Die Entdeckung eines Tals: Das Ultental in Südtirol, Teil 8/10

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Zu Beginn der Erkundung des Ultentals hat mir Karl Tipps gegeben, auf welchen Berge ich steigen, welches Ziel ich mir vornehmen könnte. Doch je mehr ich mir das Tal nach und nach erschlossen habe, desto weniger brauche ich solche Empfehlungen.

 

Er möchte allerdings morgens, wenn ich aufbreche, gern wissen, was ich vorhabe, weil, sagt er fast entschuldigend, in den Bergen halt immer mal was passieren könne. Einmal war ich unterhalb von der Karrspitze vom Weg abgekommen, bei dichtem Nebel, und wusste nicht mehr weiter. Hatte kurz überlegt, Karl anzurufen, aber dann eine Lösung gefunden, indem ich querfeldein abstieg, zu Beginn des Abstiegs noch ziemlich unsicher, ob ich womöglich im Nachbartal landen würde. Er meinte, als ich’s ihm erzählte, in einer solchen Situation könne er am Telefon sowieso nicht helfen. Es gebe keine andere Möglichkeit, als vorsichtig abzusteigen. Genau das hatte ich gemacht.

 

 

Was ist an diesem Südtirol für uns Urlauber aus Deutschland, uns Deutsche so reizvoll? Ich frage mich das immer wieder. Mehrere Faktoren sind auszumachen. Die faszinierende Bergwelt, Freundlichkeit und Gesprächsfreude der Südtiroler, das bodenständige, vorzügliche Essen. Gewiss ist auch die Leichtigkeit der Verständigung wichtig, aber die ist ja auch in den bayerischen Alpen, in Österreich, der Schweiz gegeben. Mich fasziniert, um eine weitere Erklärung anzubieten, wie die Südtiroler zwischen ihrem Dialekt, einem dem Hochdeutschen angenäherten Deutsch und der italienischen Sprache switchen können.

 

Einheimische unter sich: Muss man die Ohren spitzen, um ein bisserl was zu verstehen. Im Gespräch mit deutschen Touristen wechseln sie mühelos die Sprachebene, sprechen also gut verständliches Deutsch, so dass man als Gesprächspartner nur ganz selten nachzufragen braucht. Es gibt ungewöhnliche oder für uns unübliche Ausdrücke, die man sich erklären lassen kann.

 

 

 In Laurein, auf der Seite vom Nonsberg, gibt es auf einem Bauernhof, dem Gustlerhof, ein sechsjähriges Bübchen, Sohn des Hauses, der Eltern Heidi und Gustl. Alex heißt er. Der Bub geht in die erste Klasse der Schule in Laurein. Vom Haus der Eltern geht er ein paar Treppenstufen hoch und schon ist er in seiner Schule. Dieses Kind kenne ich seit seiner Geburt, weil es uns in der Ferienwohnung am Gustlerhof ähnlich gut gefällt wie im Helener Pichl im Ultental.

 

Die schlicht eingerichtete Ferienwohnung am Gustlerhof hat den Vorzug, zwei Balkons zu haben, von denen aus man eine phantastische Sicht bis zum Brentagebiet hat. Und außerdem sind es vom „Gustlerhof“ nur wenige Schritte zum Gasthof „Sonne“ („Trattoria Sole“), wo die Wirtin Rosanna das überaus liebenswürdige weibliche Gegenstück zu Karl vom Helener Pichl darstellt. Immer wenn wir in die „Sonne“ kommen, und wir sind dort, solange wir in der Ferienwohnung bei Gustl wohnen, täglich, und zwar morgens zum Cappuccino und abends zum Abendessen, empfängt uns die Wirtin Rosanna und führt uns zu dem für uns reservierten Tisch.

 

Abends lauschen wir den unwiderstehlichen Vorschlägen für das Tagesmenü. Morgens treffen wir bei ihr Gustl, der seinen „Gefleckten“ einnimmt. Dann wird geredet, über alles Mögliche, und oft nimmt sich auch Rosanna Zeit und beteiligt sich am Gespräch. Aber zurück zu Alex, dem sechsjährigen Buben, den zu verstehen ich gewisse Schwierigkeiten habe. Der Bub redet so mit mir, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Recht hat er. Er redet, wie er mit Mama, der Heidi, und dem Papa, den nennt er Dati, redet, also im Dialekt, wie er in Laurein üblich ist. Er beherrscht das Hochdeutsche noch nicht, wird es über die Schule früh genug kennen lernen. Zudem braucht er nur den Eltern zuzuhören, wenn die mit uns sprechen oder mit anderen Gästen. Noch aber muss ich bei dem Kind ab und an nachfragen, weil ich es nicht richtig verstehe. Dann sieht mich Alex erstaunt an. Er hat’s doch gerade gesagt. Vermutlich fragt er sich, ob ich schwerhörig sei oder manchmal ein bisschen plemplem.

 

 

Ich wollte ja meine Faszination für Südtirol ein Stück weit erklären, und da, das ist mein Anknüpfungspunkt, spielt eine entscheidende Rolle, dass Südtirol in Italien liegt. Die nächsten Orte unterhalb von Laurein sind italienischsprachig: Tregiovo, Mione, Marcena, Lanza, Mocenigo. Sie gehören alle zur Provinz Trient/Trentino.

In Laurein gibt es ein paar Ferienwohnungen, kein einziges Hotel. Proweis, der Ort oberhalb von Laurein, hat ein Hotel, die „Post“, auch dies ein empfehlenswerter Gasthof mit dem literaturinteressierten Wirt Georg. Proveis bietet ebenfalls einige Ferienwohnungen.

 

Durch die neue Straße vom Ultental sind Laurein und Proweis gut zu erreichen, können aber wegen der Abgeschiedenheit nicht die touristische Infrastruktur bieten wie das Ultental. Demnach ist die Zahl der Touristen, die hierher kommen, überschaubar. Es kommen Leute, die die Ruhe suchen. Die außergewöhnliche Lage der „Sonne“, direkt unterhalb der imposant aufragenden, schon von weitem zu sehenden Kirche von Laurein, die ihre Wichtigkeit damit unterstreicht, dass 24 Stunden am Tag zu jeder Viertelstunde die Glocken des Kirchturms unerbittlich läuten, entdecken manche Durchreisende, die in Laurein eine Pause einlegen, um sich ein wenig umzuschauen.

 

Zuerst fällt das weiter oben gelegene Gasthaus „Stern“ in den Blick. Von dessen Terrasse bietet sich eine herrliche Aussicht auf Kirche, das Tal, die umliegende Bergwelt. Unterhalb der Kirche dann das Versprechen auf Sonne: „Trattoria Sole“, „Gasthaus Sonne“. Für die Einwohner Laureins mag das beharrliche Läuten der Kirchenglocken Normalität, womöglich sogar liebgewordene, auf alle Fälle eine vertraute Selbstverständlichkeit sein. Der Urlauber, der sich in Laurein eine Ferienwohnung nimmt, muss sich erst einmal daran gewöhnen, dass er nachts, wenn er mal nicht schläft, alle 15 Minuten die Kirchenglocken hört oder gar durch diesen läutenden Zeigefinger der Kirchenglocke geweckt wird.

 

 In der „Sonne“, in der wir abends bei passendem Wetter auf der Terrasse, von der aus man einen unfassbar schönen - langsam gehen mir die Superlative aus, aber hier stimmt er auf alle Fälle - Ausblick hat, oder in der bäuerlich-schlichten Gaststube sitzen, gibt es aus dem oben genannten Grund nicht übermäßig häufig deutschsprachige Gäste. Aber die Italiener kommen, so nennen sie die Südtiroler, sind dabei ja laut Pass selber welche. Doch sie nennen sich nicht so. Sie bezeichnen sich als „Deutsche“, weil sie deutsch sprechen im Unterschied zu den Italienern, die in ihrem Land, Italien, nicht einsehen, wieso sie die Sprache einer Minderheit, nämlich die der Südtiroler, lernen sollen. Wir sind für sie allerdings auch die Deutschen, werden von den Südtirolern, wenn sie unter sich sind, korrekterweise so bezeichnet. Also gibt’s zwei Sorten von Deutschen, die „einheimischen Deutschen“, die Südtiroler, die deutsch als ihre Muttersprache ansehen, und die Deutschen, die wie wir aus Deutschland kommen. Ich habe einige Zeit gebraucht, um das Paradox zu verstehen, dass „deutsch“ in Südtirol diese zweifache Bedeutung hat. Noch nicht in Erfahrung gebracht habe ich, wie die „Italiener“, die in Südtirol leben, die deutschsprachigen Südtiroler nennen. Sind die für sie „tedesci“?

 

Worauf will der Autor dieser Zeilen eigentlich hinaus, fragt sich die Leserin, der Leser?

 

Wenn wir in der „Sonne“, ob auf der Terrasse oder im Gastraum oder in der mit Holz getäfelten Bar sitzen und wir uns von Rosanna verwöhnen lassen, wir im vorauseilenden Gehorsam übereifrig nicken, bevor sie uns vorschlagen kann, was es heute als Vorspeise gibt, welchen Salat sie anbieten könnte und was als Hauptgang vorgesehen ist und auf dem Tisch vor uns ein wohltemperierter vorzüglicher Teroldego und eine Karaffe mit Quellwasser stehen, staunen wir immer wieder aufs Neue, sobald sie an den Nachbartischen mit ihren Gästen aus dem Trentino italienisch parliert. Was für ein Glücksfall, bestätigen wir uns gegenseitig, direkt an einer Sprachgrenze zu wohnen, wie selbstverständlich zwischen beiden Sprachen wechseln zu können und in beiden Sprachen zu Hause zu sein.

 

So ist es gut, denken wir uns, so sollte es sein, schlussfolgern wir: friedlich-freundlicher Umgang der Menschen miteinander an dieser Sprachgrenze als Vorbild für das ganze Land. Südtirol als Bindeglied zwischen Gästen aus dem italienischsprachigen Italien, dem Trentino oder anderen Teilen Italiens und Gästen wie uns, Gästen aus Deutschland und anderen Gegenden Europas und der Welt. Wieso, sinniert man bei so einem köstlichen Mahl, zumal auch die Gäste an den Nachbartischen es sich gut schmecken lassen, sollte es denn zwischen Südtirolern und Italienern Konflikte geben? In einer solch herrlichen Landschaft? Bei einer solch köstlichen Küche? Die „richtigen“ Italiener können in Südtirol genauso Urlaub machen wie Österreicher und Deutsche, können sich genauso an Land und Leuten erfreuen wie alle übrigen Gäste aus anderen Ländern.

 

 

Foto 1: Proveis, © Maximilian Kerschbamer

Foto 2: „Gustlerhof“, © Gustlerhof

Foto 3: „Die Sonne“, © Sonne

 

INFO: Ultental und Deutschnonsberg in Südtirol

Gemeinde Ulten
St. Walburg, 39
I-39016 Ulten (BZ)
Tel. +39 0473 795 321
www.gemeinde.ulten.bz.it

Tourismusverein Ultental
Hauptstrasse, 104
I-39016 St. Walburg, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 387
www.ultental-deutschnonsberg.info

Schwemmalm - Ski- und Wandergebiet im Ultental

Schwemmalm
Dorf, 154
I-39016 St. Walburg/Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 795 390
www.schwemmalm.com

Ultner Talmuseum: St. Nikolaus, 107
I-39016 Ulten, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 790 374

Für zusätzliche Informationen zur Ferienregion Meraner Land können Sie den Tourismusverband Meraner Land besuchen:

Tourismusverband Meraner Land
Gampenstrasse, 95
I-39012 Meran, Südtirol, Italien
Tel. +39 0473 200 443
www.meranerland.com