Dauerüberwachung erneut für rechtswidrig erklärt
Constanze Weinberg
München (Weltexpresso) – Wider Erwarten - vergl. unsere gestrigen Aussage (Link unten)- ging alles sehr schnell: Nach nur vierstündiger mündlicher Berufungsverhandlung hat das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster am 13. März entschieden, dass die fast 40jährige geheimdienstliche Überwachung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Rolf Gössner unverhältnismäßig und rechtswidrig war.
Damit wies das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Bundesregierung und des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Köln aus dem Jahr 2011 zurück. Es bescheinigte dem Inlandsgeheimdienst, jahrzehntelang gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen essentielle Grundrechte des Klägers und Betroffenen Dr. Rolf Gössner verstoßen zu haben.
Nach Angaben des Rechtsvertreters von Rolf Gössner, des Freiburger Rechtsanwalts Dr. Udo Kauß, führte das Oberverwaltungsgericht aus, dass es in Bezug auf seinen Mandanten im gesamten Beobachtungszeitraum von 1970 bis 2008 keinerlei „tatsächliche Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen gegeben habe. Es fehle auch an Anhaltspunkten dafür, dass Rolf Gössner angeblich „linksextremistische“ Organisationen oder deren verfassungsfeindliche Ziele nachdrücklich unterstützt habe. Darüber hinaus sei die Beobachtung angesichts der mit ihr einher gehenden Grundrechtseingriffe auch unverhältnismäßig gewesen.
Rolf Gössner äußerte sich nach mehr als zwölfjähriger Verfahrensdauer erleichtert über den Ausgang der Berufung. „Ich bedanke mich sehr herzlich für die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und guten Wünsche zum Ausgang dieses Prozesses, die mich in meinem Durchhaltevermögen sehr bestärkt und nun zu einem guten Ergebnis geführt haben“, sagte er nach Bekanntgabe der Entscheidung. „Dieses Urteil ist ein gerichtlicher Sieg über geheimdienstliche Verleumdungen und Willkür, eine Entscheidung zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit.“
Sein Prozessvertreter Kauß, ergänzte: „Die beiden Urteile des Verwaltungsgerichts Köln und des OVG Nordrhein-Westfalen sind Meilensteine im Kampf gegen einen übergriffigen Inlandsgeheimdienst. Ein Geheimdienst hat im Meinungsbereich nichts zu suchen. Das gilt für alle Bürger und Bürgerinnen – insbesondere auch für Berufsgeheimnisträger; denn unter Überwachungsbedingungen ist der Schutz von Berufsgeheimnissen nicht zu gewährleisten.“
In seiner persönlichen Erklärung vor dem OVG hatte Rolf Gössner u.a. anderem ausgeführt: „Die Einlassungen des Bundesamts für Verfassungsschutz vor Gericht sind vom Kalte-Kriegs-Denken durchdrungen, sind illiberale Zeugnisse einer Geheiminstitution, die sich unter der Etikette ‚Verfassungsschutz’ zu einer ideologischen und inquisitorischen Gesinnungsüberprüfungsbehörde aufgeschwungen hat, wie sie mit der Verfassung und den Grundrechten auf Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit nicht vereinbar ist. Auf einem solchen Niveau vor Gericht in einem einseitig ideologisch aufgeladenen Verfahren zu streiten, ist geradezu kafkaesk, hat einen zensurierenden und demokratiefeindlichen Beigeschmack, der wohl kaum zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft passt.“
Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Das OVG hat wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ der Rechtssache die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Es bleibt nach Darstellung von Kauß abzuwarten, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz den Weg der Revision beschreitet. Solange sei das Urteil des OVG nicht rechtskräftig und die absurde Überwachungsgeschichte und ihre gerichtliche Aufarbeitung noch nicht beendet.
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