Die Entdeckung eines Tals: Das Ultental in Südtirol, Teil 6/10

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Das Ultental befindet sich unweit von Meran. Kurz vor Meran, von Bozen kommend, geht es bei der mittelgroßen Stadt Lana in das Ultental. Lana hat eine hübsche Altstadt mit etlichen sehenswerten Bürgerhäusern und bietet eine gehörige Menge an Wellness-Hotels für den anspruchsvollen Gast.

 

Im Hochsommer ist es in Lana auf einer Höhe von 313 m häufig drückend heiß. Dann zieht es die Einheimischen in das Ultental, wo es wegen der Höhe erheblich angenehmere Temperaturen gibt. Bei unserem ersten Aufenthalt im Ultental zog es uns zum Talende nach St. Gertrud. Dort liegt, unmittelbar hinter der sehenswerten Kirche des Ortes, der Ultenhof, von dem aus sich eine besonders prächtige Sicht ins Tal bietet. Sankt Gertrud liegt von den vier Orten im Tal am höchsten, nämlich 1519 m hoch. Der erste Ort im Tal heißt St. Pankraz (736 m), es folgt St. Walburg (1190 m), dahinter die Ansiedlung Kuppelwies mit der Seilbahn zur Schwemmalm, und danach folgen noch St. Nikolaus (1256 m) und St. Gertrud. Bis auf Kuppelwies sind sämtliche Orte nach Heiligen benannt. Zwei heilig gesprochene Frauen, zwei heilig gesprochene Männer. Also Gleichberechtigung im Tal? Ein Tal der Heiligenverehrung? Lasst uns den Heiligen nacheifern!

 

Sankt Gertrud besteht aus zwei Teilen. Die Kirche liegt etwa 100 m höher als der untere Ortsteil. Die Straße führt weiter und endet vor Weißbrunn (1872 m). Bei Weißbrunn liegt der oberste Stausee des Tals (Weißbrunnsee). Dahinter befindet sich ein größerer Parkplatz, von dem aus eine Fülle von Wanderungen zu umliegenden teils bewirtschafteten Hütten (Höchster Hütte) und Almen (Fiechtalm, Pilsbergalm, Flatschbergalm, Tuferalm) und auf umliegende Berggipfel führen: Gleck (2958 m, Eggenspitz (3381 m), Zufritt (3439 m), Soyspitz (3030 m), um die wichtigsten zu nennen.

 

Oberhalb von Weißbrunn liegt der idyllisch gelegene Fischersee, weiter oben der Grünsee bei der Höchster Hütte. Der knapp 3000 m hohe Gleck ist ein lohnender Aussichtsberg, leicht zu besteigen, d.h. ohne schwierige Anstiege, selbst wenn im letzten Anstieg vor dem Gipfel noch etwas Schnee liegen sollte, was sogar im Sommer und im Herbst sowieso nie ausgeschlossen ist. Um sämtliche Wandermöglichkeiten in der Umgebung von Sankt Gertrud zu erkunden, wird ein dreiwöchiger Wanderurlaub kaum ausreichen. Also: Ein zweites Mal dorthin, wenn nicht öfter. Etliche der Touristen werden so zu Liebhabern des Tals und bleiben ihm treu. Stolz sagen solche Leute im Gespräch, zum wievielten Mal sie in Sankt Gertrud, St.Nikolaus oderoder sind.

 

 

Bei meinem ersten Aufenthalt in Sankt Gertrud, im einmalig schön gelegenen Ultenhof, sprach ich einen Gast an, der mit einer ganzen Gruppe, alle gehören zu einem Chor aus Lana, jedes Jahr für mindestens zwei Wochen in Sankt Gertrud Urlaub macht. Was man sich denn unbedingt im Ultental ansehen sollte? Solche Entscheidungsfragen sind hilfreich, um lohnende Tipps zu erhalten, denn sie wecken im Befragten einen gewissen Ehrgeiz. Hat er Sankt Helena als erstes genannt? Ich weiß es nicht mehr, denn dieses Gespräch ist etliche Jahre her. Der Name aber fiel auf alle Fälle. Nun ist es ja nicht so, dass man solch einen Tipp bekommt, sich dorthin auf den Weg macht, sofort überzeugt ist, dass das ein künftiger Lieblingsplatz sein könnte. So ein besonderes Plätzchen will, das ist ganz ähnlich wie in einer Beziehung, Schritt für Schritt entdeckt werden. Dann können allmählich feste Bande entstehen. Achtsamkeit ist erforderlich, Zeit muss man sich nehmen, so kann aus ersten zarten Banden eine feste Verbindung entstehen.

 

Mit St. Helena jedenfalls ging es nicht holterdiepolter. Vielleicht gab es die Ahnung einer Zuneigung auf den ersten Blick. Mehr gewiss nicht. Im nächsten Jahr nahmen wir nämlich erst einmal Quartier in St. Nikolaus (Ferienwohnung) und dann noch im außerhalb von St. Nikolaus gelegenen Gasthaus St. Moritz, ebenfalls ein Prunkstück des Tals. Leicht mit dem Auto von Sankt Niklaus aus zu erreichen, steht St. Moritz (1632 m) unmittelbar neben einem hübschen Kirchlein. Von der Terrasse des Gasthauses bieten sich weite Blicke ins Tal und in die gegenüberliegende Bergwelt. Der Gasthof hat wenige, aber gemütliche Zimmer. Tagsüber ist in St. Moritz und um es herum ziemlich viel Trubel, weil es relativ leicht zu erreichen und wegen der Lage ein beliebter Ausflugsort ist. Abends kehrt in der Regel Ruhe ein.

 

In den Hauptorten des Tals, in St. Walburg und St. Pankraz, gibt es eine Vielzahl von Hotels, Pensionen, Ferienhäusern und -wohnungen. Eine Fülle von Ferienwohnungen wollen zudem in Bauernhäusern oberhalb dieser Orte entdeckt werden. Im Prospekt, der im zentral in Sankt Walburg gelegenen Tourismusbüro ausliegt, sind alle Quartiere im Tal abgebildet und die gängigen Informationen zu den jeweiligen Unterkünften aufgelistet. Wenn man sämtliche Übernachtungsmöglichkeiten im Tal abfahren und persönlich ansehen wollte, käme man aus dem Staunen kaum heraus, würde dabei allerdings einige Zeit im Auto verbringen. Erwähnenswert sind der im Zentrum von Sankt Walburg gelegene altehrwürdig wirkende Eggwirt, das Modernität ausstrahlende Hotel Rainer, der Kirchsteiger und der Walburger, um nur einige zu nennen. In St. Pankraz: Hotel St.Pankraz und Innerwirt. Habe ich wichtige Hotels zu erwähnen vergessen? Gewiss doch, aber alle eindrucksvollen Unterkünfte an dieser Stelle zu nennen, führte zu weit. Verwiesen sei noch einmal auf den Prospekt des Tourismusbüros, weiterhin auf die Homepage vom Ultental oder, das wäre am besten, die eigene Anschauung, für die es allerdings des Entschlusses bedarf, sich zum Ultental auf den Weg zu machen, um es sich einmal in Ruhe anzuschauen.

 

Eine Fülle von Wandermöglichkeiten, wie sie von Sankt Gertrud oder von Weißbrunn aus bestehen, bieten sich auch von allen anderen Orten im Tal aus. Für die unmittelbare Umgebung vom Helener Pichl habe ich solche Touren schon skizziert. Wenn man endlich ein Stammquartier gefunden hat, in das man mindestens einmal, besser zweimal oder gar mehr pro Jahr fährt, bietet sich die Möglichkeit, nach und nach das gesamte Tal mit der anfangs unüberschaubaren Fülle von Bergtouren, Gipfeln, Wandermöglichkeiten zu erkunden. So einer bin ich. Meine Frau dagegen ist ganz anders gestrickt. Sie liebt es, in der unmittelbaren Umgebung vom Helener Pichl oder sogar direkt am Haus mit seinen vielen bezaubernden Plätzchen zu verweilen und die Atmosphäre des Ortes in sich aufzusaugen. Sitzen, schauen, den Vögeln lauschen, den Schmetterlingen bei ihrem luftigen Tanz zuschauen, gelegentlich nach innen hören und dabei die Blicke nach Lust und Laune schweifen lassen. Auf dem Schoß ein Schreibbuch. Notizen! „Notizen sind die Samenkörner, aus denen Wälder und Kornfelder wachsen, die Tropfen, aus denen Bäche werden….Notizen sind die Eintragungen deiner Lebensbilanz und der Nachweis, dass dein Leben nicht verschwendet war“, sagt meine Frau, Janusz Korczak zitierend. Oder sie zaubert einen Vers von Enzensberger herbei: „Wörter leicht wie Pappelsamen“. Und ich entgegne: Ich weiß, ich weiß: Das Geschriebene ist gemeißelt (Peter Weiss). Dann ziehe ich los, und sie bleibt und sammelt Notizen.

 

Notizen? Na, z.B.: „Altes Brot ist nicht hart, kein Brot ist hart.“ Hängt in der Stube des Helener Pichl. Auf dem Weg zur Staffelalm findet sich folgende Warnung: „Hunde dürfen nur unter bestmöglicher Beaufsichtigung mitgeführt werden. Verstöße werden mit einer Geldbuße von 50 000 bis 750 000 Lire bestraft.“ Über eine solche Inschrift lässt sich trefflich nachdenken. Für entsprechende Nachforschungen war mir allerdings die Zeit zu schade.

 

Meine Lieblingsberge im Ultental? Wieder eine Entscheidungsfrage!

 

Da muss ich ein klein wenig ausholen. Es gibt nämlich unterschiedliche Gesichtspunkte, die bei meinen Überlegungen, auf welchen Gipfel ich heute oder morgen oder übermorgen gehen möchte, eine Rolle spielen. Auf den Hohen Dieb und zum Stübele gehe ich außer wegen deren beeindruckender Lage - aber welcher der Berge beeindruckt nicht in einer bestimmten Weise? - wegen der bemerkenswerten Namen.

 

Der Hohe Dieb, der sich hinter den Kofelraster Seen auf 2723 m erhebt, lädt beim Aufstieg zum zwanglosen Räsonieren ein, wobei ich erneut auf die Sklavenhaltergesellschaft und dann zum aktuell virulenten Phänomen des Landgrabbing kam. Die Ultner nennen den Hohen Dieb übrigens Berlusconi, ein schönes Beispiel für den Sprachwitz der Bevölkerung. Mich beschäftigt beim Besteigen des Berges die Frage, wieso er Hoher Dieb heißt. Was ist denn der Unterschied zwischen einem hohen und einem niederen, kleinen Dieb? Aha! Man braucht nur ein wenig nachzudenken. Doch wie zum Kuckuck ist es zur Namensnennung gekommen? So viele Gipfel und alle haben einen Namen, einen ganz speziellen. Was’ne Kreativität der Menschen, die den Phänomenen in ihrer Umgebung solche Namen geben. Und dies heißt Tisch und das heißt Stuhl. Das sind Vereinbarungen, die in einer Sprachgruppe getroffen wurden.

 

Die Südtiroler gehören zur deutschen Sprachgruppe. Sie bezeichnen sich, wenn sie sich von den Italienern abgrenzen wollen, als Deutsche. Dazu später mehr. Doch jetzt zu der Benennung der Berge. Die ist ja nicht zentral für ganz Südtirol erfolgt. Die Vertreter der einzelnen Täler haben nicht zusammen gesessen und sich auf bestimmte Bezeichnungen geeinigt. Die Namen sind vielmehr von den Bewohnern des jeweiligen Tals im Laufe der Zeit gegeben worden. Nur wann, wann erfolgte diese Namensnennung, wann genau, wie setzte sie sich allmählich durch? Das dürfte sich schwerlich rekonstruieren lassen. Irgendwann mal war der Name da, findet er sich in irgendwelchen Quellen, auf alten Karten.

 Vom Namen her gefällt mir der Stübele ganz besonders. Oder heißt der Bursche das Stübele? Wenn man sich dem Gipfel nähert, unterhalb der Ultner Urlärchen - sehenswert, sehenswert, diese Baumexemplare! - führt der Weg am Klapfbach entlang über die Hintere Klapfbergalm zur Schrummscharte, kann man sich, bei viel gutem Willen der eigenen Fantasietätigkeit, die Annäherung an eine gemütliche Stube vorstellen. Das letzte Stück zum Gipfel ist allerdings beschwerlich, also gehörig steil. Wenn man endlich oben sitzt, am Gipfelkreuz, und zurückschaut, dann fällt es geradezu leicht, sich in diesem Stübele umzuschauen, sich in dieser Bergwelt-Stube wohlzufühlen. Mein Stübele! Meine Heimat, meine zweite Heimat! Mein Berg, der Stübele.

 

Foto 1: Weißbrunn, © Ulla Wendorff

Foto 2: Weißbrunnsee, © Ulla Wendorff

Foto 3: Gipfelkreuz Stübele, © Karl Laimer

 

 

INFO: Ultental undDeutschnonsberg in Südtirol

Gemeinde Ulten
St. Walburg, 39
I-39016 Ulten (BZ)
Tel. +39 0473 795 321
www.gemeinde.ulten.bz.it

Tourismusverein Ultental
Hauptstrasse, 104
I-39016 St. Walburg, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 387
www.ultental-deutschnonsberg.info

Schwemmalm - Ski- und Wandergebiet im Ultental

Schwemmalm
Dorf, 154
I-39016 St. Walburg/Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 390
www.schwemmalm.com

Ultner Talmuseum: St. Nikolaus, 107
I-39016 Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 790 374

Für zusätzliche Informationen zur Ferienregion Meraner Land können Sie den Tourismusverband Meraner Land besuchen:

Tourismusverband Meraner Land
Gampenstrasse, 95
I-39012 Meran, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 200 443
www.meranerland.com