Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Vorbemerkung: Vergeblich habe ich dieser Tage in meinem Archiv nach dem Artikel gesucht, den ich vor 58 Jahren zum Attentat auf Hitler geschrieben habe. Gefunden habe ich ihn gestern schließlich in einem Stapel unsortierter Veröffentlichungen. Der Artikel erschien am 18. Juli 1959 in der Frankfurter Wochenzeitung der deutschen Widerstandsbewegung „Die Tat“.
Die Redaktion hatte mir eine ganze Seite zur Verfügung gestellt. Als Peter Nau beleuchtete ich nicht nur die Ziele der Männer des 20. Juli, sondern auch die bis dahin wenig beachteten Kontakte der Attentäter zum Widerstand aus den Reihen der Arbeiterschaft. Es folgt hier der erste Teil des Aufsatzes, dem täglich weitere folgen:
„Die Geschichte der Bestrebungen und Ereignisse, die sich zum 20. Juli des Jahres 1944 auf die unglücklichste Weise zusammenballten und entluden, ist eine weit verzweigte.“ Dieser Satz des katholischen Schriftstellers Reinhold Schneider aus seinem 1947 erschienenen „Gedenkwort zum 20. Juli“ lässt erkennen, dass es nicht leicht ist, alle Ursachen und Zusammenhänge der Geschehnisse um den 20. Juli zu erforschen und zu bewerten. Ein Pauschalurteil kann vollends nicht gefällt werden. Reinhold Schneider sagt über die Beteiligten an der Verschwörung: „So verschieden die Männer waren, so verschieden waren wohl ihre Hoffnungen, ihre Ziele . . . Viele von ihnen hatten geholfen, den Mächtigen zu stärken, mit der fragwürdigen Gloriole seiner Siege zu schmücken.“
An den Ausgangspunkt der Betrachtungen gehört die Frage, welches äußere Bild die Lage in jenem Sommer des Jahres 1944 darbot. Etwa fünf Jahre nach Kriegsbeginn lagen die meisten deutschen Städte in Trümmern. Täglich starben Tausende im Hagel der Bomben, erstickten in Luftschutzkellern oder verbrannten im Phosphorregen. Tausende erlagen den entsetzlichen Lebensbedingungen in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern oder erlitten einen qualvollen Tod in den Gaskammern und Folterhöhlen der SS und Gestapo. Deutschland schien zu einem einzigen Friedhof zu werden. Die Lage an den Fronten kündete vom nahen Ende des nationalsozialistischen Schreckensregimentes. Im Osten war die Heeresgruppe Mitte unter den Schlägen der vorrückenden sowjetischen Einheiten zusammengebrochen, im Westen hatten die Alliierten – spät aber doch – die zweite Front eröffnet und mit ihren Landoperationen begonnen.
Das von den Widerstandskämpfern lange vorhergesagte Ende zeichnete sich ab. Nur wer mit Blindheit geschlagen war, konnte noch auf einen Erfolg Hitlerdeutschlands hoffen. In dieser Situation hielten es auch manche Generale für angebracht, ihre seit Stalingrad bestehenden Bedenken gegen die „Kriegskunst“ Hitlers offener auszusprechen, als sie es vorher gewagt hatten. Bei den Differenzen zwischen ihnen und dem „obersten Feldherrn“ ging es jedoch weniger darum, die einzig mögliche Konsequenz aus der entstandenen Lage zu ziehen, nämlich den Krieg zu beenden, als vielmehr darum, die Leitung der militärischen Operationen zu verbessern, um entweder die Kriegsziele zu erreichen, oder zumindest die Situation zu stabilisieren.
In seiner „Geschichte des zweiten Weltkriegs“ schreibt General von Tippelskirch zu Beginn des Kapitels über den 20.Juli: „Seit der Katastrophe von Stalingrad hat sich die ganze innere Auflehnung gegen die Grundsätze, nach denen Hitler die Operationen führte, in denjenigen Kreisen des Offizierskorps des Heeres, die einen tieferen Einblick in die Zusammenhänge besaßen, nicht mehr gelegt.“ Über den Zeitpunkt des Attentates vom 20. Juli schrieb Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, der seinerzeit in Verbindung mit Widerstandsgruppen stand, am 20. Juli 1954 in der Hamburger Zeitung „Die Welt“: „Im Anblick der ungeheuren Blutopfer an den Fronten und in den Städten in der Heimat, in den Konzentrationslagern und ihren Gasöfen war die Tat, die Tat um jeden Preis, längst überfällig.“ Gerstenmaier sprach damit aus, was viele Widerstandskämpfer angesichts der späten Aktion damals empfanden.
Zum Verständnis für die Schwierigkeiten, denen sich die unmittelbar an dem Attentat Beteiligten, wie die gesamte Widerstandsbewegung mit ihren vielen kleinen Gruppen gegenübersahen, muss darauf hingewiesen werden, dass der Terror des Naziregimes gegen Andersdenkende zu jener Zeit nahezu unvorstellbare Ausmaße angenommen hatte. Nach Angaben des damaligen Reichsjustizministers Thierack, die allerdings kaum als vollständig angesehen werden können, wurden im Jahr 1944 binnen drei Monaten nicht weniger als 176. 670 Personen aus politischen Gründen verhaftet. Dieser Terror erschwerte naturgemäß alle Widerstandshandlungen.
Fortsetzung folgt.
Foto: Kurt Nelheibel zur damaligen Zeit © privat
Info: Erstmalig erschienen am 18. Juli 1959 in DIE TAT
„Die Geschichte der Bestrebungen und Ereignisse, die sich zum 20. Juli des Jahres 1944 auf die unglücklichste Weise zusammenballten und entluden, ist eine weit verzweigte.“ Dieser Satz des katholischen Schriftstellers Reinhold Schneider aus seinem 1947 erschienenen „Gedenkwort zum 20. Juli“ lässt erkennen, dass es nicht leicht ist, alle Ursachen und Zusammenhänge der Geschehnisse um den 20. Juli zu erforschen und zu bewerten. Ein Pauschalurteil kann vollends nicht gefällt werden. Reinhold Schneider sagt über die Beteiligten an der Verschwörung: „So verschieden die Männer waren, so verschieden waren wohl ihre Hoffnungen, ihre Ziele . . . Viele von ihnen hatten geholfen, den Mächtigen zu stärken, mit der fragwürdigen Gloriole seiner Siege zu schmücken.“
An den Ausgangspunkt der Betrachtungen gehört die Frage, welches äußere Bild die Lage in jenem Sommer des Jahres 1944 darbot. Etwa fünf Jahre nach Kriegsbeginn lagen die meisten deutschen Städte in Trümmern. Täglich starben Tausende im Hagel der Bomben, erstickten in Luftschutzkellern oder verbrannten im Phosphorregen. Tausende erlagen den entsetzlichen Lebensbedingungen in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern oder erlitten einen qualvollen Tod in den Gaskammern und Folterhöhlen der SS und Gestapo. Deutschland schien zu einem einzigen Friedhof zu werden. Die Lage an den Fronten kündete vom nahen Ende des nationalsozialistischen Schreckensregimentes. Im Osten war die Heeresgruppe Mitte unter den Schlägen der vorrückenden sowjetischen Einheiten zusammengebrochen, im Westen hatten die Alliierten – spät aber doch – die zweite Front eröffnet und mit ihren Landoperationen begonnen.
Das von den Widerstandskämpfern lange vorhergesagte Ende zeichnete sich ab. Nur wer mit Blindheit geschlagen war, konnte noch auf einen Erfolg Hitlerdeutschlands hoffen. In dieser Situation hielten es auch manche Generale für angebracht, ihre seit Stalingrad bestehenden Bedenken gegen die „Kriegskunst“ Hitlers offener auszusprechen, als sie es vorher gewagt hatten. Bei den Differenzen zwischen ihnen und dem „obersten Feldherrn“ ging es jedoch weniger darum, die einzig mögliche Konsequenz aus der entstandenen Lage zu ziehen, nämlich den Krieg zu beenden, als vielmehr darum, die Leitung der militärischen Operationen zu verbessern, um entweder die Kriegsziele zu erreichen, oder zumindest die Situation zu stabilisieren.
In seiner „Geschichte des zweiten Weltkriegs“ schreibt General von Tippelskirch zu Beginn des Kapitels über den 20.Juli: „Seit der Katastrophe von Stalingrad hat sich die ganze innere Auflehnung gegen die Grundsätze, nach denen Hitler die Operationen führte, in denjenigen Kreisen des Offizierskorps des Heeres, die einen tieferen Einblick in die Zusammenhänge besaßen, nicht mehr gelegt.“ Über den Zeitpunkt des Attentates vom 20. Juli schrieb Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, der seinerzeit in Verbindung mit Widerstandsgruppen stand, am 20. Juli 1954 in der Hamburger Zeitung „Die Welt“: „Im Anblick der ungeheuren Blutopfer an den Fronten und in den Städten in der Heimat, in den Konzentrationslagern und ihren Gasöfen war die Tat, die Tat um jeden Preis, längst überfällig.“ Gerstenmaier sprach damit aus, was viele Widerstandskämpfer angesichts der späten Aktion damals empfanden.
Zum Verständnis für die Schwierigkeiten, denen sich die unmittelbar an dem Attentat Beteiligten, wie die gesamte Widerstandsbewegung mit ihren vielen kleinen Gruppen gegenübersahen, muss darauf hingewiesen werden, dass der Terror des Naziregimes gegen Andersdenkende zu jener Zeit nahezu unvorstellbare Ausmaße angenommen hatte. Nach Angaben des damaligen Reichsjustizministers Thierack, die allerdings kaum als vollständig angesehen werden können, wurden im Jahr 1944 binnen drei Monaten nicht weniger als 176. 670 Personen aus politischen Gründen verhaftet. Dieser Terror erschwerte naturgemäß alle Widerstandshandlungen.
Fortsetzung folgt.
Foto: Kurt Nelheibel zur damaligen Zeit © privat
Info: Erstmalig erschienen am 18. Juli 1959 in DIE TAT