Bildschirmfoto 2018 02 19 um 13.43.41Die israelische Strategie in Libanon

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Nach dem Abschuss eines israelischen Düsenjägers durch die syrische Flugabwehr ist die Anspannung gross – Analysen versuchen, die Lage zu deuten.

Wer die Wahl hat, der hat die Qual. Wie Pilze nach dem Regen schossen die Reaktionen israelischer Militärs, Politiker, aber auch wirklicher oder selbst ernannter Experten nach den multiplen militärischen Konfrontationen des letzten Wochenendes in Israels Norden aus dem Boden der Meinungsmacherei. Zu den aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrungen im strategischen Bereich eher ernst zu nehmenden Äusserungen zählen jene von Amos Yadlin, dem ehemaligen Chef der militärischen Abwehr Israels und heute Exekutiv-Direktor des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien.


Eine Konfrontation

Am Tag nach dem Abschuss der iranischen Drohne durch Israel und dem Abschuss eines israelischen Düsenjägers F16 durch die syrische Flugabwehr sah Yadlin eine «grosse strategische Konfrontation» in Syrien am Horizont zwischen Israel und Iran gegenüber loyalen Truppen. Darauf folgte eine Serie von Vergeltungsschlägen der israelischen Luftwaffe gegenüber Syrien, bei denen Damaskus rund die Hälfte seiner diesbezüglichen Abwehrkapazität verloren haben soll. «Wir sprechen von einem bisher noch nie unternommenen Versuch», sagte Yadlin mit Bezug auf die Infiltration der Drohne. Die mögliche Motivation sei Irans Wunsch gewesen, Israels fortdauernde Versuche zu unterbinden, die Waffentransporte für die schiitische Hizbollahmiliz in Libanon zu unterbinden. «Die Iraner sind nicht zufrieden mit der Handlungsfreiheit, die Israel sich genommen hat. Folglich wollten sie Israel zeigen, dass sie selber auch in der Lage seien, israelisches Territorium zu attackieren», kommentierte Yadlin. Israel stehe nun, fuhr der ehemalige Abwehrchef fort, vor einem schwierigen Dilemma: Soll man vorbeugend agieren, oder auf den nächsten Krieg warten? «Das israelische Kabinett muss untersuchen, ob die präzisionsgelenkten Raketen in Syrien eine präemptive Operation rechtfertigen würden, auch wenn sie uns zum nächsten Krieg führen könnte.» Fürs Erste, so schloss der Ex-General seine Überlegungen, scheint die israelische Regierung die iranischen Aktionen in Syrien «Fall um Fall» zu behandeln. Der ehemalige Luftwaffenpilot Amos Yadlin, der 1981 an der legendären Operation Opera teilgenommen hatte, welche die irakische Nuklear-Installation von Osirak zerstörte, fürchtet, dass es keine Frage mehr sei, «ob» eine nächste Runde der Gewalt in Israels Norden anstehe, sondern «wann».


Die Rolle Russlands

Was die Rolle Russlands in diesem Konfrontationsszenario angeht, macht die Zeitung «Haaretz» die folgenden Überlegungen: «Premierminister Binyamin Netanyahu hat die präzedenzlose Intimität seiner engen Beziehungen und häufigen Treffen mit Russlands Präsidenten Putin hochgespielt und dabei den falschen Eindruck geschaffen, das Moskau in den Bemühungen, dem iranischen Eindringen in Syrien und Libanon Einhalt zu gebieten, zu Israels Gunsten tendiere. Russland ist jedoch ein Akteur auf der Weltbühne, dem jede Sensibilität fehlt und dessen einziges Interesse darin besteht, russische Interessen zu fördern. Moskau strebt danach, zum unabdingbaren Partner im Nahen Osten zu werden, oft zu Lasten der USA, und stimmt die Politik darauf ab. Die Logik diktiert deshalb, dass Moskau einerseits zwar kein Aufflammen des Konflikts sucht, was diametral unbeabsichtigte Umstände auslösen könnte, andererseits aber auch nicht daran interessiert ist, die israelisch-iranische Kontroverse zu lösen. Ein Zustand der konstanten Spannung mit periodischem Wetterleuchten, das seine Intervention erforderlich macht, wäre für Moskau das Beste.»


Abschreckung der Hizbollah

In seiner bekannt sachlichen, oft unterkühlten Art nimmt der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Arens (Likud), inzwischen auch schon über 90 Jahre alt, unter dem Titel «Die Abschreckungskraft Israels in Libanon hat versagt» zum Geschehen im Norden Israels Stellung: «Hinter dem Feuerwechsel zwischen Israel einerseits und Iranern und Syrern andererseits verbergen sich Offensiv-Kapazitäten, die noch nicht freigelassen worden sind. Bis jetzt schreckt jede Seite davor zurück, ihr volles Potenzial einzusetzen, um der anderen Seite Schaden zuzufügen.» Arens kommt dabei zu folgenden Schlussfolgerungen:

«Ist diese beidseitige Abschreckungskraft stabil? Nicht wirklich, wenn man in Betracht zieht, mit wem wir es zu tun haben. Hizbollah, Allahs Partei, bezieht die Befehle von Allah oder von den Ayatollahs in Teheran, was fast das Gleiche ist. Sich darauf zu verlassen, sie abzuschrecken, ist problematisch.

Seit vielen Jahren besteht Israels Strategie in einer Abschreckung der Hizbollah. Befürworter dieser Strategie behaupten, die Abschreckung funktioniere, und weisen dabei auf die Ruhe an der nördlichen Grenze seit dem zweiten Libanon-Krieg als Beweis hin. Aber wer denkt, dass die Abschreckung der Hizbollah funktioniere, vergisst, dass in den seither verstrichenen Jahren das Raketenarsenal der Hizbollah gewaltig angewachsen ist. Was uns wie ruhige Jahre erscheint, waren für sie Jahre der Aufstockung des Raketenbestandes. Im Verlauf der Jahre hat die Gefahr nur zugenommen.­

Effektiv verfolgt die israelische Militärstrategie den einseitigen Rückzug seit dem ersten Libanon-Krieg, das Im-Stiche-Lassen von Alliierten der Südlibanesischen Armee und das riesige Raketenarsenal, das die Hizbollah in den dazwischeliegenden Jahren angesammelt hat. Irans Versuch, das Raketenarsenal der Hizbollah aufzubessern, hat gezeigt, dass jene Strategie nicht mehr ganz aktuell ist. Sie hat versagt. Israels Zielsetzung sollte sein, das gesamte Raketenarsenal der Hizbollah zu vernichten. Die Hizbollah verwandelt Libanon in ein Pulverfass und gefährdet den ganzen Nahen Osten. Israel muss dies den USA und der internationalen Völkergemeinschaft klarmachen. Es müssen Aktionen erfgriffen werden, um dieses Ziel zu erreichen, bevor es nötig wird, zu Gewalt zu greifen.»


«Schuft oder Staatsmann?»

Schon eher von seiner bekannten persönlich-bissigen Art geprägt war die Reaktion des Polit-Analysten Chemi Shalev. Das beginnt schon beim Titel seines Kommentars: «Schuft oder Staatsmann?» Und mit dem Untertitel «Netanyahus Zweifrontenkrieg gegen Iran und Israels Polizei» schuf Shalev eine klare Verbindung zwischen dem militärischen Geschehen im Norden des Landes und den gegen den Premier fürs Erste abgeschlossenen Untersuchungen in Korruptionsfällen. Das gelangt auch in seinen Schlussfolgerungen klar zum Ausdruck: «Netanyahu weiss, dass der Polizeibericht bisher unbekannte Einzelheiten über seinen vermutlichen Handel mit Milliardären und seine fragwürdigen Deals mit dem Verleger von ‹Yediot Achronot› enthüllen wird. Der in allen Details von Polizeichef Alsheikh getragene Bericht wird das Pendel der öffentlichen Meinung gegen ihn zurückschwingen lassen. Netanyahu, der noch nie aufgegeben hat, wenn es um sein eigenes politisches Schicksal geht, wird weiter die Integrität Alsheiks und seines Berichts anzweifeln. Indirekt wird er dabei die Israeli daran erinnern, möglicherweise mit der Hilfe von Teheran, Beirut und Damaskus, dass die Absetzung eines Premierministers in solch schlimmen und gefährlichen Zeiten, nur weil er zufälligerweise korrupt ist, ein Luxus wäre, den Israel sich nicht leisten kann.»

Shalevs Wortwahl mag überspitzt und
von persönlichen Affinitäten beziehungsweise
Antipathien geprägt sein, doch wenn sich durch den Polizeibericht auch nur andeutungsweise ein Zusammenhang zwischen den Motivationen für eine militärische Eskalation und den Untersuchungen gegen Ne­tanyahu herausstellen sollte, könnte die politische Zukunft Ne­tanyahus tatsächlich gefährdet sein.

Foto: 
Die Trümmer des abgeschossenen israelischen Düsenjägers F16 
durch die syrische Flugabwehr.© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 16. Februar 2018