a annefrankÜber den Umgang mit Symbolgestalten der deutschen Geschichte

Constanze Weinberg

Schilda (Weltexpresso) – Unlängst hatte der Vorstand der Deutschen Bahn AG die Idee, den Zügen einer neuen ICE-Generation attraktive Namen zu verleihen, und zwar sollten sie nach Personen der Zeitgeschichte benannt werden. Vor nicht allzu langer Zeit hielt das der Vorstand für unpassend. Ab 2002 wurden sämtliche Personennamen von ICE-Zügen entfernt und durch Städtenamen ersetzt.

Weichen mussten unter anderen die Namen Graf Stauffenberg und Sophie Scholl. Dafür wurden Züge zum Beispiel nach den Kleinstädten Oschatz und Jever benannt. Was sie dafür prädestinierte, blieb das Geheimnis der Bahn.

Bei der jetzigen Suche nach Taufpaten erhielt die Bahn nach eigenen Angaben von Kunden und engagierten Bürgern rund 19.400 Vorschläge Sie wurden von einer Jury, in der auch zwei Historikerinnen saßen, intensiv geprüft und zunächst auf einhundert Namen eingedampft. Übrig blieben am Ende die Namen von 25 Personen, die öffentlich benannt wurden. Darunter die Namen von Konrad Adenauer, Thomas Mann, Karl Marx, Vicco von Bülow und Anne Frank. Nach Darstellung der Bahn einte diese Personen, dass sie „neugierig auf die Welt“ gewesen seien. Ein Kriterium, das eher von Weltfremdheit denn von historischem Wissen zeugt, wenn man sich das Schicksal des jüdischen Mädchens Anne Frank vor Augen hält, das in einem Nazi-Konzentrationslager zu Tode kam.

Sarkastisch hieß es dazu in der FAZ, mit deutschen Eisenbahnen verbinde Anne Frank nur, dass sie von ihnen“ in die Hölle deportiert“ worden sei. Wenn es der Bahn darum gegangen wäre, ein Zeichen für die Mitverantwortung an der Ermordung der Juden zu setzen, hätte sich ein Name angeboten, der auf keiner der beiden Listen stehe. „Der Name eines Mannes, der wie kein zweiter die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen in der jungen Bundesrepublik vorantrieb und die Prozesse gegen NS-Schergen zugleich als einen historischen Akt der Aufklärung und Bildung betrachtete. Mit dem ICE ‚Fritz Bauer’ führe auch das Andenken an die Opfer der Shoa stets mit“. ( Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. November.2017).

Das richtete sich erkennbar nicht gegen Anne Frank, sondern gegen die Unbedarftheit der Beteiligten. Warum halten sie den Namen des Naziopfers Anne Frank für geeignet zur Benennung eines ICE, nachdem die Bahn den Namen eines anderen Naziopfers, nämlich den von Sophie Scholl, entfernt hat? Nicht diese Ungereimtheit sorgte indes für Aufregung, es war allein die Meldung, ein ICE solle nach Anne Frank benannt werden. Sie entfachte nach Schilderung der Süddeutschen Zeitung vom 9./10. Dezember 2017 einen “Shitstorm der allerersten Kategorie“. So nennt man das lawinenartige Auftreten negativer Kritik in sozialen Netzwerken. Kernpunkt der Kritik: Ein „Täterwerkzeug“ dürfe nicht nach dem Opfer benannt werden. Gemeint waren damit Züge der Bahn. Nach dieser Logik dürften allerdings auch keine Schulen nach Anne Frank benannt werden, da Schulen während der NS-Zeit ebenfalls „Täterwerkzeuge“ waren. Sie lehrten den Hass auf die Juden und ebneten den Weg zu ihrer Ermordung. .

Geschockt von dem Vorwurf, pietätlos gehandelt zu haben, erklärte der Bahnvorstand in einer offiziellen Verlautbarung, es sei in keiner Weise beabsichtigt gewesen, das Andenken Anne Franks zu beschädigen. Vielmehr habe die Deutsche Bahn die Erinnerung an sie wach halten wollen. Sollte die Bahn dabei Gefühle verletzt haben, „dann tut es ihr leid.“ Sie nehme die in der Öffentlichkeit geäußerten Bedenken ernst und werde sie in ihre internen Diskussionen einbeziehen. Auf ähnliche Weise rechtfertigte der Vorstand auch die Entfernung der Namen von Sophie Scholl und Graf Stauffenberg. Sie habe nichts mit einer „Nichtanerkennung dieser Personen“ zu tun, hieß es damals. Die Umbenennung sei aus Platzgründen notwendig gewesen, behauptete Hartmut Mehdorn allen Ernstes.

In Wirklichkeit ging es um ganz Anderes. Bestimmte Namen, darunter auch die der deutschen Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky und Ludwig Quidde, störten anscheinend den geplanten Gang der Bahn an die Börse. Schließlich geschah alles mit der politischen Rückendeckung durch den damaligen Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) unter oberster Verantwortung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Die deutsche Öffentlichkeit nahm den Skandal widerspruchslos hin und hat ihn bis heute nicht realisiert. Die aktuelle Aufregung um Anne Frank beweist das aufs Neue.

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 © annefrank.de

Info:
Hierzu auch: Conrad Taler, Namenszüge, „Ossietzky“, Heft 2 / 2009