sage ich trotzig zu mir, um mir nicht gar so unbedeutend vorzukommen. Fortsetzung folgt.

 

Foto:

Laudenau: Typische Landschaft im Odenwald (c) Odenwald Tourismus

 

Info:

 

Odenwald Tourismus GmbH

 

Marktplatz 1  i

 

64720 Michelstadt

 

Tel. 06061-96597-13

Fax 06061-96597-23