Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 1
Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - Hellwach sitzt er mir gegenüber und sieht mich freundlich interessiert an. Sieht so einer aus, der 82 Jahre alt ist, noch dazu wenn er die besten Jahre seines Lebens als politischer Gegner Hitlers im Zuchthaus verbringen musste? Das Geheimnis seiner Vitalität verrät mir Alfred Hausser am Ende unseres langen Gesprächs. Wir waren bei Recherchen für eine Arbeit über den Umgang mit dem antifaschistischen Widerstand in Kontakt miteinander gekommen. Irgendwann hatte ich ihn gefragt, ob er bereit wäre, einmal ausführlicher über seine Erlebnisse und Erfahrungen zu sprechen. So kam es zu der Begegnung in Stuttgart.
Alfred Hausser ist einer der letzten noch lebenden Widerstandskämpfer, die ihre Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten von Anbeginn offen bekannten und dafür Verfolgung und langjährige Haft hinnehmen mussten. Seinen Freunden gilt er schon zu Lebzeiten als Legende. Sie rühmen seine nie erlahmende Hilfsbereitschaft, seine Bescheidenheit und menschliche Wärme, seine undogmatische Gradlinigkeit und seine Toleranz. Aber auch andere, die ihm persönlich nicht nahe stehen, schätzen ihn. Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel beispielsweise, politisch ganz wo anders beheimatet als der Kommunist Hausser, schrieb mir: »Herrn Alfred Hausser kenne ich als einen aufrechten Mann, der im Dritten Reich viel mitgemacht hat. Er hat viel zur Aufklärung der Jugend über die Verhältnisse im NS-Staat beigetragen und sich für Frieden und Völkerverständigung engagiert.«
Was empfindet so ein Mann, wenn er heute im Fernsehen die provokanten Auftritte von Neonazis sieht ein halbes Jahrhundert nachdem das Nazireich untergegangen ist?
Alfred Hausser: »Wenn ich diese Aufmärsche sehe, dann geht’s mir heiß und kalt über den Rücken. Es wächst auf dem gleichen Holz wie damals. Unverblümt werden auch wieder Nazisymbole gezeigt, unverblümt hebt man die Hand zum Nazigruß. Da fragt man sic: Was hat sich denn in Deutschland geändert? Steht das alles wieder auf, nachdem es doch bekannt sein müsste, welches Unheil der Nazismus über Deutschland und die Völker Europas gebracht hat? Das ist fast körperlich schmerzhaft, was man da verkraften muss.«
Während er dies sagt, blickt er hinaus zu den Hängen der Schwäbischen Alb an Horizont. Woran denkt er in diesem Augenblick? Hält er Rückschau? Vom Wilhelminischen Kaiserreich bis ins Zeitalter der Mikroprozessoren spannt sich der Bogen seines Lebens. Weltreiche sind in dieser Zeit untergegangen, neue sind entstanden und wieder versunken. 1912, im Geburtsjahr Alfred Haussers, muss ein Sanitätsarzt die Preußische Armee verlassen, weil er sich aus religiösen Gründen nicht duellieren wollte. Im Reichstag meint Kriegsminister von Heeringen zur Begründung: »Die Duellverweigerung steht in einem scharfen Widerspruch zu den herrschenden Anschauungen in der Armee.« Im selben Jahr erringen die Sozialdemokraten bei den so genannten Hungerwahlen einen überwältigenden Sieg und werden mit dem Versprechen, für billiges Brot zu kämpfen, stärkste Fraktion im Reichstag.
Eine neue Zeit dämmert herauf. Als Alfred Hausser die Schulzeit mit der Mittleren Reife beendet, ist das Kaiserreich schon zehn Jahre dahin und über der Weimarer Republik liegen schon schwere Schatten. Für die meisten Menschen sind die Sorgen die alten geblieben.
Alfred Hausser: »Ein politischer Mensch wird man ja durch die Lebensumstände. Ich habe nach der Schule eine Lehre begonnen, und für mich war es klar – der Vater hat mir das nochmals ans Herz gelegt –, wenn die Probezeit rum ist, gehst du in die Gewerkschaft. Dann bin ich in den Metallarbeiterverband eingetreten; dann habe ich mich umgesehen, was da alles mies ist im Betrieb, und dann waren Wahlen. Da bin ich Jugendvertrauensmann geworden. Und so bin ich hineingewachsen in die Arbeiterbewegung. Und irgendwann fragt man sich: Wo gehörst du in dieser Auseinandersetzung hin? Für mich – ich stand mit beiden Beinen in der Arbeiterbewegung – war klar, dass ich den konsequenten Weg weitergehen muss. Das hieß dann, dass ich 1930 in den Kommunistischen Jugendverband eingetreten bin, und 1932 auch in die KPD. Das war die Zeit der großen Wirtschaftskrise. Ich war unmittelbar betroffen; ich war arbeitslos, mit einer Mark fünfzig wöchentlich Unterstützung, und mit der letzten Brüning’schen Notverordnung wird mir die Mark und fünfzig auch noch entzogen. Ich stand mit 18 Jahren mit leeren Händen da. Das ist für einen jungen Menschen unangenehm, und dann hieß es eben, kämpfen, und das habe ich getan.«
Fortsetzung folgt
Foto:
©verdi Stuttgart
Info:
Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995