Vom unsinnigen Streit religiöser Fundamentalisten
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mehrere Redaktionen, darunter auch die von WELTEXPRESSO, sind derzeit Adressaten eines „Offenen Briefs“ an den (katholischen) Bischof von Limburg, Georg Bätzing. Absender ist der „Freundeskreis von Una Voce e.V.“, der die Zeitschrift „Einsicht“ herausbringt. Es geht in dem Schreiben um die Betonung des unterschiedlichen Gottesverständnisses in Christentum und Islam sowie um ethische und heilsgeschichtliche Ziele in beiden Religionen, die deswegen als nicht miteinander vereinbar erscheinen.
Damit man diesen Schlagabtausch zwischen orthodoxen und vergleichsweise liberalen Katholiken besser einordnen kann, hier zunächst einige Hintergrundinformationen.
Der Verein „Una Voce“ plädiert für die Rückkehr der lateinischen Sprache in die katholische Liturgie. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) bekräftigte seinerzeit zum Entsetzen aller hierarchiebewussten Frommen endgültig und offiziell die bereits vorher feststellbare Praxis, die Messe überwiegend in der jeweiligen Landessprache zu zelebrieren. Durch den Verzicht auf Latein würde nach Auffassung der Fundamentalisten dem Heiligen ein Stück seiner Substanz genommen. Angesichts eines solchen Streits könnte man meinen, Jesus selbst hätte seine Predigten in lateinischer Sprache gehalten. Doch er wird das Idiom der römischen Besatzungsmacht allenfalls vom Hörensagen gekannt haben. Mutmaßlich hat er sich des Aramäischen bedient, einer Kaanäischen Sprache, aus der sich Hebräisch und Phönizisch entwickelt haben und das sich ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. als Volkssprache in Kanaan und der Levante durchsetzte. Die neutestamentlichen Schriften hingegen sind im Koine-Griechisch der spätrömischen Antike verfasst, das auch im Zentrum Roms vielfach gesprochen wurde. Wer also zu den Wurzeln zurück möchte, sollte mindestens für Koine-Griechisch, im Idealfall für Aramäisch, plädieren.
Bei näherer Beschäftigung mit diesem theologie- und kirchgeschichtlichen Konflikt gewinnt man den Eindruck, dass die katholischen Fundamentalisten vor allem die Angst vor der Überwindung der Hierarchen, ja sogar der sozialen Klassen bewegt. Der Abschied vom jahrhundertelangen kirchlichen Selbstverständnis, dass nämlich die Katholische Kirche der bessere und unverzichtbare Teil weltlicher Macht sei (z.B. im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, dessen Amtssprache Latein war), scheint die Gralshüter einer fragwürdigen Tradition mehr zu bestimmen als die kritische Reflektion der Glaubensinhalte. Wenn sich Priester und Laien lediglich noch durch ihre theologische Ausbildung und ihr kirchliches Dienstverhältnis unterscheiden würden, liefe das Himmelreich des geglaubten Gottes Gefahr, zu einem säkularen mitten in der realen Welt zu werden. Das Motto der Quartalszeitschrift „Einsicht“ lautet denn auch folgerichtig: „credo ut intelligam“. Das bedeutet „Ich glaube, damit ich erkennen kann“ und geht auf den Theologen und Philosophen Anselm von Canterbury (1033 – 1109) zurück.
Erst die Aufklärung, später die Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts und schließlich die Entmythologisierung des Protestanten Rudolf Bultmann in der Mitte des 20. Jahrhunderts haben Philosophie und Theologie dazu ermahnt, dem Wissen einen unbedingten Vorrang vor dem Glauben einzuräumen. Bultmann erinnerte in seinem umfangreichen wissenschaftlichen Werk Theologie und Kirche daran, dass sich im Neuen Testament ebenso wie im Alten ein mythologisches Weltbild spiegelt, das längst von einem naturwissenschaftlich begründbaren abgelöst worden sei. Darum dürfe eine überholte Gedankenwelt nicht länger als Voraussetzung des Glaubens ausreichen. Es sei die allererste Aufgabe der Theologie, den eigentlichen Kern der christlichen Verkündigung herauszuarbeiten. Deswegen sei es höchste Zeit, sich von Vorstellungen wie Opfertod, leerem Grab, Himmelfahrt und einem Leben nach dem Tod, die allesamt der altgriechischen Mythologie entlehnt seien, zu entledigen.
Viel wichtiger sei zu ergründen, was die Unterstützer des jüdischen Wanderpredigers Jesu dazu bewogen haben könnte, trotz des Scheiterns ihres Meisters an der Hoffnung auf ein Reich Gottes auf Erden festzuhalten. Denn nach jüdischem Verständnis wird der Messias der Überwinder sowohl festgefahrener religiöser Kulte als auch überkommener weltlicher Herrschaftsverhältnisse sein. Das hebräische Wort Maschiach (übersetzt mit Messias) bedeutet „der Gesalbte“; gesalbt wurden David und seine Nachfolger.
Doch die Extremisten aller religiösen Konfessionen weisen solche und ähnliche Überlegungen weit von sich und streiten sich stattdessen um die Verbindlichkeit von Aussagen der Bibel und des Korans, die jedoch eines gemeinsam haben: nämlich ihre Entstehung zu unterschiedlichen Zeitaltern und im Kontext eines jeweiligen Zeitgeistes. Mithin also Menschenworte sind, hervorgegangen aus menschlichen Vorstellungen und allzu häufig aus Vorurteilen und Fehleinschätzungen.
Wenn der Freundeskreis von „Una Voce“ Bischof Bätzing in dem „Offenen Brief“ vorwirft, sich in naiver Unterschätzung des Islams für einen Dialog mit diesem entschieden zu haben, wird das mit der qualitativen Überlegenheit des Christentums, speziell des Katholizismus, begründet. Die Bibelworte, auf die sich die Fundamentalisten dabei berufen, haben ähnliche mythologische Ursprünge wie die zur Abschreckung herangezogenen Zitate aus dem Koran. Allesamt sind sie Zeugen vergangener Epochen, in denen sie es nicht vermochten und möglicherweise auch gar nicht beabsichtigten, die Menschen auf eine humane Gesinnung zu verpflichten. Im Gegenteil. Aus allen heiligen Schriften lassen sich Rechtfertigungen ableiten für sämtliche menschlichen Verfehlungen. Der machtbewusste und strafende Gott, der Noah dem Elend aussetzt, um dessen Gottvertrauen zu prüfen, ist genauso widerlich wie der Gott, der von seinem Sohn den Tod verlangt, um die Erbschuld der Menschen durch Blut zu tilgen. Wäre der Gott des Alten und des Neuen Testaments als Humanist gedacht worden, hätte er Noah die Freiheit eingeräumt, seinen eigenen Weg zu gehen. Und Jesus und die Menschheit hätte er ohne Gegenleistung begnadigen können. Aber Gott ist das Produkt vieler Menschen, von denen einige das Ideal der Nächstenliebe propagierten, andere den strafenden Weltherrscher und noch andere den eifersüchtigen Ideologen, der dazu aufruft, die Ungläubigen, die Abweichler, zu töten.
Mutmaßlich wird kein lebender und kein gestorbener Mensch jemals den Beweis für die Existenz eines Gottes antreten können. Deswegen wird ein Leben mit dieser These es ermöglichen, die Welt von heute und morgen so zu gestalten, dass sie ganz ohne Gott lebenswert wird.
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Umschlagbild einer aktuellen Nummer der Zeitschrift „Einsicht“
© Freundeskreis von Una Voce e.V.