Die Entdeckung eines Tals: Das Ultental in Südtirol, Teil 2/10
Thomas Adamczak
Wiesbaden (Weltexpresso) - Der Berggasthof Helener Pichl ist schon etwas Besonderes, und zwar aus mehreren Gründen: die einzigartige Lage, die bemerkenswerte Entstehungsgeschichte, die beeindruckende Atmosphäre im und um den Gasthof herum. Und diese Atmosphäre wird ganz eindeutig vom Wirt, von Karl Laimer geprägt.
Montags ist eigentlich sein Ruhetag, doch wenn um die Mittagszeit Wanderer eintreffen und fragen, ob sie etwas zu essen bekommen könnten, bereitet er ihnen selbstverständlich etwas zu. Knödeltris, eine Gerstl- oder Knödelsuppe, einen Speck-oder Käseteller oder eine Kaminwurz oder am besten letzteres zusammen auf einem Teller bzw. einem urigen Holzbrett. Kürzlich saß Karl mit einem Hausgast vor dem Haus. Er nimmt sich, sooft es geht, Zeit für Gespräche, mit Hausgästen sowieso, auch mit Tagesgästen. Eine Gruppe Wanderer trifft ein. Montags sei ja wohl Ruhetag? Ja! Ob man dennoch eine Kleinigkeit bestellen könne? Fragende Blicke. Karl schweigt. Wo denn der Wirt sei? Karl: Vielleicht in der Küche? Der Sprecher der Gruppe macht sich auf den Weg in die Küche, kommt zurück. Da sei niemand. Karls Schmunzeln, das unmerklich über das Gesicht huscht, ermutigt den Besucher zu fragen, ob er vielleicht der Wirt sei. Und schon nimmt Karl die Bestellung auf und wusch, ein Lieblingswort von Karl, ist er in der Küche.
Dieser Gastwirt, Karl also, schreibt keine einzige Bestellung auf, notiert sich generell nichts, behält alles im Kopf. Da kommt im Laufe des Tages natürlich einiges zusammen, wenn mehrere Tische belegt sind, was ja einigermaßen regelmäßig der Fall ist. Dennoch: kein Stift! Die Aufnahme der Bestellung kann er sich merken, und wenn es an das Bezahlen geht, weiß er genau, was diese Leute verzehrt und getrunken haben. Dieser Mann hat eine eiserne Kondition, ist für seine Hausgäste, der Helener Pichl hat acht Zimmer, den ganzen Tag da und zwischenrein, d.h. vormittags, mittags sowieso, nachmittags und natürlich abends für alle Tagesgäste, die im Helener Pichl vorbeikommen.
Frühstück? Er richtet sich nach den Wünschen der Gäste. Und wenn einer eine Bergtour vorhat und früher aufstehen möchte, dann steht Karl in der Regel auch früher auf. Abendessen? Die einen wollen gegen 18:00 Uhr auf der Terrasse speisen, die anderen vor dem Haus, die nächste Gruppe im Speisesaal, und im kleinen Fernsehraum neben der Küche, dort steht der einzige Fernseher im ganzen Haus, sitzen auch noch welche, meistens privilegierte Gäste, das heißt welche, die mit Karl befreundet oder regelmäßig im Helener Pichl zu Gast sind. Alle speisen zu unterschiedlichen Zeiten, alle mit besonderen Wünschen. Den Salat bitte mit etwas weniger Dressing! Und alle werden mehr als zufrieden gestellt, für alle nimmt er sich Zeit für kleinere Gespräche zwischen in der Regel drei Gängen oder wenn er Getränke bringt.
Und, um es zu wiederholen, er notiert sich kein Getränk, keine Speise, die bestellt wird. Er kocht ganz allein, serviert selber, holt dazwischen frische Kräuter aus dem Garten unterhalb der Terrasse, flitzt auch mal in den Keller, um eine besondere Flasche Wein zu holen, lächelt den Gästen zu, wirkt dabei tatsächlich unangestrengt und ist es wohl in gewisser Weise auch, sonst könnte er nicht nebenhin Gespräche mit den verschiedensten Gästen führen.
Ich übertreibe? Jemand, der so viele Worte macht, übertreibt doch? Keineswegs! Dieser Mann, dieser Gastwirt, dieser Karl, ist mir ein Rätsel. Wie er das schafft? Keine Ahnung! Der kann das einfach, der schafft das, schafft das irgendwie.
Unterstützt wird er immerhin von den beiden Schwestern, von Rosl und Monika, doch Monika ist nur sonntags da, wenn viele Gäste zu erwarten sind. Sie hilft beim Servieren, hat für jeden Gast einen flotten Spruch parat.
Rosl hilft in der Küche und beim Servieren, aber auch sie nur bei besonderen Gelegenheiten, wenn sich zum Beispiel Gruppen angemeldet haben. Zusätzlich kümmert sie sich um die Zimmer, richtet diese her, wenn neue Gäste kommen, macht die Wäsche, bügelt, bringt Karl regelmäßig Kräuter und Gemüse aus ihrem Garten nach oben mit zum Helener Pichl. Und sie vertritt ihn, wenn er mit Gästen eine Tour in die Berge unternimmt.
Das macht er schon, der Karl, er nimmt sich trotz des überaus anstrengenden Alltags als Gastwirt, als Koch, als Kellner, als Unterhalter der Gäste immer mal wieder Zeit, um mit einigen Gästen auf ausgewählte Berge zu gehen, zum Beispiel auf die Dreihirtenspitze, die wegen der Nähe zu Sankt Helena (dreistündiger Aufstieg etwa) als Hausberg gelten kann.
Oder auf das Hasenohr, einen der über 3000 m hohen Gipfel des Ultentals, oder er fährt, dieses einmalige und unverdiente Glück hatte ich, mit diesem oder jenem Gast ins benachbarte Martelltal und geht dort auf den großartigen Aussichtsberg Rotspitze, auch dieser Berg über 3000 m hoch. Wenn man sich hinterher bei ihm bedanken will, winkt er ab. Er habe zu danken, weil er endlich mal wieder rausgekommen sei.
Dem Geschriebenen ist unschwer zu entnehmen, dass der Autor dieser Zeilen ins Schwärmen gerät, er von dem Berggasthof und dessen Wirt einigermaßen angetan ist. Das ist er in der Tat. Warum soll das, was einen staunen lässt, mit Freude erfüllt, nicht deutlich ausgesprochen werden!
Ja hat denn dieser Mann, fragen sich Leserinnen und Leser ungläubig, gar keine Schwäche? Ich könnte über seine kleine Schwäche den Mantel des Schweigens breiten, aber das muss gar nicht sein, denn diese Schwäche - nicht jeder, jede wird es als Schwäche ansehen - macht Karl kaum weniger sympathisch.
Nachmittags zu einer ganz bestimmten Zeit ist eine geringfügige Anspannung bei ihm zu bemerken. Der Blick verändert sich, wirkt ein wenig unstet. Ein gerade angefangenes Gespräch kann jetzt schon mal abrupt beendet werden. Diese geringfügige Unruhe hängt mit einem bestimmten Geräusch zusammen, einem Motorengeräusch. Karl erkennt dieses Geräusch schon aus der Ferne. Es ist ein Wagen, ein Auto, das den Forstweg hochbrettert und kurz danach unmittelbar vor dem Küchenfenster stehen bleibt. Nur dieser Wagen hat das Privileg, so dicht an den Berggasthof heranfahren zu dürfen. Das Postauto. Der Briefträger kommt. Er bringt die Südtiroler Tageszeitung, Post. Flüchtiger Blick auf die Briefe. Schon sitzen beide, der Briefträger und Karl, an dem Ecktisch beim Eingang, wenn der frei ist. Kenner des Hauses lassen ihn zu dieser Zeit frei. Ansonsten gehen beide halt an einen anderen Tisch oder in die Küche. Karten, Spielkarten werden gemischt und los geht’s. Völlige Konzentration auf das Kartenspiel, höchstens ab und an ein paar Sprüche, Austausch über Neuigkeiten aus dem Tal, doch das Spiel hat absoluten Vorrang.
Die Augen! Sieh dir die Augen eines Kartenspieles an, die in besonderen Augenblicken blitzenden Augen. Diese Karte, sagen die Augen, wenn man darin zu lesen versteht, diese Karte ist die richtige, die bringt eine Vorentscheidung und jene womöglich die Entscheidung. Mit dieser Karte, die der Mitspieler zückt und ausspielt, begeht er einen Fehler.
Nimm diese, und diese! Karten fliegen, Karten liegen, Karten werden gezählt. Wer schreibt denn heute auf? Karten werden gemischt. Beim Mischen klingen die Stimmen anders als während des Spiels. Die Karten werden gegeben. Die Karten werden gemustert, das Gegenüber wird gemustert. Ein lockerer Spruch. Will der mich in Sicherheit wiegen, mich auf die falsche Fährte locken? Also aufgepasst! Los geht’s. Plötzlich ein Zwischenruf vom Nachbartisch. Karl, sekundenschnell aufblickend: „Ja, ja, ich bringe gleich ein Viertel.“ Wein natürlich.
Das selbstvergessene Kartenspiel versteht derjenige, der selber Karten spielt, das Kartenspielen beherrscht. In Südtirol können, so kommt es mir vor, sehr viele Karten spielen. Demnach findet sich außer dem Postmann immer mal der eine oder andere Einheimische, der mit dem Wirt Karten spielt. Der Brieffahrer kommt bis auf sonntags täglich, zum Helener Pichl übrigens immer erst ganz zum Schluss.
Das Spiel ist aus, das Kartenspiel, und schon ist Karl wieder in der Küche, bringt den Gästen dies und das, ist wieder offen für einen kurzen Plausch, hat die kurzfristige Anspannung während des Spiels flugs abgeschüttelt.
So ist das im Helener Pichl, so ist das mit Karl, dem Wirt.
Foto 1: Helener Pichl; © Karl Laimer
Foto 2: Terrassedes Helener Pichl, Blick auf einen der Hausberge; © Karl Laimer
INFO: Ultental und Deutschnonsberg in Südtirol
Gemeinde Ulten
St. Walburg, 39
I-39016 Ulten (BZ)
Tel. +39 0473 795 321
www.gemeinde.ulten.bz.it
Tourismusverein Ultental
Hauptstrasse, 104
I-39016 St. Walburg, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 387
www.ultental-deutschnonsberg.info
Schwemmalm - Ski- und Wandergebiet im Ultental
Schwemmalm
Dorf, 154
I-39016 St. Walburg/Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 390
www.schwemmalm.com
Ultner Talmuseum: St. Nikolaus, 107
I-39016 Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 790 374
Für zusätzliche Informationen zur Ferienregion Meraner Land können Sie den Tourismusverband Meraner Land besuchen:
Tourismusverband Meraner Land
Gampenstrasse, 95
I-39012 Meran, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 200 443
www.meranerland.com