Die Süd-Ost-Asienreise, Teil 3

Hanswerner Kruse

Hanoi (Weltexpresso) - Einträchtig sieht man überall Coca-Cola-Flaschen neben Hoch-Chi-Minh-Bildern, warum mussten die Amerikaner diesen unsäglichen Krieg führen, wenn sowieso alle jungen Vietnamesen Englisch lernen und Touristik oder Ingenieurwesen studieren wollen?


Aber es war nicht immer so liberal im wiedervereinten Vietnam wie heute. Die kommunistischen Sieger gingen nicht gerade glimpflich mit den „Reichen“ und „Kollaborateuren“ um, zehntausende von Menschen starben in Umerziehungslagern oder als Boat People auf der Flucht über das Meer. Die kleinen Geschäfte, mit denen sich die Vietnamesen seit jeher über Wasser hielten, wurden immer wieder verboten. Doch die neuen Wirtschaftspläne der Kommunisten funktionierten nicht.


„...Es waren die unsagbar schweren Jahre nach Kriegsende. Es mangelte an Lebensmitteln, an Waren und Gütern. Die Preise stiegen im Tempo eines geflügelten Pferdes. Der Dong schmolz praktisch noch auf der Handfläche dahin. Die Rente, die sie für ihren ältesten (im Krieg gestorbenen/Hwk) Sohn bekam und die vorher für den Reis des gesamten Monats gereicht hatte, langte nun nicht mehr, um die alte Frau länger als eine Woche zu ernähren...“
(aus „Das Warten der Frau Vy“ in „Vietnam fürs Handgepäck).


Nach über zehn Jahren Misswirtschaft, Terror und Hungersnöten wurde die Ökonomie in den 1980er-Jahren wieder liberalisiert und das Land öffnete sich gegenüber dem Westen. Doch noch immer herrschen die Kommunisten alleine, andere Parteien sind verboten, die Korruption ist unvorstellbar und Oppositionelle werden verfolgt. Wir machen uns keine Illusionen über den Zustand des Landes.


Dessen ungeachtet gefällt uns Hanoi nach einigen Tagen richtig gut, wir finden die Gegensätze zwischen Mittelalter und Neuzeit, Kommunismus und Kapitalismus immer interessanter. An den letzten zwei Tagen machen wir uns auf die Suche nach der Kunst.


Zunächst schauen wir Puppentheater im Wasser: Neben einem riesigen Planschbecken in einem Saal musizieren zunächst Instrumentalisten auf seltsamen Geräten, die wie singende Sägen und hohe Tröten klingen. Dann erscheinen Sängerinnen, die melancholische vietnamesische Weisen anstimmen oder sprachlich die folgenden Puppenspiele kommentieren. Die Stücke zeigen Alltagsszenen, etwa clowneske Kämpfe von Fischern gegen große Seetiere oder die Rettung fast ertrinkende Kinder. Dann folgen, im Wechsel, mythologische Geschichten mit Seedrachen oder anderen Fabeltieren. Alle Figuren scheinen über dem Wasser zu schweben, jedoch werden sie von unten durch ein kompliziertes Stangensystem geführt. Die Spielerinnen und Spieler stehen hinter einem undurchsichtigen Vorhang hüfttief im Wasser. Zum Schlussapplaus kommen sie hervor.


Zusammen mit der fremdartigen Musik ist das Ganze ein sehr exotisches Schauspiel, für das es in ganz Asien keine Vergleiche gibt. Vietnam hat sehr viele Flüsse und gut 3.000 km Meeresküste, so dass dieses feuchte Figurentheater einst weit verbreitet war. Noch immer finden sich, selbst in abgelegenen Dörfern, kunstvoll verzierte kleine Beckenbühnen (schreibt das von uns bereits erwähnte Buch „Vietnam fürs Handgepäck“).


Im verstaubten Kunstmuseum sieht man viel gemaltes Revolutionsgedöns und martialische Kriegsszenen. Die Befreiungskriege gegen die Franzosen, Japaner oder US-Amerikaner waren keine grauenhaften Höllen - kein Künstler traute sich wie einst Goya als erster den Krieg an sich als fürchterlichen Wahnsinn für alle Beteiligten darzustellen. Und dennoch - immer wieder haben vietnamesische Künstler westliche Stile genutzt und das Schlachtengetümmel kubistisch, fauvistisch oder expressionistisch ein wenig aufgelöst und so infrage gestellt. Ganz mutige Maler fügten auch mal den kämpfenden vietnamesischen Mädchen durch die Militärbluse blinzelnde Brustspitzen hinzu. Der sozialistische Realismus in der DDR oder der Sowjetunion sah anders aus...


Auf dem Weg zur alten französischen Oper finden wir auf der Straße vom See zum Musiktheater einige Kunstläden und die „Galerie 45“, ein altes Theater, das mit zahllosen zeitgenössischen Kunstwerken vollgestopft ist. Die vietnamesische Aufsicht spricht überhaupt kein Englisch, so dass wir nichts über die Ausstellungshalle erfahren können. Leider lesen wir auch viel zu spät, erst in Saigon, dass Hanoi auch eine wilde Kunstszene hat, die von wenigen einheimischen Sammlern und westlichen Kulturinstituten gefördert wird.
 

 

Fotos: (c) Hanswerner Kruse

 

Info:
Buchtipp
In dem Büchlein „Vietnam fürs Handgepäck“ gibt es interessante kleine Geschichten aus dem vietnamesischen Alltag früher und heute. Da schreiben Duras und Fallaci über die französische Besatzung, vietnamesische Autorinnen und Autoren bitter oder optimistisch, aber immer humorvoll, über die Zeit nach dem Krieg und die Gegenwart. Union-Verlag, 13.95 Euro