kpm Altenpflege unter gunstigen BedingungenDie Unzumutbarkeiten in der Altenpflege nehmen zu

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Wert, den eine Gemeinschaft und insbesondere der Staat den Menschen zuerkennt, zeigt sich im Umgang mit jenen, die auf Hilfe angewiesen sind.

Zu dieser Gruppe gehören zunehmend auch pflegebedürftige Alte. Denn die Lebenserwartung steigt und mit ihr die Notwendigkeit einer fachlich professionellen und optimal organisierten Altenpflege. Parallel dazu schreitet seit der Deregulierung der Märkte auch die Ökonomisierung des Gesundheitswesens voran. Medizinische und pflegerische Dienstleistungen, die bislang entweder in öffentlicher Hand waren oder gemeinnützig arbeitenden Trägern übergeben wurden, sind Bestandteil von privatwirtschaftlichen Profitinteressen geworden. Dieser elementare Widerspruch zwischen Daseinssorge und Kapitalverwertung erweist sich als einer der größten Angriffe des Neoliberalismus auf das Solidaritätsprinzip.

Bundesweit fehlt vielen Pflegeheimen das benötigte Personal, und zwar sowohl Pflegehelfer mit einjähriger Anleitung als auch examinierte Pflegefachkräfte mit dreijähriger Ausbildung. Der Hessische Landtag hat nun das Altenpflegegesetz mit breiter Mehrheit (CDU, Grüne, SPD und FDP bei Enthaltung der Linken) geändert, um dem Mangel an geeignetem Personal entgegenzuwirken. Ein zentraler Bestandteil dieser Änderung ist die Öffnung der Ausbildung zum Altenpflegehelfer für Menschen ohne Schulabschluss. Bisher war ein Hauptschulabschluss die Mindestvoraussetzung. Mit dem Verzicht auf jegliche Vorabqualifikation soll vor allem jungen Flüchtlingen ohne Schulabschluss und mit nur geringen deutschen Sprachkenntnissen eine Berufsmöglichkeit eröffnet werden. Hauptschulabschluss sowie Sprachqualifikation sollen parallel zur Ausbildung erworben werden. Ein Modellprojekt mit jährlich 160 Plätzen wird in Kürze gestartet.

Auf den ersten und sehr flüchtigen Blick hin könnte man meinen, dass sich endlich etwas bewegen würde, um dem lange beklagten Notstand abzuhelfen. Doch wer über diese Pläne genau nachdenkt, wird argwöhnisch. Ausgerechnet Menschen, die sich in der letzten Phase ihres Daseins befinden, sind dem Staat eine rundum qualifizierte Betreuung nicht mehr wert. Allein die Vorstellung, dass Pflegebedürftige, die vielfach auch am Verlust ihrer Artikulationsfähigkeiten leiden, bald ein Gegenüber haben werden, das die Feinheiten der deutschen Sprache, die sich auch in Gesten vermitteln, nicht ausreichend beherrscht noch mit kulturellen Gewohnheiten vertraut ist, mutet wie die Vorbereitung einer Katastrophe an.

Jeder andere würde sich vehement dagegen wehren, in komplexen Lebenssituationen Ungebildeten mit unzureichenden Sprachkenntnissen ausgeliefert zu sein. Allein wer eine Ware erwerben möchte und dem Verkäufer seine Wünsche schildert, wird es nicht akzeptieren, wenn ihn sein Gegenüber weder versteht noch über hinreichende Warenkenntnisse verfügt. Demgegenüber scheinen alte und auf Hilfestellung angewiesene Menschen als Altlasten zu gelten, die sich nach dem Motto „Friss oder stirb“ alles gefallen lassen sollen. Hauptsache, dass die Kassen der Pflege- und Rentenversicherung sowie die der öffentlichen Hand von Heuschrecken ausgeplündert werden können.

Es ist unbestritten, dass dem Bedarf an Fachkräften in der Pflege und Altenpflege endlich und mit nachhaltiger Wirkung entsprochen werden muss. Sowohl aus Gründen der Qualitätssicherung als auch aus volkswirtschaftlichen Erwägungen ist das nur mit adäquaten Ausbildungsangeboten und mit attraktiven Stellen für hinreichend geeignete Bewerber möglich.

Vor wenigen Jahren schlugen die Verfechter der Agenda 2010 vor, Langzeitarbeitslose zu Krankenpflegehelfern und Krankenpflegern umzuschulen, unabhängig von deren früheren Berufen und Vorabqualifikationen. Das Experiment ist weitgehend misslungen, weil eben nicht jeder alles kann. Nur Politiker scheinen in sämtlichen Fächern überzeugen zu können. Aber es liegt der Verdacht nahe, dass sie sich lediglich untereinander selbst bestätigen – ähnlich wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern.

Die Integration der Flüchtlinge kann nur erfolgreich sein, wenn die Eingewanderten exakt dieselben Voraussetzungen für das berufliche Weiterkommen erfüllen müssen wie Einheimische. Jede falsche Rücksichtnahme auf Bildungstand, Sprachkenntnisse und religiöse Gebräuche schafft eine Klasse von privilegierten Unterprivilegierten. Und wird sich über kurz oder lang als politische Zeitbombe herausstellen. Die AfD wartet nur darauf, dass beispielsweise die Angehörigen von schlecht versorgten Senioren ihren Unmut an der Wahlurne dokumentieren.

Die Fremden, um deren Integration es geht, haben mehrheitlich von dem Land, auf das sie ihre Hoffnung setzen, falsche Vorstellungen. Dass sie einen mentalen Bruch mit ihrer je eigenen Vergangenheit vollziehen müssen, um hier wirklich anzukommen, ist nur ganz wenigen klar. Denn außer Kriegserleben, Armut, geringer Bildung und religiösem Fundamentalismus können sie derzeit nichts in die durchaus multikulturelle Gesellschaft der Bundesrepublik einbringen. Deswegen ist ihr Aufholbedarf riesig. Wer sie in dieser Situation unterfordert, tut weder ihnen noch Deutschland einen Gefallen. Und er löst auch nicht die lange schon bekannten Strukturprobleme im Gesundheitswesen.

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Altenpflege unter idealen Bedingungen
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