66, 67, 68 - Die Anfangsjahre der „großen Verweigerung“, Teil 2 b
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) -Die Tötung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni am Rande einer Demonstration gegen den Schah von Persien in West-Berlin offenbarte den Umfang der vor allem von der Springer-Presse gelenkten Aggression, die sich gegen protestierende Studenten entlud.
Das unglückliche Taktieren des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz (1915 - 1993), der sich sowohl dem rechten Flügel seiner eigenen Partei, der SPD, als auch der ohnehin rechts stehenden CDU gegenübersah, heizte die Eskalation der unausgestandenen Konflikte noch an. „Haut dem Springer auf die Finger“ war auch in Dortmund, Bochum, Essen, Gelsenkirchen oder Oberhausen bei Demonstrationen zu hören. Erst spät bekannte Albertz, am schwächsten gewesen zu sein, als er am härtesten war, nämlich in jener Nacht des 2. Juni 1967. Ende September trat er von seinem Amt zurück.
Das Berliner Abgeordnetenhaus wählte daraufhin Klaus Schütz (1926 - 2012) zum Regierenden Bürgermeister. Während seiner Ära nahmen die gewaltsam ausgetragenen Konflikte noch zu. Auch im Ruhrgebiet fand man damals Plakate mit dem Slogan: „Brecht dem Schütz die Gräten - alle Macht den Räten“.
Im Herbst 1967 wurde ich zum ehrenamtlichen Geschäftsführer der Dortmunder Gruppe des „Verbands der Kriegsdienstverweigerer VK“ gewählt. Das Amt erwies sich als Eintrittsbillett zu diversen Veranstaltungen der linken Szene. So war ich regelmäßiger Gast im neu gegründeten „Republikanischen Club“, was mich dazu inspirierte, innerhalb des VK einen „Club Civil“ als Träger der Jugendarbeit zu gründen, was auch rasch gelang. Als anerkannte Jugendorganisation erhielten wir eine bescheidene finanzielle Förderung durch die Stadt Dortmund (was für den Druck von Programmen und Plakaten reichte) und konnten unsere Veranstaltungen im relativ zentral gelegenen „Haus der Jugend“ durchführen.
Der „Club Civil“ wurde bald schon zu einem gefragten Partner bei der politischen Bildung. Denn er hatte zwar eine Position (Beratung und Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern, Engagement in der Friedensarbeit), aber er war parteipolitisch neutral. Als problematisch erwies sich jedoch die relativ kleine Zahl der Mitglieder, die den inneren Zirkel bildeten. Zeitweilig waren fünf Aktive verantwortlich für Großveranstaltungen mit mehreren Hundert Teilnehmern. Ich denke beispielsweise an eine Podiumsdiskussion über Maos Kulturrevolution, ein Streitgespräch mit Kirchenvertretern, Politikern und Medizinern über Abtreibung, Liederabende mit dem ortsansässigen Schallplattenverlag „PLÄNE“, der bekannte Singer und Songwriter präsentierte und ab der Jahreswende 1967/68 mehrere Kundgebungen gegen die Notstandsgesetze in Zusammenarbeit mit der IG Metall und der ÖTV.
Mit großer Zurückhaltung reagierten wir auf die Annäherungsversuche der dogmatischen Linken, die aus dem Umfeld der verbotenen KPD kamen. Prinzipiell hatten wir nichts gegen eine Wiederzulassung der Kommunistischen Partei einzuwenden, versprachen uns davon sogar eine erhebliche Belebung der politischen Diskussion. Aber uns störten Sprache und Symbole, die unkritisch aus der DDR importiert zu sein schienen und es vermutlich auch waren.
Es gab zu dieser Zeit am nördlichen Stadtrand Dortmunds, an der Bornstraße, ein Schreibbüro mit angeschlossener Kleindruckerei, bei der auch der „Club Civil“ Kunde war. Im Büro der Firma fanden nach Geschäftsschluss häufiger Sitzungen einer Initiativgruppe zur Wiederzulassung der KPD statt. Weder ich noch andere Mitglieder des Vereins sind hingegangen, obwohl man uns signalisiert hatte, willkommen zu sein. Doch wenn ich abends mit der Straßenbahn-Linie 6 nach Hause und an der Lokalität vorbei fuhr, bemerkte ich immer wieder die dort geparkten Fahrzeuge der Marken „Wartburg“, „Skoda“, „Moskwitsch“ und „Wolga“. In dieser Massierung traf man sie selbst in der Großstadt Dortmund selten bis nie an. Wäre ich ein Kommunist sowjetischer Prägung gewesen, hätte ich mir zur Tarnung einen Chevrolet Impala oder einen Ford Thunderbird gekauft, aber doch keine Weltanschauung auf vier Rädern, die nach technischer Entwicklungshilfe schrie.
Äußerlich weitaus weniger dogmatisch zeigte sich das Jugendmagazin „Elan“, das in Dortmund erschien. Es hing - wie wir alle vermuteten - am finanziellen Tropf der DDR (die SED unterhielt ein „Westbüro“ zur Unterstützung der Genossen in der BRD); nach der Wende musste die Zeitschrift eingestellt werden. Ähnliches galt auch für den profilierten Schallplattenverlag „PLÄNE“. Letzterer hätte vermutlich gute Chancen besessen, wirtschaftlich zu überleben. Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt und Hanns Dieter Hüsch hatten auch 1990 noch nichts von ihrer Strahlkraft verloren und haben es bis heute nicht. Somit tippe ich eher auf Managementfehler.
Doch damals, speziell während der Jahre von 1966 bis 1969, waren PLÄNE, ELAN, der Republikanische Club und nicht zuletzt der „Club Civil“ angesagte Adressen in Dortmunds linker und überwiegend links-unabhängiger Szene. Und ich, anfangs noch keine 20, war mitten drin.
Foto:
Rudi Dutschke diskutiert mit Ralf Dahrendorf, Januar 68; u.a. veröffentlicht in © "Konkret", Februar 68
Info:
Im dritten Teil seines politisch-biografischen Essays erzählt Klaus Philipp Mertens von den sich überschlagenden Ereignissen im Jahr 1968: Prager Frühling, Attentate auf Martin Luther King, Rudi Dutschke und Robert Kennedy, Gründung von SDAJ und DKP sowie dem Einmarsch des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei.
Bisherige Folge
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11119-von-jesus-ueber-marx-zu-dutschke
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11124-protest-revolution-oder-was-sonst