tach azzleyZur neuen Generaldirektorin der UNESCO

Andreas Mink
, Jacques Ungar

Paris (Weltexpresso) - Kann die französisch-jüdische ehemalige Kulturministerin als neue Generaldirektorin das Ruder der international angeschlagenen UNESCO herumwerfen?


Am Freitag hat der Aufsichtsrat der UNESCO mit knapper Mehrheit Audrey Azoulay zur neuen Direktorin der Weltorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur ernannt. Die Wahl der französisch-jüdischen ex-Ministerin für Kultur und Tochter von André
 Azoulay, einem ehemaligen Sonderberater des früheren marokkanischen Königs Mohammed VI., zur neuen Generaldirektorin der UNESCO ist eine echte Überraschung. Die Organisation hat in den letzten Jahren vor allem durch ihre israelkritische Haltung Schlagzeilen gemacht.


Schwieriger Amtsantritt

Die Entscheidung fiel mit 30 zu 28 Stimmen denkbar knapp aus. Die 45-Jährige war zuvor Kulturministerin Frankreichs unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande. Einziger Gegenkandidat war der katarische Diplomat Hamad bin Abdulaziz al-Kawari. Zuvor hatte der Vorstand eine Woche lang die Auswahl unter einem Feld von ursprünglich neun Bewerbern getroffen. Die Wahl muss durch das Plenum der 195 Mitgliedstaaten am 10. November noch bestätigt werden. Audrey Azoulay hat ihre Kandidatur für den UNESCO-Posten noch unter Hollande erklärt, aber der neue Präsident Emmanuel Macron unterstützte ihre Bewerbung nach Kräften. Im letzten Herbst machte Azoulay durch ein leidenschaftliches Bekenntnis für ein «geeintes, offenes und grosszügiges Europa» von sich reden.

Azoulay tritt ihre vierjährige Amtszeit unter denkbar schwierigen Umständen an. Einen Tag vor ihrer Wahl haben die USA überraschend ihren Austritt aus der Weltorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur angekündigt. Die Trump-Regierung will damit Solidarität mit Israel zeigen und gegen die Aufnahme der palästinensischen Autonomiebehörde in die UNESCO im Jahr 2011 protestieren. Bereits damals hatte die Obama-Regierung die Beitragszahlungen eingestellt und der Organisation so ein Fünftel ihres Budgets genommen. Obwohl Azoulay politisch-ideologisch das Heu nicht auf der gleichen Bühne hat wie Premier Netanyahu, wird sie wohl alles daransetzen, um im Rahmen ihres Mandats der
tatsächlich nicht mehr zu tolerierenden
Haltung dieser Uno-Organisation einen Riegel zu schieben und für einen Ausgleich zu sorgen. Und vergessen wir eines nicht: Sollten Washington und Jerusalem an ihrem Austritt festhalten, würde dieser erst auf Ende 2018 in Kraft treten, in der internationalen Politik ein Menschengedenken. Sollte Frau Azoulays Wahl am 10. November bestätigt werden, was fast so gut wie sicher ist, hätten Donald Trump und in seinem Schlepptau auch Binyamin Netan-
yahu mehr als genug Zeit und Gründe, um auf ihren Beschluss zurückzukommen.


Israel überrascht von US-Austrittsabsichten

Schenkt man israelischen Medienberichten vom Sonntag Glauben, war Israel letzte Woche vom US-Beschluss überrascht worden, den Austritt aus der UNESCO zu verkünden. «Haaretz» zitierte vier hochrangige israelische und amerikanische Offizielle, denen zufolge Washington und Jerusalem die Sache nicht miteinander koordiniert hatten, wie es sich eigentlich für so enge Alliierte gehört hätte. Die Administration Trump hat offenbar die Israeli von ihrem Schritt auch nicht vorgängig in Kenntnis gesetzt. Diesen Missstand wollte Premier Netanyahu wahrscheinlich kaschieren, indem er Präsident Trump nach der
Publikation von dessen Austrittsabsichten für seinen «mutigen» Schritt mit Lob überschüttete und es ihm fast im gleichen Atemzug nachmachte.

Nebst finanziellen Problemen leidet die UNESCO unter Konflikten der 190 Mitgliedstaaten. So drängen arabische Staaten seit Jahren auf den Chefposten als Symbol für die internationale Anerkennung ihrer Kulturen. Azoulays grösste Herausforderung wird die Versöhnung der unterschiedlichen Lager in der Organisation sein. Dafür scheint sie zumindest von ihrem Familienhintergrund her gut geeignet. Azoulay stammt aus einer angesehenen marokkanisch-jüdischen Familie. Ihr Vater André Azoulay ist Spitzenberater des marokkanischen Königs Mohammed VI. und diente seit 1991 dessen Vorgänger Hassan II. Nach einem Studium in Volkswirtschaft, Journalismus und internationalen Beziehungen war er bis 1990 Banker und hat sich einen Namen als unermüdlicher Brückenbauer und Friedensunterhändler gemacht. Auch als 76-Jähriger ist er in zahlreichen Gremien tätig. Audrey Azoulay hat Wirtschaft studiert, danach aber eine Karriere als Staatsbeamtin angetreten und war unter anderem am französischen Rechnungshof tätig. Azoulay bezeichnet sich als links, ist aber parteilos.


Foto: Auf die neue Unesco-Präsidentin Audrey Azoulay warten große Herausforderungen © tachles

Info: Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 20. Oktober 2017