AG DOK begrüßt Verfassungsgerichts-Urteil - und kritisiert die Programmpolitik der Sender
AG DOK
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK), Interessenverband von mehr als 900 professionellen Film-Dokumentaristen in der Bundesrepublik Deutschland, begrüßt das neueste Rundfunk-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Nicht nur, weil es Rechtssicherheit in die Rundfunkfinanzierung bringt, sondern weil es in seiner Begründung noch einmal unmissverständlich deutlich macht, dass die 2013 gewählte Form einer haushaltsbezogenen Abgabe verfassungsrechtlich an klare Bedingungen geknüpft war.
Der Rundfunkbeitrag ist deshalb keine Steuer, so stellen die Karlsruher Richter klar, weil alle Abgabepflichtigen einen individuellen Nutzen aus einem öffentlich-rechtlichen Medienangebot ziehen können. Dieser Vorteil liege in einem unabhängigen Alternativangebot zu den von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Inhalten privater Anbieter, deren Vielzahl – sei es im klassischen TV oder im Internet - alleine nicht automatisch dazu führt, dass „die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird.“
Es sei, so die Urteilsbegründung, Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, „als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der ökonomischen Anreize folgt und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffnet.“ Denn angesichts der zunehmenden Informationssteuerung durch Algorithmen “wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden.“
In solchen Formulierungen sieht die AG DOK bestätigt, was sie seit Jahren immer wieder einfordert. „Wenn man diese Argumentation einen Schritt weiterdenkt, ist das ein klares Plädoyer dafür, dass Informationsangebote und dokumentarische Formen ein absoluter Programmschwerpunkt sein müssen,“ sagt AG DOK-Vorsitzender Thomas Frickel. Doch leider sehe die Realität in den Funkhäusern anders aus: „Wie die Sender seit Jahren sowohl finanziell als auch bei der Programmierung dokumentarischer Genres verfahren und wie sie mit den Filmschaffenden in diesem Bereich umgehen, ist ein Skandal!“ So habe beispielsweise das ZDF in einer zufällig ausgewählten Programm-Woche zu Beginn dieses Jahres in der prime-time 555 Minuten Krimis, aber nur 75 Minuten Dokumentation gesendet, und ausweislich seiner im Internet veröffentlichten Produzentenberichte sanken im Bereich des WDR die an Produktionsfirmen gezahlten Minutenpreise für dokumentarische Programme drastisch, während sie im fiktionalen Bereich um 45 Prozent in die Höhe schnellten. Gemessen am Preis der Sendeminute ist selbst der Wetterbericht der ARD mehr wert als eine dokumentarische Sendung.
Von der jetzt vom Verfassungsgericht gekippten Abgabepflicht für Zweitwohnungen hatte übrigens schon Prof. Paul Kirchhof abgeraten, als er 2011 in seinem Gutachten die Umstellung der früheren Rundfunkgebühr hin zu einer allgemeinen Abgabe begründete. Aber nicht nur das: Kirchhof forderte damals auch die Werbefreiheit öffentlich-rechtlicher Angebote und einen öffentlich finanzierten Rundfunk, der „unabhängig von der tatsächlichen Nachfrage, unabhängig von Einschaltquoten und einer finanzwirtschaftlich veranlassten Ausrichtung der Sendungen auf den Publikumsgeschmack“ sein sollte. Denn andernfalls, so Kirchhof damals, drohe eine „Erosion der Identifizierbarkeit öffentlich-rechtlicher Programme".
Die Haushaltsabgabe hat die Medienpolitik seinerzeit zwar umgesetzt, die flankierenden Forderungen – die gleichsam Voraussetzung einer verfassungsrechtlich sauberen Lösung waren – fielen damals unter den Tisch. „Das Karlsruher Urteil präsentiert dafür jetzt eine erste Quittung, und es wäre zu wünschen, dass die Medienpolitik nacharbeitet, wenn sie noch in diesem Jahr einen neuen Staatsvertrag zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorlegt“, sagt der AG DOK-Vorsitzende. „Denn dass es in der Programmpolitik erhebliche Unwuchten zum Nachteil des Informations-, Kultur- und Bildungsauftrags gibt, ist offensichtlich“.
Es sei an der Zeit, die öffentlich-rechtlichen Sender durch klare Vorgaben daran zu erinnern, dass “Vielfalt“ nicht bedeuten kann, einzelne Programmsparten kaputtzusparen und anderen überproportional viel Geld zuzuschanzen. Noch im September will die AG DOK dazu ein verfassungsrechtliches Gutachten vorlegen.
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Abdruck der Presse-Erklärung der AG DOK
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