hwk kruse berlin1Weltexpressoautor Hanswerner Kruse über seine Studentenbewegung, Teil 2/2

Hanswerner Kruse

Schlüchern (Weltexpresso) - Im Mai 1967 sprengten wir - mit Luftballons, Konfetti und frechen Parolen - den großen Zapfenstreich der Bundeswehr zum Gedenken an die Skagerrak-Schlacht. So erreichte die Revolte auch unser kleines Nordseekaff. Die ersten von uns flüchteten vor der Bundeswehr nach West-Berlin, rauchten Joints und berichteten von ihren Abenteuern in den Berliner Straßen. Ich kam nur bis Oldenburg aufs Wirtschaftsgymnasium, pendelte jeden Tag mit dem Zug und wollte zum Leidwesen meiner Mutter nicht mehr Ingenieur, sondern Berliner Student werden. Nun hatte ich lange Haare, eine Mao-Plakette, die Nickelbrille mit Fensterglas. Und immer noch ständig ein Buch dabei.

Wir gründeten den Sozialistischen Jugendbund und versuchten, der Marine den Krieg schwer zu machen, Wilhelmshaven war schon immer eine Kriegsmarinestadt. Zum Ärger der nicht mehr illegalen, langsam legal werdenden, bald DKP-Genossen interessierten wir uns mehr für Sex und Drogen, Beat-Musik und antiautoritäre Aktionen als für die DDR und disziplinierte politische Arbeit. Und auch als die Berliner Genossen kamen und mit uns Bundeswehrdepots überfallen wollten, taten wir ein bisschen bekiffter als wir wirklich waren und tanzten die lange, die ganz lange Fassung von In-A-Gadda-Da-Vida. Wir wollten nicht wirklich Guerillakrieg spielen, wir hatten Schiss vor Gewalt, wir Mittelstandskinder, aber dennoch wollten wir Freiheit und ein Stück vom wirklichen leidenschaftlichen Leben, von denen wilde Menschen wie Jimy Hendrix, Janis Joplin oder Jim Morrison erzählten: „You know the day destroy the night/ Night devide the day/, Try to run, try to hide/ Break on through to the other side...”

1968 in den Osterferien war ich drei Wochen in Berlin, war ’68 also wirklich dabei, wohnte bei Joschi dem Maler in der Köpenicker Straße im alten Kreuzberger Schlachterladen an der Spree, kaufte mittags Schrippen, nachmittags im Osten preiswerte linke Bücher. Abends erlebte ich wie MC5 ihren Zorn in die Menge schleuderten, „Kick out the jams, motherfuckers“ im Audi Max der TU brüllten, motherfuckers, nicht brothers and sisters wie später auf der Platte. Im Sportpalast war ich dabei, als ein paar irre gewordene SDSler Frank Zappa am Spielen hinderten und mit ihm vorm Amerika-Haus demonstrieren wollten. Im SDS bekam ich mit, wie Rudi Dutschke ’runtergemacht wurde, weil die Genossen seine individualistischen Eskapaden missbilligten. Und ein paar Tage später, nach dem Attentat auf ihn, irrte ich zwischen den brennenden Springerautos herum, wurde von Berliner Patrioten erwischt und verprügelt, von Polizisten gejagt und von mildtätigen Krankenschwestern in ihr nahe dem Springerhochhaus gelegenes Wohnheim gezogen.

Zurück in Ostfriesland war ich endgültig ein Revoluzzer geworden. Wir nannten unseren Jugendclub Anarchistisches Syndikat, kleideten uns schwarz und hatten immer noch eine Menge Spaß, wenn wir in antiautoritären Aktionen anlässlich der Notstandsgesetze Schulen besetzten, gegen die NPD demonstrierten oder amerikanische Schiffe im Wilhelmshavener Hafen zu versenken oder, na ja, wenigstens zu besetzen versuchten.

1970 ging ich mit einigen von uns nach Berlin, wir gründeten dort die erste anarchistische Kommune und hatten eine große Klappe, bei uns gingen die „Umherschweifenden Haschrebellen“ ein und aus, brachten immer einen Joint und manchmal geklaute Joghurt-Stiegen mit. Sie schliefen gerne mit unseren Freundinnen und wir schluckten tapfer unsere Eifersucht herunter, schließlich lehrten sie uns „High sein, frei sein, Terror muss dabei sein...!“. Ohne uns machten sie Brandanschläge und andere Aktionen, denn in diesen Gründerzeiten der Marxistisch-Leninistischen Parteien „sollten ihre Flammenzeichen an den Agenturen der Unterdrückung den Feind wieder sichtbar machen“, wie Klaus Hartung später pathetisch schrieb. Auch ich kam ich in den Moabiter Knast weil ich an einer brennenden Bank vorbei lief und ein Taxifahrer rief, „Der da, der mit der großen Nase, der war auch dabei...“ Wieder mal U-Haft, Jimy Hendrix und Janis Joplin starben und mein Rechtsanwalt Christian Ströbele stellte fest, „Im Gegensatz zu den Aussagen des Zeugen hat der Beschuldigte Kruse eine kleine unauffällige Stupsnase.“ Glücklicherweise kam ich deshalb nach vier Wochen wieder frei.

Studentische Genossen forderten mich auf, „wirklicher Revolutionär“ zu werden, die Haare schneiden zu lassen, in die zu Fabrik gehen, das Proletariat zu agitieren, den Betriebskampf zu beginnen... In die Fabrik gehen? Düstere Hallen? Löcher bohren? Bleche feilen? Gewinde schneiden? Flächen fräsen? Brötchen kaufen? Putzen? Gänge fegen? „Für wen?“, rief Rio Reiser von den Ton Steine Scherben, „Macht kaputt was euch kaputt macht!“.

Aber wie?

Endlich war ich in Berlin angekommen doch die Bewegung zerfiel in maoistische Sekten, gewalttätige Kampfbrigaden, drogenabhängige Kleinkriminelle und harmlose Reformer - mein ’68 war vorbei.

Fotos: 
Unterschrift Titelfoto: Wenige Minuten nach dem Brandanschlag wurde dieser Jugendliche unter Tatverdacht festgenommen © BZ©

Info:
Über den Autor: 

hwk 0054Der 1948 geborene Hanswerner Kruse wurde nach 1968 ein relativ bekannter Keramiker mit eigener Werkstatt im Taunus. Er studierte parallel Pädagogik, Kunstgeschichte und Soziologie in den 1980er-Jahren in Frankfurt und widmete sich zugleich aktiv der Performance-Kunst. War dann ab 1989 zwanzig Jahre lang hauptberuflicher Mitarbeiter in der Erwachsenenbildung beim Landeswohlfahrtsverband Hessen (dem Träger der psychiatrischen Einrichtungen in Hessen) zur Unterstützung der Psychiatrie-Enquete. Kruse pendelt seit zehn Jahren als freiberuflicher Kultur-Journalist zwischen Berlin und Osthessen, schreibt hauptsächlich für die Fuldaer Zeitung sowie online für den Frankfurter weltexpresso.de - Schwerpunkte Film, Tanz und Bildende Kunst. Er lebt mit seiner Frau, der Bildhauerin Hannah Wölfel, in einer Ü-60-Wohngemeinschaft in Schlüchtern, wenn er nicht in Berlin ist.


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