Angst vor Neuwahlen erzwingt weitere Gespräche über Regierungsbildung
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Die FDP hat immer wieder für Überraschungen gesorgt. Sie ließ langjährige Regierungspartner im Regen stehen und verbündete sich über Nacht mit deren Gegnern. Sie brachte erstmals nach Kriegsende die Sozialdemokraten an die Macht, bis diese eines Tages von ihr gemeuchelt wurden.
Das Aussteigen der Freien Demokraten aus den Jamaika-Gesprächen scheint auf derselben Linie zu liegen. Ihre Rückkehr in den Bundestag nährte bei den Unionsparteien anfänglich die Hoffnung auf eine Verstärkung des bürgerlichen Lagers. Das erwies sich als Trugschluss. Was Christian Lindner bewog, das von ihm als „historisches Projekt“ bezeichnete Zusammengehen von CDU, CSU, Grünen und Freien Demokraten zu beenden, bleibt vorerst ein Rätsel. Die offizielle Version, es habe an gegenseitigem Vertrauen gemangelt, klingt nicht sehr überzeugend. Was man voneinander zu halten hatte, wussten alle von vornherein. Einziger Unsicherheitsfaktor waren die Grünen.
In der Tat haben sind sie als erste vor der CSU eingeknickt. Deren Maximalforderungen haben den Gang der Gespräche von Beginn an bestimmt. Noch ehe die Unterredungen begonnen hatten, pressten die von ihrer Wahlniederlage in Bayern verunsicherten Leute um Horst Seehofer der CDU die Zustimmung zur Festlegungen einer Obergrenze bei der Zuwanderung ab. Damit hatte die Bundeskanzlerin einen wesentlichen Teil ihres Handlungsspielraums verloren. Sie konnte sich nur noch in dem von der CSU vorgegebenen Rahm bewegen. Dass Seehofer wegen des parteiinternen Machtkampfes um seine Nachfolge unter Druck steht, verlieh dem Geschehen eine besondere Note. Beide waren und sind Gefangene einer durch die AfD heraufbeschworenen ungewohnten Situation.
Seit ihrem Einzug in den Bundestag bestimmt sie weithin das Denken und Handeln der etablierten Parteien. Als das Gespenst von Neuwahlen plötzlich im Raum stand, zuckten alle zusammen. Christian Lindner hatte es mit seinem Gespür für publikumswirksame Äußerungen heraufbeschworen. Die Freien Demokraten hätten keine Angst vor Neuwahlen, ließ er sich unvermittelt vernehmen. Zur Überraschung aller meldete sich gleich der Bundespräsidenten zu Wort. Er warnte vor panischem Gerede über Neuwahlen. Auch die Grünen fühlten sich verunsichert. Das Einschwenken ihrer Verhandlungsführer auf Positionen der CDU/CSU wurde von ihrer Basis misstrauisch beäugt. Sahen Cem Özdemir und Karin Göring-Eckart angesichts der Hoffnung auf einen Ministerposten nicht die Gefahr des Verlustes grüner Identität?
Die Angst der Parteien, Neuwahlen könnten der AfD noch mehr Zulauf verschaffen, hat den Bundespräsidenten offenbar bewogen, das hässliche Wort in seiner Stellungnahme zur Jamaika-Pleite erst gar nicht in den Mund zu nehmen. Er erwarte „von allen“ Gesprächsbereitschaft, „um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen“. Steinmeier will in den nächsten Tagen Gespräche mit allen an den bisherigen Sondierungen beteiligten Parteien führen. Er werde aber auch Gespräche mit den Vorsitzenden von Parteien führen, bei denen „programmatische Schnittmengen eine Regierungsbeteiligung nicht ausschließen“. Damit dürfte die SPD gemeint sei, die eine weitere große Koalition aber strikt ausschließt. Unterdessen verteidigte der FDP-Vorsitzende Lindner den Abbruch der Sondierungsgespräche. „Wo war denn die Jamaika-Idee der letzten 50 Tage? fragte er. Der Eintritt in eine Regierung hätte den Wählerauftrag zu einem Politik-Wechsel verfälscht.
Das Gerangel geht also weiter, auch wenn es Vielen zum Hals heraushängt und dem Ansehen der Demokratie alles andere als zuträglich ist.
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Info:
Nur dem Jamaika-Tourismus hat es den Aufschwung bundesdeutscher Touristen besorgt. Wenigstens das, denn Jamaike ist eine ausgesprochen schöne Insel und eine, in der die Frauen den Ton angeben und ihre Männer beispielsweise erst dann heiraten, wenn diese sich als Väter schon einige Jahre bewährt haben. Echt. Die Redaktion