Die Süd-Ost-Asienreise, Teil 2

Hanswerner Kruse

Hanoi (Weltexpresso) - Die Vietnam Airline ist wohl das Stiefkind des asiatischen Luftverkehrs, denn der Flieger startet am allerletzten Gate des unendlich langen Terminals in Bangkok. Hier sitzt ein Mönch auf einer schäbigen Bank und murmelt vor sich hin, vor ihm knien Gläubige. Es ist ein seltsames Gefühl, als alter 68er-Veteran nach Vietnam zu fliegen, lange habe ich mir das Land nicht als Reiseziel vorstellen können.

Gegen die Bombardierung Hanois durch die US-Amerikaner haben wir noch Anfang der 70er-Jahre in der Berliner Gedächtniskirche demonstriert. Nun haben Hannah und ich einen jungen Ingenieur im Flugzeug kennengelernt, der uns unbedingt mit seinem Dienstwagen ins Hotel bringen will. Allerdings findet er, wie auch andere junge Leute mit denen wir später reden, dass der Krieg lange vorbei und für sie „kein Thema“ mehr ist.


Es wird eine Höllenfahrt durch die engen, mit Motorrollern und Autos verstopften Altstadtgassen Hanois. Beim Aussteigen senkt sich eine atemraubende Smogwolke auf uns, dazu kommt ohrenbetäubender Lärm. Nach dem Einchecken ins Hotel stürzen wir uns dennoch mutig in dieses Inferno - nach und nach erkennen wir durch Abgase, Abenddämmerung und Verkehrschaos „unser“ Viertel. Zwischen urigen Gewürzläden oder Händlern mit Bambusleitern gibt es bereits edle Pelzgeschäfte oder teure Boutiquen. Zwischen geparkten Motorrollern, welche die Bürgersteige verstopfen, hocken auf Kinderstühlen Essensverkäufer und ihre Kunden. Diese Gegensätze sind unglaublich. Am meisten fasziniert uns der Müllwagen, der allabendlich ein immer gleiches Kinderlied trällert, während blau gekleidete, schöne Vietnamesinnen den Abfall einsammeln.


Bei der ersten Begegnung mit einer Einheimischen will sie für ein bisschen Ananas nicht nur das Vielfache des Preises in Thailand, sondern zieht - „for my baby“ - vom Wechselgeld 10.000 Dong ab. Wir haben zwar 5 Millionen Dong, etwa 200 Euro, am Geldautomaten gezogen, sind aber damit nicht einverstanden: Doch dieses levantinische Gefeilsche gehört, zumindest im Norden Vietnams, zum Straßenhandel dazu.


Schnell finden wir den Nachtmarkt und kommen beim Herumlaufen auch zum Hoan-Kiem-See, dessen Umgebung am Wochenende freundlicherweise zur verkehrsfreien Zone gemacht wird. Tausende von Einheimischen lassen sich am Ufer zum Tauziehen oder anderen Spielen animieren. Über eine rote Brücke, deren Lichter sich im Wasser spiegeln,  kommt man zu einem kleinen Tempelchen in bizarrer Umgebung. Tagsüber sehen wir unzählige Brautpaare, die seltsame Rituale aufführen: Ein Bräutigam lässt sich mit vielen Bräuten fotografieren, die ihn plötzlich mit ihren Blumen verprügeln. Hannah spielt begeistert mit und die frisch Vermählten goutieren ihre Gastrolle. Kids sprechen uns an und wollen Englisch reden, einige stehen mit Schildern auf dem Markt: „volunteers for tourists...“

 


Nach Bangkok und den Erlebnissen am Wochenende in Hanoi brauchen wir dringend „etwas Land“ und unternehmen eine Busfahrt mit Animation. Wir besuchen einen Tempel in der Provinz und werden dann über einen See gerudert. Die Seeleute betätigen erstaunlicherweise sehr geschickt die Ruder mit den Füßen (obwohl sie noch ihre Arme haben, was in Vietnam nicht so ganz selbstverständlich ist, wie wir später erfahren. Durch die Napalm- und anderen chemischen Kampfmittel der US-Amerikaner kommt es fast 40 Jahre später immer noch zu Missbildungen bei Neugeborenen). Dann umrunden wir den See mit klapperigen Fahrrädern.


Der Besuch des Ho-Chi-Minh-Mausoleums gehört zum Pflichtprogramm aller politisch bewussten Besucher der Hauptstadt Vietnams, Castro und Obama waren auch dort. Schnell werden wir von den weiß gekleideten Soldaten am Glaskasten vorbeigetrieben, in dem nun der arme ausgestopfte Mann präsentiert wird, der eigentlich verbrannt werden wollte. Im nahe gelegenen Park kann man seine Arbeitsräume und die ihm, von der Sowjetunion geschenkten Autos betrachten. Die Enttäuschung ist schmerzhaft, dass auf den vielen großen Revolutionstafeln zwar die Begegnungen Ulbrichts, Honeckers und anderer graumausiger Diktatoren mit Ho Chi Minh gezeigt werden, nicht aber „unsere“ Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg.


Fortsetzung folgt: Unsere restlichen zwei Tage verbringen wir in Hanoi mit der Suche nach traditioneller und zeitgenössischer Kunst.

 

Fotos: (c) Hanswerner Kruse

 

Info:
Buchtipp
In dem Büchlein „Vietnam fürs Handgepäck“ gibt es interessante kleine Geschichten aus dem vietnamesischen Alltag früher und heute. Da schreiben Duras und Fallaci über die französische Besatzung, vietnamesische Autorinnen und Autoren bitter oder optimistisch, aber immer humorvoll, über die Zeit nach dem Krieg und die Gegenwart. Union-Verlag, 13.95 Euro