kpm Jusos NoGroKoÜber die Unfähigkeit von Parteieliten

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mitglieder und (potentielle) Wähler der SPD, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit müssen sich in diesen Tagen als politisch entmündigt und unzurechnungsfähig vorkommen.

Denn die Führungsriege der Sozialdemokraten scheint die Bürger nicht mehr ernst zu nehmen. Obwohl dem Parteivorstand zwei Volljuristen angehören (Malu Dreyer und Olaf Scholz), war nach dem Rücktritt von Martin Schulz sofort von Andrea Nahles als kommissarischer Vorsitzender die Rede. Die ist bislang weder stellvertretende Vorsitzende noch gehört sie dem Parteirat an (in dem ein weiterer Jurist, der ehemalige Richter und Staatsanwalt Stephan Weil, nunmehr niedersächsischer Ministerpräsident, Sitz und Stimme hat). Keiner der Rechtskundigen war offensichtlich mit der Parteisatzung vertraut. Erst der Vorsitzende sozialdemokratischer Juristen musste seinen Genossen und Berufskollegen Nachhilfe leisten. Kein Wunder, dass der ARD-Deutschlandtrend die SPD derzeit nur noch bei 16 Prozent Wählerzustimmung sieht.

Die Vorgänge berechtigen zu Mutmaßungen über die Qualität des ausgehandelten Koalitionsvertrags. Hat auch bei ihm ein hohes Maß an Ahnungslosigkeit die Feder geführt? Lag die Verhandlung in den Händen fachlich ungeeigneter Personen? Die Vereinbarungen vermitteln zumindest den Eindruck, dass es sich um eine Liste handelt, in der vor allem das, was nicht drinsteht, für die Deutschen relevant sein würde. Und man darum von einem „Weiter so“ ausgehen kann, falls es zur GroKo käme.

Die Absichtserklärungen zur Bürgerversicherung und zur Mietpreisbremse (letztere wäre der zweite dilettantische Versuch) lesen sich wie das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Die sieht man nur, wenn man daran glaubt oder anderen etwas vorlügt. Dem in Aussicht gestellten Wohnbaugeld für Kinder fehlt das Pendant, nämlich ein Mietwohnungsgeld. Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen, die vorrangig den öffentlichen Dienst betrifft, ist ein Unrecht, das nicht in kleinen Schritten, sondern unverzüglich eingestellt werden müsste. Das würde selbstverständlich Steuergeld kosten. Aber zu einer Änderung in der Steuerpolitik zu Lasten hoher Einkommen und der Kapital- und Unternehmenserträge ließ sich keine Einigung erzielen. Auffallend ist auch, dass alle, die über den Koalitionsvertrag verhandelt haben, auch CDU und CSU, beim Gebrauch des Worts „Digitalisierung“ den Eindruck vermitteln, nicht zu wissen, wovon sie eigentlich reden. Nämlich so, als ginge es lediglich darum, eine tausend Kilometer Kabel zusätzlich zu verlegen, jedoch die Auswirkungen der technologischen Umwälzung auf Arbeitsprozesse und Beschäftigung sowie die lukrative Jagd auf Privatdaten zu verschweigen. Die Stabilität der gesetzlichen Rente wird voraussichtlich erst ab 2025 gefährdet sein, wenn sich die faulen Früchte der Agenda-Politik auswirken. Konkret also Leih- und Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung sowie größere Lücken in der Erwerbsbiografie. Ebenso legt das Fehlen einer Kurskorrektur in der Energie- und Umweltpolitik die Vermutung nahe, dass nicht geplant ist, Wesentliches zu ändern.

Wenn die SPD-Mitglieder über diesen Vertrag abstimmen, könnte ihr Votum Folgendes bewirken: Eine erneute GroKo, die für die Sozialdemokraten mittelfristig stabile 15 bis 18 Prozent der Wählerzustimmung bedeutete und sie kaum noch in die Lage versetzte, einen nennenswerten politischen Einfluss auszuüben. Oder eine Minderheitsregierung unter Angela Merkel, verbunden mit einer Stärkung des Parlaments und der Aussicht für eine dann innovative SPD, die Chancen besäße, in spätestens vier Jahren 30 und mehr Prozent der Stimmen zu erhalten. Denkbar wäre aber auch die Auflösung des Bundestags und Neuwahlen. Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Trauerspiels könnten letztere für die SPD ähnlich verlustreich enden wie die Neuauflage der GroKo.

Die SPD-Politik des zurückliegenden knappen halben Jahres erinnert mich an einen anderen historischen Irrtum von großer Tragweite. Nämlich an den Übermut des Herzogs von Gramont, der Bismarck 1870 den Fehdehandschuh hinwarf (nach der Emser Depesche). Der Fehler gründete auf einer unverzeihlichen Fehleinschätzung der damaligen politischen und militärischen Lage und beschwor ohne Not eine bittere Niederlage Frankreichs herauf. Diese hatte für lange Zeit Auswirkungen auf die gesamte europäische Geschichte.

Foto:
NoGroKo-Aktion der Jungsozialisten in Karlsruhe-Land
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