iuNHF89QUNDie Römerberggespräche intervenierten gegen das Vergessen und einen Verriss von 1968  Teil 1

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die diesjährigen Römerberggespräche zur Periode von 68 bis heute blickten zurück auf Ereignisse, Themen und Tage, die noch immer Kontroversen auslösen. Kein Bewegendes von damals lässt sich auf den Aktenberg der Geschichte legen, ein übergreifendes Interesse und Verlangen bleibt in Funktion; die persönliche Betroffenheit und emotionale Besetzung hält sich.
Übrigens: die Musik der 60er wurde mit keinem Wort angesprochen, obwohl sie ursächlich zum Komplex der 60er gehört und mit der Gruppe MC5 die Begeisterung der Revolte mitgetragen hat, vor allem nach dem Attentat auf Martin Luther King am 4. April 1968.

Mit dem zur Diskussion stehenden Bewusstsein einer anderen Historie – darin wirkt der Weltgeist eines Hegel, der Marx beflügelte - kommt auch in Erinnerung, dass wir, die wir uns immer wieder überglücklich schätzen, ausgerechnet zu Pubertätszeiten in jenen kurzen Augenblick der Weltgeschichte zwischen 1960 und 1970 hineingeboren zu sein, eine äußerst privilegierte Generation waren und sind. Der Aufbruch ging weltweit von statten, er war von universeller Geltung. Er brachte eine Zeitenwende. Wenn diese nicht gekommen wäre, wäre das Leben ein ziemlich ödes geworden, so empfinden wir es nicht erst heute. Die NGOs, die menschenrechtlich und zivilgesellschaftlich bewegten, die staaten- und konzern-kritischen, gehören zum Erbe von 68.

Darum auch bleiben ungeheure Widerstände heutiger Autoritäten gegen diesen kurzen Moment der Geschichte, da diese in gewisser Weise in ihrem herkömmlichen Gang eine Aussetzung erfuhr. Wir wollten wegkommen vom Fetisch der Rüstung, von der Unhaltbarkeit der Ausbeutung, Erniedrigung und Beleidigung des Menschen in der ganzen Welt; auch gegen Umweltzerstörung und Neo-Kolonialismus wurde die Klage erhoben. Der Krieg in Vietnam wurde zum entscheidenden Auslöser der Revolte. Das Unrecht der Welt hatte auch einen Marx in Bewegung versetzt. Dobrindt und Bär haben sich vehement gegen uns positioniert. Das Anti-68 ist von tiefer Feindschaft gegen das getragen, was seine Chance bekam und weiterhin Geltung beansprucht. Junge, vom Protest Bewegte sagen heute: Wir brauchen ein neues Achtundsechzig.

Apropos Musik: War es nicht genial, dass wir mit der Gruppe Led Zeppelin mitbekamen, wie ein unscheinbares Bluesmotiv durch eine leichte Zeitversetzung des Response zum Riff von „Whole Lotta Love“ wurde? Mit diesem ist eine ganze Zeitenwende perfekt in Noten gefasst. Diese hatte auch ihren musikalischen Ursprung. Es war die Zeit (wie Dave Davis von den Kinks sagt), in der alles möglich schien und auch wurde, besonders mit einem so innovativen Intro wie dem von „You Really Got Me, mit dem der Heavy Rock begründet wurde. Hinzu kam die neue Jugendmode aus der Kings Road und Carnaby Street, die in Nullkommanichts Verbreitung fand, während die Spießer ihr ungläubig und neidisch nachstierten.

Die 68er-Zeit war auch die Zeit der startenden Frauenbewegung. Die männlichen Eminenzen drängten diese erstmal noch ab, aber das wird sich immer weiter korrigieren und zwar massiv. Hat nicht 68 auch eine Ikone wie Grace Jones erst ermöglicht? Sie formte ihre jamaikanische Ausgabe des Techno. Ihre Klasse offenbart sich, wenn sie die Bühne zu beherrschen beginnt und extemporierend daher schreitet; dann ist es, als könnte sie sofort einem Kerl, der ihr dumm kommt, einen Haken geben, einem wie Trump, zum Beispiel. Und das hat sie wohl auch schon gemacht, als sie in ihrer Jugend lernen musste, sich zu erwehren. Sie schuf mit ihrem scharf durchdringenden Sprechgesang ein großartiges Idiom. Ihre Bühnenauftritte kamen wie Schocks daher. Ihre Marke lebt in der Verbindung von Elektro, Reggae und New Wave und ausdeutbaren Motiven nach dem Muster von „Pull Up to the Bumper“. Sie läuft leider oft nur wie nebenbei in Bars und Clubs, aber sobald sich ihre Stimme hören lässt, horcht man auf und denkt: das ist es.

Ein akademischer Tag mit Versuchen der Wiedergewinnung und der Frage: Was bleibt?

Der Münchner Ordinarius Armin Nassehi, der seit 2012 das Kursbuch betreut, referierte zum 68-Thema eloquent und voll der Einsicht. Er lieferte ein Referat. Es kam mit 68 etwas auf, das neu war: die Dauerreflexion, die Reflexion über Begründungen und die Infragestellung von Texten und Lehrern. Schelsky und Gehlen standen dagegen. Sie befürchteten Auflösung. Gehlen dachte institutionenkonform, hatte Angst vor der Institutionenlosigkeit. Gott, Konvention, aller Rahmen stand infrage. Das echte Gespräch, durchaus als Wert angesehen, wurde radikalisiert. Die Lebensformbesprechung wurde zur Mittelpunktsache.

Posen und Provokationen

Dauerreflexion konnte in Dauermoralisierung übergehen. Der Identitätsanspruch wurde zum Maß in Lebensverhältnissen von Kommunen. Er wurde individualistisch verstanden. Zeichen wurden geschaffen und umfunktioniert. Provoziert wurden die Vertreter des Bestehenden regelmäßig und nebenbei sollte die Öffentlichkeit aufgeweckt werden. Relativ neu ist, dass Posen und Provokationen heute von der Rechten kopiert werden. Sie klaut, wie auch der Nationalsozialismus dies schon tat, als er die Farbe Rot konfiszierte. Das war der Beginn von Werbepsychologie und PR. Nun hat auch Markus Söder mit seiner Kreuzanbring-Anweisung zu einer Provokation gegriffen, also hat auch er von der Linken übernommen.

Die Frage „What´s left?“, die den Gesprächen voranstand, war eigentlich nicht ganz zuständig, denn ein verengtes Verständnis von Links hätte dem Tag der Gespräche kaum genügt. Der Begriff links fasst ein Milieu von Jahrtausendwendebedeutung zu eng.

Priska Daphi, angesiedelt im Exzellenzcluster Normative Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt (Institut für Protest- und Bewegungsforschung), hätte noch sehr viel mehr an Informationen liefern wollen, aber ein nur einzelner Vor- und Nachmittag vereitelt dieses.

Der Protest hat den bürgerlichen Mittelstand erreicht

Es wurde forschend ermittelt, dass die Teilnahme an Protesten und die Beteiligung an politischen Stellungnahmen nicht entscheidend abgenommen haben. Nur weist das Engagement ein Mehr an Spektrum und Teilnahme aus Mittelständen auf. Die Breite ist nicht mehr ganz so vertreten wie damals.‘ Das informierte Bürgertum‘, das gewordene wie auch schon immer vorhandene, ist neuen, vielfältig bewegten und ausgerichteten Organisationen – dazu zählte eine kurze dramatische Phase lang auch Occupy Wallstreet - beigetreten. Occupy Wallstreet ist der Word-Textverarbeitung noch nicht bekannt. Wer steckt da wohl dahinter?

Neue Bewegungen richten sich heute gegen die verheerenden Globalisierungs-, Rationalisierungs- und Gentrifizierungsprozesse, gegen die Macht multinationaler Konzerne und Finanzoligopole. Grosso modo sind die Proteste weniger wild als in den Sechzigern. Auch das Erinnern wurde zu einem zentralen Bezugspunkt. Einmischungen aus dem außerparlamentarischen Raum und von der Straße ausgehend haben zugenommen. In Occupy wird ein neuer Startpunkt für eine wiedergewonnene Gegenbewegung gesehen. Der Internationalismus hat sich verstärkt.

Ulrich Herbert gab an, dass die Zapatisten ab 1994 mit ihren Aktionen die internationale Gegenbewegung gegen die Turboökonomie wesentlich beeinflusst und vorangebracht haben. Heute träten sehr unterschiedliche Menschen gegen sehr unterschiedliche Dinge auf. Aufgestiegene Themen seien die Globale Gerechtigkeit und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Und die Frauenbewegung habe den Strom verbreitert. Mancher Fortschritt werde beilläufig durch externe Faktoren erreicht, wie der deutsche Atomausstieg nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Angebliches Expertenwissen fordere Widerstand heraus.