5 Zeitleiste Aktionsrat Frau ullstein high 005017471Die Römerberggespräche intervenierten gegen das Vergessen und einen Verriss von 1968  Teil 2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die nächsten 50 Jahre werden anders sein. Wolfgang Kraushaar, abonniert auf die Historiographie der linken Bewegung von 1968, hält den Liberalismus der gelassenen neuen Art zu leben für unzureichend, er hält die politische Linke für nötiger denn je. Zu einer Identifikation komme es aber nicht, wenn Einheitserwartungen vorangestellt würden.
Die Linke sei unabgegolten. Ihre Ausrichtung müsse transnational und proeuropäisch sein. Die Partei die Linke stehe nicht wirklich für eine erprobte Linke, aufgrund ihrer mangelnden Regierungsfähigkeit, vor allem in Bezug auf Außenpolitik. Er konstatierte: die Linke war männlich dominiert, aber es gab eine Revolte in der Revolte, die sich anbahnte, jedoch erst noch Ferment blieb. Seit den Siebzigern stelle sie sich als zunehmend gelungen dar.

Die Frauen und die Neuregelung des Privaten sind politisch weiter im Kommen

Im Anschluss an die Nennung von Silvia Bovenschen, der Literaturwissenschaftlerin und Gründerin des 1968er-Weiberrats des SDS, rückte die Debatte zur Politik von und für Frauen endlich in den ihr zustehenden Mittelpunkt. Dass es dazu kommen musste, liegt in der notwendigen Entwicklung der Weltgeschichte beschlossen. Das entspricht, wie musikalisch bereits (was kein direkter Vergleich sein soll), auch dem notwendigen Gang des Weltgeistes.

Eventuelle und tatsächliche Konflikte zwischen den Geschlechtern wurden in der politischen 68er-Bewegung zunächst als Nebenwiderspruch angesehen und behandelt. Das Politische und das Private wurden als zueinander gleichgültig betrachtet. Gretchen Dutschke schildert in ihrem neuen Buch „68 – Worauf wir stolz sein dürfen“, dass Rudi, als sie ihn auf seinen Anteil als Vater eines Kindes hinwies, sagte: „Ich bin doch nur ein Mann“. Die anfangs nicht anerkannte gemeinsame Verantwortlichkeit gebar eine Gegenbewegung, nach der das Politische als privat und das Private als politisch anzusehen war, mit der Folge des Grundsatzes der Gleichstellung in allen Dingen. Der unvergessliche Ausdruck ein geforderten neuen Kultur des Zusammenhangs von privat und politisch war der Tomatenwurf vom 13 September 1968.

Und das kam so: „Auf dem SDS-Delegiertenkongress 1968 beschuldigte Helke Sander, Sprecherin des Aktionsrates zur Befreiung der Frau, die SDS-Männer, in ihrer Gesellschaftskritik nicht weit genug zu gehen, weil sie die Diskriminierung der Frauen ignorierten. Tatsächlich sei der SDS selbst das Spiegelbild einer männlich geprägten Gesellschaftsstruktur. Da die Genossen nicht bereit waren, diese Rede zu diskutieren und zur Tagesordnung übergehen wollten, warf Sigrid Rüger – als Zeichen weiblichen Protestes – Tomaten in Richtung Vorstandstisch“. (zitiert nach bpb – der Bundeszentrale der politischen Bildung – vom 8.9.2008). Die politische Generation war ihrem männlichen Part nach elitenbildungsbehaftet.

„Revoluzzer gegen Schwein“

Mit dem 5. Abschnitt der Römerberggespräche, dem Gespräch zwischen Christina von Hodenberg und Gisela Notz im Gespräch zur Frage „Wie emanzipatorisch war 1968 begann eigentlich erst der Hauptteil des Tages. Dazu musste es erst 16 Uhr werden. Im Privaten lag nämlich ein Fokus: die Familie selbst entfaltete die entscheidende Sprengkraft für 1968. Die Väter wurden befragt, was sie den damals getan hätten, wie sie sich zu Hitler und seinem System gestellt hätten. Aber auch wenn dies nicht geschah, lag das Thema damals seltsam in der Luft. Einerseits hieß es: Jetzt redet er wieder von seinen Kriegserlebnissen“, andererseits wurde auch zusammen geschwiegen, um die emotionalen Beziehungen nicht zu belasten (‚Das Schweigen bei Tisch‘). Teils hatten die Jungen die Alten auch schon aufgegeben.

Die Zeit nach dem Krieg brachte viele Scheidungen mit sich. Mit gebrochenen Helden wollten die Frauen nicht unbedingt zu tun haben. Manchmal war es so, dass die Großväter die Vaterrolle übernahmen und die Mütter den Laden schmissen. Die Ost-Frauen schienen sowieso von vornherein sich auf Emanzipation besser zu verstehen. Aber auch auf dieser Seite war es zunächst eher so, dass die Frauen auch noch vorwiegend den Kinderwagen schoben und die Hausarbeit erledigten. Im Westen hat die 68er-Bewegung das Mitwirken und Mitziehen der Männer dann langsam auf den Weg gebracht.

Trotz aller Merkwürdigkeiten und Inkonsequenzen, in der Rückschau darf der Schluss gezogen werden, dass die 68er-Bewegung zwar politisch an ihre Grenze gelangte, sie aber kulturell gesiegt hat und weiter Potential aufweist. Und es liegt nahe zu erkennen, dass über kulturelle Veränderungen auf Dauer politisch mehr erreicht und nachhaltiger verändert wird als durch tierisch angestrengte Politik mit all ihren Neurosen; wenngleich beim heutigen Zwischenstand kein Bescheiden im Politischen in Frage kommt. 1989 ging mit der Wiederentdeckung des Nationalismus einher, wie Günter Grass es damals unmittelbar auch prognostiziert hatte. Und tatsächlich demonstrierten schon im November 1989 grölende Glatzen durch die Straßen. Auch aus diesem Irrweg wird heute das Anti-68er-Feindbild gespeist.

Frauen waren Trägerinnen des Wandels

Die Gespenster der Fünfzigerjahre sind heute passe, wobei die Rolle der Antibabypille für die Umformung des Geschlechterverhältnisses nicht zu unterschätzen ist. Alte Rollenklischees lösten sich auf, aber aus gelösten Problemen gehen immer auch neue – bislang noch unerkannte - hervor. Auf die aktuelle Genderdiskussion wurde nicht eingegangen, aber das ist eine besondere Geschichte. Hier hat die jüngere Generation ihre Anliegen auszuhandeln, die ein noch Mehr an Differenzierung bringen. Für Jugendliche ist 68 in mancher Hinsicht eine Steinzeit aus grauer Vorzeit, aber sie sind daran interessiert, sich in der politischen Nachfolge zu sehen, weil sie den Ernst der Lage begreifen.

Die 68er-Periode war eine Übergangszeit

Die deutschen Lande waren geteilt in Ost und West. Die Literatur in der DDR hatte ihre Eigenheiten, aber auch die des Westens. Darunter liegt die Ebene der Literatur als solcher. Das Historische lagert darüber. Der deutsch-deutsche Literaturstreit entstand mit der Erzählung ‚Was bleibt‘ von Christa Wolf, eine Erzählung, die erst nach der Wende veröffentlicht wurde. Christa Wolf erschien deswegen als Vertreterin einer Inkonsequenz. Warum hatte sie sich nicht früher zu Wort gemeldet? Wirft das etwa einen Schatten auf die DDR-Literatur?

Christa Wolf ist nicht der große Vorwurf zu machen. In beiden Landesteilen war die Literatur von der Politik durchdrungen. Sie war auch das Kind einer bestimmten Zeit. Christa Wolf wird durch die drückenden Umstände ihrer Zeit nicht um den literarischen Rang ihres Werks gebracht. Sie ist eine Trägerin des Wandels, noch immer.

Die Frauenbewegung führt 68 weiter durch die laufende Periode der gesellschaftlichen Transformation. Mit ihr könnten die Domänen und Herrschaftsverhältnisse einer verwaltungstechnokratischen Betriebswirtschaft mitsamt ihren Schrumpftechniken überwunden werden. Das geht zu Lasten eitler Systeme und zugunsten der elementar lebensweltlichen Bedürfnisse. Die lokal verwurzelte Küche in der Schule muss Betriebe wie Sodexo ausbremsen. Es bilden sich hin und wieder Frauengruppen, die sich zu Anwälten maskulin beherrschter Welten aufschwingen. Männern ist ein neuer Part aufgegeben. Sie müssen sich zur neuen Frauenbewegung bekennen, auch im Eigeninteresse. Die Frauen haben seit den altmenschlichen Zeiten mehr Sozialkompetenz und ein besser ausgebildetes Einfühlungsvermögen. Sie sind weniger anfällig für Profilneurosen und abgeschmackte Posen.

Foto: fu-berlin.de

Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO:
1. Die Alternative zu 1968 wäre Nihilismus gewesen
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/12933-die-alternative-zu-1968-waere-nihilismus-gewesen
2. Im künftigen 68 hat der Feminismus die Hauptrolle
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/12934-im-kuenftigen-68-hat-der-feminismus-die-hauptrolle
3. Die eigentliche Sendung von 68 steht noch an
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/12935-die-eigentliche-sendung-von-1968-steht-noch-an