Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Premierminister Binyamin Netanyahus Tel Aviver Pressekonferenz über die «iranischen Lügner» war gewiss mehr als nur Schaumschlägerei. Um 20 Uhr am letzten Montagabend, zur besten TV-Sendezeit also, liess der Regierungschef eine publizistische Bombe platzen, mit der er nach Möglichkeit verhindern will, dass Iran die nukleare Bombe zünden kann, an der die Islamische Republik laut Netanyahu trotz energischer Dementis aus Teheran vor, während und nach der Unterzeichnung des Nuklear-Deals unbeirrt weiterarbeitet.
«Iran lügt», war einer von Netan-
yahus Kernsätzen. Er setzte die USA über Zigtausende Seiten von Dokumenten in Kenntnis, in deren Besitz der Mossad-Geheimdienst vor einigen Wochen gelangt sei. Israelische Kommentatoren sprachen in diesem Zusammenhang von einer «Meisterleistung erster Klasse». Alles in allem hat Israel nach eigenen Angaben eine halbe Tonne Material – 55 000 Seiten und weitere 55 000 Dokumente auf 183 CDs. Iran habe ein «atomares Archiv» von Dokumenten über sein nukleares Programm verborgen gehalten, unterstrich Netanyahu.
Teheran, so fuhr er fort, würde erstens «vollauf lügen», wenn es behauptet, kein nukleares Programm zu haben, an dem es arbeitet. Zweitens fuhr es auch nach dem Deal fort, sein nukleares Programm für künftigen Gebrauch zu expandieren. Genau hier aber begab der Regierungschef sich auf dünnes Eis, was seine Spekulationen anging. Er brachte nämlich keinen einzigen echten Beweis für ein auch nach der Unterzeichnung des Nuklear-Deals fortgesetztes iranisches Atomprogramm.
«Iran lügt»
Wörtlich meinte der Regierungschef an seiner Präsentation: «Iran lügt, wenn es sagt, nie ein geheimes nukleares Programm gehabt zu haben. Iran habe auch die Unwahrheit gesprochen, indem es sich der Atomenergiekommission IAEA gegenüber nicht reingewaschen habe. «Der Nuklear-Deal basiert auf Lügen, auf iranischen Täuschungen», meinte Netanyahu zum Schluss, als er darauf hinwies, er hoffe, Präsident Trump werde am 12. Mai den richtigen Entscheid treffen, für die USA, für Israel und für den Weltfrieden. Nach dieser geballten publizistischen Ladung in Richtung Teheran wird Israel leichteren Herzens der Enthüllung des wahren Urhebers des Luftangriffs von Sonntagnacht gegen syrische Armeebasen und gegen mehrere hundert zerstörte Boden-Boden-Raketen entgegensehen. Einige dieser Projektile waren möglicherweise für Irans Vergeltungsschlag gegen Israel vorgesehen. Dies umso mehr, als dass am Dienstag US-Offizielle gegenüber der TV-Station NBC erklärten, israelische F-15-Maschinen hätten den Luftangriff von Sonntagnacht durchgeführt. Massgebliche Kreise im israelischen Verteidigungsestablishment rechnen inzwischen immer mehr mit einer offenen kriegerischen Auseinandersetzung mit Iran. Auch das bestätigten die Offiziellen gegenüber NBC. Zu guter Letzt versuchten israelische Militärexperten zu beschwichtigen, indem sie ihrer Überzeugung Ausdruck gaben, dass weder Jerusalem noch Teheran oder Moskau an einem wirklichen Krieg interessiert seien. Das heisse aber nicht, dass nicht irgendwelche Fanatiker auf welcher Seite auch immer die Finger zu leichtfertig am Abzug hätten und damit den Teufelskreis von Reaktion und Gegenreaktion auslösten.
Keine Schaumschlägerei
Netanyahus Präsentation im Tel Aviver Verteidigungsministerium war also insofern keine Schaumschlägerei, als dass die Tatsache der Existenz eines Teheraner Atomprogramms vor der Unterzeichnung des Nuklear-Deals von niemandem wirklich abgestritten wird, nicht einmal von den Iranern selber. Der Brückenschlag von der Periode vor der Unterzeichnung bis zur Gegenwart ist Netanyahu allerdings höchstens partiell gelungen. So sehr beispielsweise Netanyahus Hinweis auf Irans Pläne beeindruckt, atomare Sprengköpfe mit einer Kraft herzustellen, welche fünf Hiroshima-Bomben gleichkommen würde – das Projekt stammt aus der Periode vor dem Nuklear-Deal von 2015.
EU-Aussenministerin Federica Mogherini etwa und die Internationale Atomenergie-Organisation (IEAE) deuteten an, dass Netanyahu keine klaren Beweise für eine Vertragsverletzung durch die Iraner erbracht habe. In gleichem Sinne äusserte sich «Haaretz». Netanyahu habe eines vermissen lassen: eindeutige Beweise dafür, dass Iran effektiv etwas getan habe, was den JCPOA (Nuklear-Deal) verletzen würde. Dass Teheran, hiess es weiter, de facto dieses nukleare Archiv verborgen hielt und dass die in den Dokumenten erwähnten Personen auch heute noch in den gleichen Bereichen aktiv seien, bedeute nicht unbedingt, dass ein «Schatten-Waffenprogramm» weitergeführt werde.
Auch wenn dem wahrscheinlich so sei – Netanyahu erbrachte die nötigen Beweise nicht. Dieser Fehler sei laut «Haaretz» so bestechend, dass er einen unglaublichen Coup des Geheimdienstes wegen Netanyahus aktuellen Absichten fast irrelevant und obsolet macht. Zwar diskreditierte Netanyahu den Mossad, die militärische Abwehr und alle anderen Agenturen nicht, die mitgewirkt haben mögen, doch er minderte ihren Erfolg herab. Kein Glanz ohne politischen Schatten...
Foto:
Binyamin Netanyahu setzte die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis, dass der Nuklear-Deal auf «iranischen Täuschungen» beruhe
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 4. Mai 2018
Teheran, so fuhr er fort, würde erstens «vollauf lügen», wenn es behauptet, kein nukleares Programm zu haben, an dem es arbeitet. Zweitens fuhr es auch nach dem Deal fort, sein nukleares Programm für künftigen Gebrauch zu expandieren. Genau hier aber begab der Regierungschef sich auf dünnes Eis, was seine Spekulationen anging. Er brachte nämlich keinen einzigen echten Beweis für ein auch nach der Unterzeichnung des Nuklear-Deals fortgesetztes iranisches Atomprogramm.
«Iran lügt»
Wörtlich meinte der Regierungschef an seiner Präsentation: «Iran lügt, wenn es sagt, nie ein geheimes nukleares Programm gehabt zu haben. Iran habe auch die Unwahrheit gesprochen, indem es sich der Atomenergiekommission IAEA gegenüber nicht reingewaschen habe. «Der Nuklear-Deal basiert auf Lügen, auf iranischen Täuschungen», meinte Netanyahu zum Schluss, als er darauf hinwies, er hoffe, Präsident Trump werde am 12. Mai den richtigen Entscheid treffen, für die USA, für Israel und für den Weltfrieden. Nach dieser geballten publizistischen Ladung in Richtung Teheran wird Israel leichteren Herzens der Enthüllung des wahren Urhebers des Luftangriffs von Sonntagnacht gegen syrische Armeebasen und gegen mehrere hundert zerstörte Boden-Boden-Raketen entgegensehen. Einige dieser Projektile waren möglicherweise für Irans Vergeltungsschlag gegen Israel vorgesehen. Dies umso mehr, als dass am Dienstag US-Offizielle gegenüber der TV-Station NBC erklärten, israelische F-15-Maschinen hätten den Luftangriff von Sonntagnacht durchgeführt. Massgebliche Kreise im israelischen Verteidigungsestablishment rechnen inzwischen immer mehr mit einer offenen kriegerischen Auseinandersetzung mit Iran. Auch das bestätigten die Offiziellen gegenüber NBC. Zu guter Letzt versuchten israelische Militärexperten zu beschwichtigen, indem sie ihrer Überzeugung Ausdruck gaben, dass weder Jerusalem noch Teheran oder Moskau an einem wirklichen Krieg interessiert seien. Das heisse aber nicht, dass nicht irgendwelche Fanatiker auf welcher Seite auch immer die Finger zu leichtfertig am Abzug hätten und damit den Teufelskreis von Reaktion und Gegenreaktion auslösten.
Keine Schaumschlägerei
Netanyahus Präsentation im Tel Aviver Verteidigungsministerium war also insofern keine Schaumschlägerei, als dass die Tatsache der Existenz eines Teheraner Atomprogramms vor der Unterzeichnung des Nuklear-Deals von niemandem wirklich abgestritten wird, nicht einmal von den Iranern selber. Der Brückenschlag von der Periode vor der Unterzeichnung bis zur Gegenwart ist Netanyahu allerdings höchstens partiell gelungen. So sehr beispielsweise Netanyahus Hinweis auf Irans Pläne beeindruckt, atomare Sprengköpfe mit einer Kraft herzustellen, welche fünf Hiroshima-Bomben gleichkommen würde – das Projekt stammt aus der Periode vor dem Nuklear-Deal von 2015.
EU-Aussenministerin Federica Mogherini etwa und die Internationale Atomenergie-Organisation (IEAE) deuteten an, dass Netanyahu keine klaren Beweise für eine Vertragsverletzung durch die Iraner erbracht habe. In gleichem Sinne äusserte sich «Haaretz». Netanyahu habe eines vermissen lassen: eindeutige Beweise dafür, dass Iran effektiv etwas getan habe, was den JCPOA (Nuklear-Deal) verletzen würde. Dass Teheran, hiess es weiter, de facto dieses nukleare Archiv verborgen hielt und dass die in den Dokumenten erwähnten Personen auch heute noch in den gleichen Bereichen aktiv seien, bedeute nicht unbedingt, dass ein «Schatten-Waffenprogramm» weitergeführt werde.
Auch wenn dem wahrscheinlich so sei – Netanyahu erbrachte die nötigen Beweise nicht. Dieser Fehler sei laut «Haaretz» so bestechend, dass er einen unglaublichen Coup des Geheimdienstes wegen Netanyahus aktuellen Absichten fast irrelevant und obsolet macht. Zwar diskreditierte Netanyahu den Mossad, die militärische Abwehr und alle anderen Agenturen nicht, die mitgewirkt haben mögen, doch er minderte ihren Erfolg herab. Kein Glanz ohne politischen Schatten...
Foto:
Binyamin Netanyahu setzte die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis, dass der Nuklear-Deal auf «iranischen Täuschungen» beruhe
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 4. Mai 2018