Simon Erlanger
Luzern (Weltexpresso) - Typisch für Krisenzeiten: Auch der immer latente Antisemitismus wird allenthalben wieder virulent und salonfähig, ebenfalls in Österreich, wo er sich immer schon sehr viel offener und schamloser manifestierte als in der Schweiz.
Immerhin tritt der junge österreichische Wahlsieger Sebastian Kurz von der ÖVP nun öffentlich dagegen auf und stellt dem wahrscheinlichen Koalitionspartner, der rechten FPÖ, diesbezüglich Bedingungen. Kurz fordert von der Partei ein klares Engagement gegen Antisemitismus, so der amtierende Aussenminister am Montag in einem Interview mit der israelischen Gratiszeitung «Israel Hayom»: «Der Kampf gegen den Antisemitismus und unsere Politik der Nulltoleranz gegen alle antisemitischen Tendenzen ist sehr wichtig für mich. Es handelt sich um eine klare Vorbedingung für eine Koalition unter meiner Leitung», so Kurz.
Ein klares Statement, möchte man meinen. Doch gibt der künftige Bundeskanzler damit nicht auch öffentlich zu, dass der potentielle Koalitionspartner FPÖ, immerhin von der Wählerstärke her drittgrösste Partei Österreichs, antisemitisch verseucht ist? Anderswo würden von solch einer Partei nicht nur Lippenbekenntnissen ohne reelle Konsequenzen eingefordert. Sie käme – zumindest bis zum Ergreifen konkreter Massnahmen gegen Judenfeindschaft in den eigenen Reihen – für eine Regierungsbeteiligung gar nicht erst in Frage.
Doch Wien tickt eben anders. Bleibt die Frage, wieso die internationale Reaktion auf die ganze Sache derart zurückhaltend ist. So haben zwar israelische, amerikanische und vereinzelt auch deutsche Medien über die Forderung von Kurz an die FPÖ, dem Antisemitismus abzuschwören, berichtet. Bei uns aber herrscht Schweigen. Bis zum Wochenende hat man in der Schweiz Österreich und österreichische Politik sowieso kaum wahrgenommen, und auch jetzt hält sich die Aufregung in engen Grenzen.
Der Kontrast zur Berichterstattung über Deutschland ist eklatant. Dort wird jeder halbe Prozentpunkt der AfD, jede Äusserung eines Hinterbänklers zur Riesenstory in den Schweizer Medien, während man über den Rechtsrutsch in Österreich nach der ersten Aufregung einfach hinwegschaut. Österreich wurde eben von den Schweizern noch nie wirklich ernst genommen. Dabei war Wien schon Ende des 19. Jahrhunderts das «Laboratorium zur Weltzerstörung», wie der leider früh verstorbene Historiker und Antisemitismusforscher Robert Wistrich bemerkte. Dort trugen der legendäre Bürgermeister Karl Lueger, dessen Bauten und Prachtstrassen Wien immer noch prägen, sowie der deutschnationale Politiker Heinrich Schönerer massgeblich zur Entwicklung des modernen Antisemitismus bei, was unter anderen den damals in Wien lebenden jungen Hitler beeinflusste. Doch das ist alles ebenso verdrängt und unter dem Schmäh touristischer KuK-Nostalgie zugedeckt wie die Tatsache, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der NS-Täter Österreicher waren.
Nach 1945 vermochte die Stilisierung Österreichs zum ersten Opfer Hitlerdeutschlands – was durch die Position des Landes im Kalten Krieg möglich wurde – die österreichische Mitschuld an der Schoah zu verdrängen. Seither wurde zwar einiges an Aufarbeitung der Vergangenheit geleistet, doch massenwirksam scheint dies nicht gewesen zu sein. Was nun wird Sebastian Kurz tun, wenn die FPÖ sich nicht verpflichtet, den Antisemitismus zu bekämpfen? Gibt es die Koalition der ÖVP mit der FPÖ dann trotzdem? Wir werden es in Bälde sehen. Die Wahlen vom letzten Sonntag sind auch ein Moment der Klarheit für die Juden in Österreich und im Rest Europas.
Foto: © tachles
Info:
Simon Erlanger ist Historiker, Journalist und Dozent an der Universität Luzern.
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 20. Oktober 2017
Ein klares Statement, möchte man meinen. Doch gibt der künftige Bundeskanzler damit nicht auch öffentlich zu, dass der potentielle Koalitionspartner FPÖ, immerhin von der Wählerstärke her drittgrösste Partei Österreichs, antisemitisch verseucht ist? Anderswo würden von solch einer Partei nicht nur Lippenbekenntnissen ohne reelle Konsequenzen eingefordert. Sie käme – zumindest bis zum Ergreifen konkreter Massnahmen gegen Judenfeindschaft in den eigenen Reihen – für eine Regierungsbeteiligung gar nicht erst in Frage.
Doch Wien tickt eben anders. Bleibt die Frage, wieso die internationale Reaktion auf die ganze Sache derart zurückhaltend ist. So haben zwar israelische, amerikanische und vereinzelt auch deutsche Medien über die Forderung von Kurz an die FPÖ, dem Antisemitismus abzuschwören, berichtet. Bei uns aber herrscht Schweigen. Bis zum Wochenende hat man in der Schweiz Österreich und österreichische Politik sowieso kaum wahrgenommen, und auch jetzt hält sich die Aufregung in engen Grenzen.
Der Kontrast zur Berichterstattung über Deutschland ist eklatant. Dort wird jeder halbe Prozentpunkt der AfD, jede Äusserung eines Hinterbänklers zur Riesenstory in den Schweizer Medien, während man über den Rechtsrutsch in Österreich nach der ersten Aufregung einfach hinwegschaut. Österreich wurde eben von den Schweizern noch nie wirklich ernst genommen. Dabei war Wien schon Ende des 19. Jahrhunderts das «Laboratorium zur Weltzerstörung», wie der leider früh verstorbene Historiker und Antisemitismusforscher Robert Wistrich bemerkte. Dort trugen der legendäre Bürgermeister Karl Lueger, dessen Bauten und Prachtstrassen Wien immer noch prägen, sowie der deutschnationale Politiker Heinrich Schönerer massgeblich zur Entwicklung des modernen Antisemitismus bei, was unter anderen den damals in Wien lebenden jungen Hitler beeinflusste. Doch das ist alles ebenso verdrängt und unter dem Schmäh touristischer KuK-Nostalgie zugedeckt wie die Tatsache, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der NS-Täter Österreicher waren.
Nach 1945 vermochte die Stilisierung Österreichs zum ersten Opfer Hitlerdeutschlands – was durch die Position des Landes im Kalten Krieg möglich wurde – die österreichische Mitschuld an der Schoah zu verdrängen. Seither wurde zwar einiges an Aufarbeitung der Vergangenheit geleistet, doch massenwirksam scheint dies nicht gewesen zu sein. Was nun wird Sebastian Kurz tun, wenn die FPÖ sich nicht verpflichtet, den Antisemitismus zu bekämpfen? Gibt es die Koalition der ÖVP mit der FPÖ dann trotzdem? Wir werden es in Bälde sehen. Die Wahlen vom letzten Sonntag sind auch ein Moment der Klarheit für die Juden in Österreich und im Rest Europas.
Foto: © tachles
Info:
Simon Erlanger ist Historiker, Journalist und Dozent an der Universität Luzern.
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 20. Oktober 2017