p vertreibungZum gestrigen hessischen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung

Constanze Weinberg

Hamburg (Weltexpresso) - Was unterscheidet die deutschen Heimatvertriebenen von den Menschen, die während des Krieges im Bombenhagel Hab und Gut verloren haben? Nun, das Leid der einen ließ sich politisch instrumentalisieren, das Leid der anderen nicht. Die Russen, die Polen und die Tschechen, konnte man wegen der Vertreibung an den Pranger stellen, denn das waren unsere Feinde. Mit den Engländern und den Amerikanern ging das nicht, denn die waren unsere Freunde.

Keine andere Bevölkerungsgruppe wurde bei Wahlen so hofiert, wie die Vertriebenen. Die Zahl der Opfer des Bombenkrieges ging zwar auch in die Millionen, aber für die machte sich niemand stark; das passte politisch nicht in die Landschaft. Warum werden 70 Jahre nach Kriegsende die Aufbauleistungen der einen besonders gewürdigt, die der anderen hingegen nicht? Am Heimatverlust kann es nicht liegen, denn auch viele Bombenopfer mussten sich anderswo eine neue Heimat suchen.

Hat sich da etwas verselbständigt? Der Mythos vielleicht, dass die Deutschen wieder einmal zu kurz gekommen sind, diesmal bei der Würdigung ihres Leides? Für die langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die jetzt ihre politische Heimat bei der deutsch-völkischen Alternative für Deutschland gefunden hat, war es anscheinend unerträglich, dass in Berlin zwar ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europa errichtet wurde, nicht aber für die Opfer der Vertreibung. Sie gab so lange keine Ruhe, bis die Bundesregierung 2014 beschloss, von 2015 an jeweils am 20. Juni einen „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ einzurichten.

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hatte dem Wunsch bereits ein Jahr vorher entsprochen. „Ich erkläre den zweiten Sonntag im September, beginnend mit dem Jahr 2014, zum jährlichen „Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation“, heißt es in der entsprechenden Proklamation Bouffiers vom 27. August 2013. Gestern war es wieder einmal so weit. In einem Festakt würdigte der Regierungschef die Aufbauleistungen der Heimatvertriebenen und deren Kulturarbeit, die es weiterzuentwickeln gelte. „Deshalb ist zum Beispiel seit dem aktuellen Schuljahr im Kerncurriculum für den Geschichtsunterricht der Oberstufe das Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg verbindlich festgeschrieben.“

Bleibt nur zu wünschen, dass die Schülerinnen und Schüler auch etwas erfahren über die Vorgeschichte der Vertreibung, indem ihnen zum Beispiel zugänglich gemacht wird, was der legendäre hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer bereits 1960 über die „Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ gesagt hat. Der Text seines Vortrages zu diesem Thema durfte an den höheren Lehranstalten des Landes Rheinland-Pfalz nicht verteilt werden, weil er dem damaligen Kultusminister Orth zu „einseitig“ war. Zur selben Zeit wurde an den Oberstufen ein Geschichtsbuch verwendet, das die Vernichtung der Juden mit sieben Zeilen abtat. Als der Gedenktag für die Opfer der Vertreibung eingeführt wurde, sprachen Historiker und andere Wissenschaftler von einem „falschen geschichtspolitischen Signal. Die Bundeszentrale für politische Bildung bemerkte dazu, Befürchtungen, dass der Gedenktag Relativierung und Revisionismus Vorschub leisten könne, seien nicht von der Hand zu weisen. Ein neuer Gradmesser für die Virulenz revisionistischen und völkischen Denkens in Deutschland wird das Abschneiden der AfD bei der Wahl am kommenden Sonntag sein.

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