Die Entdeckung eines Tals: Das Ultental in Südtirol, Teil 3/10

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Wie Karl zum Helener Pichl gekommen ist? Von Sepp und Paula war ja schon die Rede. Denen wurde die Arbeit im Gasthof altersbedingt um das Jahr 2000 herum zu viel. Sepp ist der Onkel von Karl. Als Kind hatte Karl miterlebt, wie der Onkel den Bau des Gasthauses bewerkstelligte.

 

Den Bau der Wasserleitung, des Lifts für die Materialien, die Maurer- und Zimmermannsarbeiten, das allmähliche Entstehen des Hauses. Viele Entscheidungen hat er mitbekommen. Die Küche sollte hier hin, dorthin die Stube, und dann die Etagenduschen, die Räume für die Toiletten, die Anschlüsse für die Waschbecken in den Gastzimmern, die Größe der Terrasse und die Entscheidung für bestimmte Geländer an den Balkons. Und so weiter und so fort! Ständig waren neue Entscheidungen zu fällen.

 

Karl hatte nach dem Schulbesuch eine Ausbildung als Koch gemacht, der Berufswunsch Architekt ließ sich damals nicht realisieren. Hatte als Ausbilder in der Berufsschule für junge Küche unterrichtet, war dann Chefkoch in einem angesehenen Hotel in Nals bei seinen ehemaligen Schwiegereltern. In die Fußspuren des Onkels zu treten, hatte er nie erwogen, darüber will er nie nachgedacht haben. Hat er davon geträumt? Er hatte den Helener Pichl von seiner Kindheit an in gewisser Weise verinnerlicht, quasi nachträglich in den Genen verankert, weil er bei der allmählichen Verfertigung des Gasthofs so oft dabei war. Und er hat den Onkel gewiss gefühlsmäßig verstanden, als der vom Talboden zum Pichl, zum Bergrücken, zum Sonnenplatz aufsteigen wollte, auch wenn darüber nie gesprochen worden sein mag.

 

Der Onkel hatte ihn nicht anzusprechen gewagt. Er wusste ja, dass Karl in dem Hotel im Tal einen guten Posten hatte. Karl war, weil er als Küchenchef viel zu tun hatte, nur sehr selten im Helener Pichl, zudem mit Paula, der gestrengen Lehrerin, seiner eigenen ehemaligen Lehrerin, mit der er nicht gerade gute Erfahrungen gesammelt hatte, nicht leicht auszukommen war. Die Erinnerungen Karls an die Lehrerin sind ein eigenes Thema. Jeder, der sie als Lehrerin hatte, also viele aus dem Kirchbachtal und vom Mariolberg, oder sie als Wirtin kannte, legt sofort los, wenn das Thema auf sie kommt. Nur wenige finden ein gutes Wort für sie. Bei einem Routinebesuch seiner Hausbank wurde Karl auf den Helener Pichl angesprochen. Der Onkel wisse nicht, wie es weitergehen solle. Ob er nicht mal hochschauen wolle zum Helener Pichl?

 

Der Onkel wie auch Paula müssen erleichtert gewesen sein, als Karl sie besuchte. Er erfasste sofort deren Ratlosigkeit, wie es mit dem Gasthof weitergehen solle. Karl deutete an, dass er es sich vorstellen könne, zum Helener Pichl zu kommen. Sepp ist regelrecht begeistert, Paula stimmt sofort zu. Karl erbittet sich Bedenkzeit. Zwei schlaflose Nächte. Dann geht alles rasend schnell. Man ist sich einig. Ein Handschlag besiegelt das Ganze. Es ist das Jahr 2002. Karl ist der neue Gastwirt. Zwei Jahre führt er den Helener Pichl zusammen mit Sepp und Paula, keine leichte Zeit, erfährt man, wenn man nachfragt, dann gehen beide in das Altenheim von St. Pankraz, wo Sepp noch heute lebt. Paula, deutlich älter als Sepp, ist vor einigen Jahren verstorben.

 

Seitdem wirkt Karl im Helener Pichl ganz allein. Im Laufe der Jahre wurden dies und das erneuert. Duschen in zwei der Zimmer, neue Betten vom Schreiner Andreas aus Zirbelholz in allen Zimmern, im Gastraum neue Tische: Ulmenholz. Die Schweine bei ihnen zu Hause auf dem Hof, erinnert sich Karl, fraßen liebend gern die Blätter der Ulmen. Die Schwestern bringen immer mal wieder kleinere Einrichtungsgegenstände mit. Der Freund Max hat eine Zeichnung vom Bachmannhof, dem Bauernhof der Eltern, gefertigt, die in der Gaststube hängt.

 

Die Schwester Rosl, die sich um die Fülle der Blumenkästen und die Hauswirtschaft kümmert, findet im Wald ästhetisch auffällige Holzstücke oder Teile von Wurzeln, die sie dem Bruder mitbringt. Für die findet sich im Haus oder um das Haus herum immer ein geeignetes Plätzchen. Blumen bringt vor allem die Schwester Anneliese mit, Pilze oder Obst für die Küche der Bruder Serafin. Rosl und ihre Töchter Karin und Angelika versorgen den Garten mit dem Kartoffelbeet oder dem angebauten Mohn und was da sonst noch alles wächst. Karin hilft, wenn es um den PC und Mailkontakte geht. Jeder aus der großen Familie, der zu Besuch zum Helener Pichl kommt, greift mit an, hilft hier oder da. Alles reibungslos, ohne dass großartige Absprachen erforderlich wären.

 

Die Tagesgäste verlassen den Helener Pichl in der Regel am späten Nachmittag oder frühen Abend. Wanderer wollen nicht in die Dunkelheit kommen, und für Autofahrer ist der rechtzeitige Abschied auch ratsam. Der steile, kurvige Forstweg und die anschließende bergige Straße erfordern höchste Aufmerksamkeit. Alkohol? Lieber nicht! Ausnahmen? Naja, aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel. Das bedeutet, dass es abends ruhig wird, die Einsamkeit des Berggasthofs sich in einer paradiesischen Stille präsentiert. Ein paar Gespräche an den Tischen vor und hinter dem Haus, das schon, doch die verebben irgendwann mal und dann senkt sich die Stille der Bergwelt mit der Abenddämmerung auf den Platz bei Sankt Helena und dem Helener Pichl.

 Karl erlebt die Ruhe des Ortes besonders intensiv, wenn mal keine Gäste im Haus sind, und solche Zeiten gibt es jahreszeitbedingt gelegentlich. Dann kommen sogar Tiere bis zum Gasthof. Einmal beobachtete Karl einen Rehbock, der sich an einem Blumenkübel gütlich tat, offensichtlich ein Rehbock mit der Vorliebe für bestimmte Blumen. Die Reaktion des Gastwirts. „Frisst dich nur satt. Bald ist deine Zeit um. Lass es dir noch mal gut gehen. Die Jäger haben’s auf dich abgesehen.“

 

Essensreste aus der Küche werden hinter den Schuppen gebracht, in dem das Holz für Herd und Öfen lagert. Diese Essensreste holen sich die Füchse. Wenn ein Gast seinen Teller nicht schafft und zu Erklärungen anhebt, wird er von Karl unterbrochen. Den Fuchs werde es freuen, wenn der Gast etwas übriglasse.

 

Der Gasthof ist ein Holzhaus, auf moderne Möglichkeiten der Dämmung von Geräuschen hat Sepp beim Hausbau nicht geachtet. Wer will es ihm verdenken! Es ist im Haus zu hören, wenn jemand die Treppen hochgeht. In den Zimmern hört man, wenn über einem jemand herumläuft. Ein Holzhaus eben. Die Gäste wissen das, und in der Regel halten sie sich daran, d.h., es wird mit Bedacht gegangen. Unnötige Geräusche werden vermieden. Rücksichtnahme ist angesagt, was meist reibungslos funktioniert. Die Nachtruhe beginnt in der Regel früh. Wenn Gruppen da sind und gefeiert wird, dauert es länger, bis Ruhe einkehrt, aber Gruppen bleiben in der Regel unter sich, da die Zahl der Zimmer begrenzt ist. Karl ist jeden Tag als erster auf. Er schafft es als einziger so die Treppen hinunter zu laufen, dass man kaum ein Knarren vernimmt. Keine Ahnung, wie er das macht. Ich hab es ausprobiert, allerdings ohne großen Erfolg. Vielleicht, ging mir schon mal durch den Kopf, rutscht er morgens das Treppengeländer hinunter. Er hat noch nicht verraten, wie er das hinkriegt, lächelt nur vielsagend.

 

Die Geräusche knarrenden Holzes gehören zum Haus. Dies sollte derjenige akzeptieren, der hier verweilen möchte. Belohnt wird er mit der einmaligen Stille der nächtlichen Wald-und Bergeinsamkeit, die sich über das Haus senkt, wenn überall das Licht gelöscht ist. Aus der Ferne das Läuten der Glocke von Sankt Helena zu jeder vollen Stunde, ansonsten völlige Stille, kein einziges Geräusch, schon gar kein Motorengeräusch. Zu hören ist erst wieder etwas, wenn sich morgens die ersten Vögel bemerkbar machen oder sich von weitem ein Rehbock oder Hirsch vernehmen lässt.

 

 

Foto 1: Wegweiser zum Helener Pichl und zur Mariolberger Alm, © Karl Laimer

Foto 2: Helener Pichl mit Kulisse; © Karl Laimer

 

 

INFO: Ultental und Deutschnonsberg in Südtirol

Gemeinde Ulten
St. Walburg, 39
I-39016 Ulten (BZ)
Tel. +39 0473 795 321
www.gemeinde.ulten.bz.it

Tourismusverein Ultental
Hauptstrasse, 104
I-39016 St. Walburg, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 387
www.ultental-deutschnonsberg.info

Schwemmalm - Ski- und Wandergebiet im Ultental

Schwemmalm
Dorf, 154
I-39016 St. Walburg/Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 390
www.schwemmalm.com

Ultner Talmuseum: St. Nikolaus, 107
I-39016 Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 790 374

Für zusätzliche Informationen zur Ferienregion Meraner Land können Sie den Tourismusverband Meraner Land besuchen:

Tourismusverband Meraner Land
Gampenstrasse, 95
I-39012 Meran, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 200 443
www.meranerland.com