Die Entdeckung eines Tals: Das Ultental in Südtirol, Teil 5/10

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Schon merkwürdig! Viele gönnen dem Bewegungsapparat erst dann eine Pause, wenn sie endlich oben stehen, endlich den Gipfel erreicht haben. Bergwanderer in der Gruppe gratulieren sich. „Berg Heil“ sagen sie und lächeln vielsagend. Ich sage, wenn ich einbezogen werde, was meist, aber nicht immer erfolgt, „Berg Freude“.

 

 

Einige nicken zustimmend, andere blicken erstaunt bis verständnislos. Oben, oben sein, am Gipfelkreuz.

 

Wie das beschreiben, was in dem Bergwanderer vorgeht, wenn er das Gipfelkreuz erreicht hat? Gefühlskladderadatsch. Stolz? Ja schon, ein wenig. Erleichterung? Gewiss doch. Genugtuung? Das auch. Unbändige Freude beim Blick in die Tiefe? Ja, schon. Erhabenheit beim Blick auf all die anderen Gipfel? Ja! Ein Gefühl von Grandiosität ergreift von einem Besitz, wenn man diese Bergwelt um sich herum bestaunt. Fühlt man sich größer als sonst? Irgendwie schon, irgendwie. Doch irgendwie ist ungenau.

 

Wie präzise lässt sich beschreiben, was im Wanderer passiert, wenn er da oben steht oder sitzt und guckt, ringsherum guckt, nach unten schaut, zu den benachbarten Gipfeln, in die Ferne, nach oben zum Himmel und dann wieder rundherum? Der Blick ist frei, unbegrenzt. Ich bin auf dem Gipfel. Endlich! Ich kann mich nicht satt sehen, würde am liebsten hier oben bleiben, was aber nicht geht. Ich muss wieder runter. Ein paar Minuten kann ich bleiben, noch ein paar, aber dann, dann muss ich wieder los. Während des Abstiegs, schon während der ersten paar Meter des Abstiegs ist klar: Morgen, übermorgen, nächste Woche, nächstes Jahr gehe ich auf den nächsten Gipfel und dann wieder auf einen und immer so weiter, solange ich auf Berge steigen kann.

 

Das Wetter! Die Atmosphäre! Einmalig! Ein blank geputzter Himmel, dunkles Blau, strahlendes Licht, eine Helligkeit, die du so sonst nirgends erlebst. Oder: Diese Wolkenbildung, ein Wolkentohuwabohu! Wolkenberge, dazwischen die blitzende Sonne. Oder: Nebel. Schade! Doch der Nebel verbreitet einen eigenen Reiz, den man für sich entdecken kann, wenn man nur will. Oder: Regen. Pech! Pech schon, Pech in gewisser Weise, aber andererseits kann man auch dem Regen durchaus Positives abgewinnen. Oder: Wind, Wind, was’n starker Wind, Sturm, was für ein Sturm! Auf allen Vieren dem Sturm trotzen, wenigstens eine Weile, bevor man absteigt, weiter unten Schutz sucht. Stets auch: Vorsicht! Vorsichtig gehen an den gefährlichen Stellen, und die lauern in den Bergen überall.

 

Auf einer Bergwanderung, keine Ahnung mehr, auf welcher das war, welchen der umliegenden Berge ich diesmal besteigen wollte, ging ich am Halsmannhof, der unterhalb von Sankt Helena liegt, vorbei. Beim Halsmannhof scheint die Sonne morgens etwas früher als am Helener Pichl. Wenn du vom Pichl runterkommst und die Sonne knallt mit aller Lebensfreude auf den Halsmannhof, dann ist das ein passender Beginn dieser Tageswanderung. Ich begegne, als ich am Halsmannhof vorbeigehe, mal wieder Franz, der den Hof zusammen mit seiner Frau bewirtschaftet. Der Franz schaut so freundlich drein, als wolle er sich bei der Sonne für ihre Strahlen bedanken. Die Ziegen, die sein freundliches Gesicht gewiss mögen, werden dem Franz zuliebe ihr Bestes geben. Deswegen, schießt mir durch den Kopf, als ich ihn begrüße, schmeckt der Ziegenkäse von diesem Hof so unvergleichlich gut.

 

Mit Franz komme ich sofort ins Gespräch. Ohne mir dessen in diesem Moment bewusst zu sein, projiziere ich meine Stimmung auf den ganzen Landstrich. In einer solchen herrlichen Landschaft müssen doch eigentlich alle Menschen gute Menschen sein! Franz ist von dieser steilen These, die Südtiroler seien in der Gesamtheit gute Menschen, ein wenig überrascht, ohne es sich anmerken zu lassen. Er begreift meine euphorische Stimmung, versteht sie vielleicht in gewisser Weise, wendet allerdings nebenhin ein, in Südtirol sei schon einiges zu kritisieren. Darauf will ich in dem Moment lieber nicht eingehen und es schon gar nicht vertiefen, denn ich will mir meine Vergnügtheit bewahren, also verabschiede ich mich. Franz lächelt. Wie kann man nur so freundlich gucken, denke ich und empfinde ein wenig Neid.

 

Natürlich ist es Quatsch, von der Atmosphäre an einem herrlichen Sommersonnentag auf die Mentalität der Bewohner dieser Bergwelt zu schließen. Diese Bergwelt kann ein ganz anderes Gesicht zeigen, wie zum Beispiel bei meiner ersten Tour zur Karrspitze, auf die ich seitdem noch einige Male gern gegangen bin. Es war bei meiner Erstbesteigung dieses Berges. Früh am Morgen, zügiger Anstieg von Sankt Gertrud aus. Der Weg geht Richtung Rabbijoch und bei der Kaseralm (Kirchberg Alm) auf halber Höhe zum Joch nach links zur Karrspitze. Oberhalb der Baumgrenze, höchstens eine halbe Stunde unterhalb vom Gipfel, braut sich ein Gewitter zusammen.

 

Ich: Keine Ahnung, wie ich reagieren soll. Keine Ahnung, weil ich solch eine Situation in den Bergen das erste Mal erlebe. Karl hatte nicht vorgewarnt. Das Wetter sollte eigentlich ganz gut sein. Jetzt also ein Gewitter im Anzug. Wann bricht man so eine Tour, so eine Bergtour ab? Die Gewitterwolken waren ja nicht von Anfang an bedrohlich. Die hätten ja auch vorbeiziehen können. Und: Vielleicht schaffe ich es ja gerade noch zum Gipfel. Oder: Es wird bestimmt nicht so schlimm. Außerdem: Was für Alternativen habe ich denn? Bis zu der Alm, der Seefeldalm, an der ich vorhin vorbeigegangen bin, ist es ein ganzes Stück, das schaffe ich nicht rechtzeitig. Die Entscheidung wird mir abgenommen. Meine Grübelei dauerte länger als das explosionsartige Aufziehen der Gewitterwolken.

 

Prasselnder Regen. Nein, nicht sofort: Es geht langsam los, dann wird der Regen stetig stärker, bis es nur so prasselt. Wohin? Was tun? Da oben zu der Felsgruppe? Ich habe diese Felsen beim nächsten Mal nicht wieder finden können. Aber jetzt sehe ich sie: Riesige Felsblöcke. Kann ich mich unter einen der Felsen legen? Ich finde tatsächlich, schon ziemlich durchnässt, aber immerhin hält die Regenjacke einiges ab, ein Felsungetüm mit einer Lücke, in die ich mich hineinzwängen, in die ich hineinkriechen kann. Ich sitze auf dem Rucksack, ziehe das Regencape über. Geschützt, einigermaßen geschützt. Schutz wovor? Blitze, Blitze links, Blitze rechts von mir, die der Himmel erbarmungslos auf diesen Berg runterpfeffert. Donner begleitet das Blitzgewitter in ohrenbetäubender Weise. Ach, daher kommt der Ausdruck! Ein Wort, von dessen Bedeutung ich vorher keine rechte Ahnung hatte: Ohren betäubend. Halbwegs geschützt, verfolge ich dieses gewaltige Schauspiel. Die Gewalt der Natur. Was, wenn ich dieses Plätzchen nicht gerade noch rechtzeitig gefunden hätte?

 

Zurück zur Freundlichkeit von Franz, zur Frage nach der Freundlichkeit der Menschen, der Menschen in dieser Bergregion, der Menschen im Allgemeinen.

Wenn die Ultner ins Erzählen kommen, wenn sie von früher erzählen, von den Zeiten, als das Überleben im Tal wie in anderen Tälern Südtirols ein permanenter Kampf war, die Menschen öfters gar Hungersnot litten, hört man gelegentlich Geschichten, die von der Gewalttätigkeit einzelner Menschen berichten, sei es, dass Kinder gezüchtigt wurden oder Eltern und Großeltern besonders strenge Regeln aufstellten und diese überwachten. Beispiele für Schwarze Pädagogik gab’s sehr wohl auch im Ultental. Eltern, Lehrer durften schlagen, und sie haben geschlagen oder ließen sich gar Schlimmeres einfallen, wenn sie sich in ihrer eigenen Hilflosigkeit nicht anders zu helfen wussten. Schläge, Härte als Zeichen von Schwäche, was zu wissen den wehrlosen Opfern wenig hilft, auch nicht im Nachhinein.

 

Foto 1; Ultener Bergwelt; ©Ulla Wendorff

Foto 2: Grünsee mit Gipfelpanorma, ©) Ulla Wendorff

 

 

INFO: Ultental und Deutschnonsberg in Südtirol

Gemeinde Ulten
St. Walburg, 39
I-39016 Ulten (BZ)
Tel. +39 0473 795 321
www.gemeinde.ulten.bz.it

Tourismusverein Ultental
Hauptstrasse, 104
I-39016 St. Walburg, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 387
www.ultental-deutschnonsberg.info

Schwemmalm - Ski- und Wandergebiet im Ultental

Schwemmalm
Dorf, 154
I-39016 St. Walburg/Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 390
www.schwemmalm.com

Ultner Talmuseum: St. Nikolaus, 107
I-39016 Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 790 374

Für zusätzliche Informationen zur Ferienregion Meraner Land können Sie den Tourismusverband Meraner Land besuchen:

Tourismusverband Meraner Land
Gampenstrasse, 95
I-39012 Meran, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 200 443
www.meranerland.com