Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Starkes Buch. Sollten Sie sich kaufen und gar nicht erst die vielen Besprechungen lesen, sondern selber die meist kurzen Texte ganz unterschiedlicher Art und verschiedener Thematiken genießen, deshalb genießen, weil Deniz Yücels Schreibe von der Art ist, die süffig informiert und mit der Meinung nicht hinter dem Berg hält, dies aber auf sehr feinsinnige und gekonnte Art.
Das Gegenteil also vom Holzhammer und damit auch das Gegenteil der türkischen Gefolgsleute von Erdogan und ihm selbst, die ihn einsperrten. Ein ganzes Jahr nun schon und wie dieses 215 Seiten starker Band überhaupt zu Stande kam, das zeigt schon die starken Nerven, die Deniz Yücel haben muß, um ungebrochen seine Situation auszuhalten, die ja vor allem im Entzug von Leben, von Gesprächen, von eigenem Arbeiten, also Schreiben gekennzeichnet ist. Gut an diesem Buch ist auch, daß man keinerlei Vorkenntnisse braucht. Nicht mal über seine Situation im Gefängnis.
Die beschreibt nämlich seine ehemalige taz-Kollegin Doris Akrap, die diese gesamte Flugschrift in Gang gesetzt hat und das Zustandekommen erreichte. Bei der taz war Yücel lange beschäftigt, und die taz-Leser kennen ihn als Journalisten wohl am besten. Er ist aber als Korrespondent der WELT in der Türkei vor einem Jahr verhaftet und bis heute ohne Anklage einfach eingesperrt worden. Bekannt ist nur: „Die türkische Justiz hält seine journalistische Arbeit für ‚Terrorpropaganda und Volksverhetzung‘.(S. 5)
Und es wird sogar genauer, so daß jeder Leser ‚die Beweise für die Anschuldigungen‘ selber lesen kann: ein Interview mit dem Vizechef der PKK („Ja, es gab interne Hinrichtungen“ ab Seite 122) und die Geschichte über den Machtausbau des türkischen Staatspräsidenten („Der Putschist“ ab Seite 167). Was für ein armseliger Staat, denkt man sich beim Lesen, der heute wie im Mittelalter Leute wegen ihrer Meinung einsperrt. Dabei ist das nun eine falsche Zuschreibung des Mittelalters. Denn damals war das freie Wort viel freier, als in vielen der heutigen, sich als Nationalstaaten gebenden Länder, dabei wissen doch gerade wir Deutschen, welche Verirrungen und Verbrechen zustandekommen, wenn man, statt das große Ganze im Blick zu haben, was immerhin das Heilige Römische Reich Deutscher Nation noch hinbekam, Kleinstaaterei macht und daraus einen Staat zimmert, in dem alles einheitlich sein soll, vor allem die Meinung und erst recht die veröffentlichte Meinung.
Wenn also Doris Akrap schreibt: „In anderen Ländern kriegt man für solche Texte Journalistenpreise. In der aktuellen Türkei kriegt man dafür Knast.“ (S.5), ist das eine zutreffende Charakterisierung, weil die so völlig unterschiedlichen Texte eines zeigen: der Mann kann schreiben. Als Journalistenkollegin zieht man da gerne den nichtvorhandenen Hut! Die Leichtigkeit, die Frechheit, mit der die Worte treffend gewählt sind, zeigen, daß schon die schulischen Voraussetzungen des im hessischen Flörsheim geborenen Deniz Yücel gestimmt haben müssen, denn alles kann man mit den Genen, auch dem Schreibgen nicht erklären.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
© Cover
Info:
Deniz Yücel, Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte,hrsg. Von Doris Akrap, Nautilus Flugschrift, Edition Nautilus, 14. Februar 2018