a stefanheym.deZur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Das eigentlich Spannende der ersten Sitzung des neuen Bundestages waren nicht die Reden und auch nicht das Auftreten der AfD, sondern die Ergebnisse bei der Wahl der Bundestagsvizepräsidenten und da wiederum das Abschneiden des bisherigen Vorsitzenden der SPD-Fraktion Thomas Oppermann.

Der zum rechten Flügel der Partei zählende Sozialdemokrat erzielte mit 369 Stimmen das schlechteste Ergebnis von allen Kandidaten. Sogar Petra Pau von der Linksfraktion schnitt besser ab. Sie brachte es auf 456 Stimmen. Gemessen an der Gesamtzahl der Abgeordneten entspricht das einem Anteil von 64 Prozent. Hingegen musste sich Oppermann mit nur 55 Prozent zufrieden geben, eine Demütigung, die ihn schwer treffen muss, war er doch bereits als Fraktionsvorsitzender von Andrea Nahles abgelöst worden, Ausdruck eines Stimmungswandels angesichts der Mitverantwortung Oppermanns für die Politik der Großen Koalition, die den Einzug der AfD in den Bundestag letztlich zu verantworten hat.

Deren Kandidat Albrecht Glaser verfehlte in allen drei Wahlgängen die notwendige Mehrheit, konnte aber jeweils etwa zwanzig Stimmen aus anderen Fraktionen für sich verbuchen. Benennt die 92 Abgeordnete zählende Fraktion der Alternative für Deutschland keinen anderen Kandidaten, bleibt der ihr zustehende Posten eines Vizepräsidenten unbesetzt.

Die Geschlossenheit, mit der das Parlament Glaser abwies, ist als politisches Signal im Hinblick auf kommende Auseinandersetzungen von Bedeutung. Ähnliches gilt für die neue Regel, wonach nicht der nach Lebensjahren älteste Abgeordnete die konstituierende Sitzung des Bundestages eröffnet, sondern der dienstälteste. Damit wurde verhindert, dass ein AfD-Abgeordneter als Alterspräsident fungiert.

Diese Rolle fiel dem Freien Demokraten Hermann-Otto Solms zu, nachdem Wolfgang Schäuble angesichts seiner bevorstehenden Wahl zum Bundestagspräsidenten darauf verzichten mußte. Er ermahnte die Abgeordneten in seiner Eröffnungsrede zu einem „zivilisierten Miteinander“. Daran hat es mitunter gefehlt, und zwar lange bevor Abgeordnete der AfD im Bundestag saßen. So etwa 2014 bei dem zum Skandal geratenen Auftritt des Liedermachers Wolf Biermann anlässlich des Mauerfalljahrestages und seiner von Häme und Hass triefenden Rede an die Adresse der anwesenden Abgeordneten der Linksfraktion, die sich dagegen nicht wehren konnten, aber Haltung bewahrten.

Fast auf den Tag genau 20 Jahre davor hatte die gesamte Unionsfraktion ihre Contenance verloren als der ehemalige DDR-Bürger Stefan Heym bei der konstituierenden Sitzung des 13. Deutschen Bundestages seines Amtes als Alterpräsident waltete. Der von den Nazis aus politischen und rassischen Gründen verfolgte Schriftsteller hatte 1994 als Parteiloser auf der offenen Liste der „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) kandidiert und ein Direktmandat erlangt. Als sich wie üblich die Abgeordneten und die Ehrengäste zur Sitzungseröffnung erhoben, blieben die Abgeordneten der CDU und der CSU sitzen. Scheinbar unbeeindruckt von dem Affront erzählte Heym unter anderem von seiner Emigration, seiner Rückkehr nach Deutschland als amerikanischer Soldat und von seiner Zeit in der DDR, wo ihn wegen seiner Unangepasstheit neue Konflikte erwarteten. Am Schluss seiner Rede empfahl er „gegenseitige Toleranz und gegenseitiges Verständnis.“

Mit Ausnahme von Rita Süßmut verweigerte ihm die Unionsfraktion geschlossen den Beifall, einige ihrer Abgeordneten verließen den Saal. Seine Rede wurde nicht wie üblich im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht. Ihr gehörten damals auch die Freien Demokraten an. Auf Druck der Opposition und einer Bundestagsdebatte über das schäbige Verhalten wurde die Rede dann doch abgedruckt. Heym legte sein Bundestagsmandat ein Jahr nach der Wahl nieder. Er starb am 16. Dezember 2001 in Jerusalem.

P.S.: Die Redaktion will noch nachtragen und hofft auf einen eigenständigen Artikel in WELTEXPRESSO dazu, daß innerhalb der Abgeordneten im Bundestag der Anteil von Frauen massiv abgenommen hat: Die Linken haben 53 Prozent, die Grünen 58 Prozent, also mehr Frauen als Männer, die SPD hat noch 41 Prozent, CDU 19 Prozent, also nur eine weibliche Abgeordnete auf vier männliche,  ähnlich die  FDP mit 22 Prozent. Das Schlußlicht bildet die AfD mit ganzen 10 Prozent Frauenanteil, was bedeutet, daß nur jeder 10. Abgeordnete der AfD eine Frau ist. Das ist wirklich von gestern. 

Foto: In Erinnerung an Stefan Heym, der ein Beispiel dafür ist, wie peinlich und geschichtlich widerlegt die Häme derer war, die keine Ahnung von der Lebensleistung dieses Mannes hatten. Ihn wieder einmal lesen, wäre gut. 
Sein Bundestagsauftritt ist festgehalten: https://www.youtube.com/watch?v=UDi33gajkOg
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