Frankreich verbietet endgültig Smartphones im Schulunterricht
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Smartphones lenken nachweislich Schüler vom Unterrichtsgeschehen ab. Die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung haben nun ein Gesetz verabschiedet, das den Gebrauch dieser Geräte auf dem Schulgelände untersagt.
Es tritt am 1. September in Kraft und löst eine nicht konsequent umgesetzte Verwaltungsvorschrift aus dem Jahr 2010 ab. Auch in Deutschland hat dieser Schritt eine Debatte ausgelöst. Denn die Probleme sind auch hierzulande bekannt. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU gab auf der Titelseite Ihrer Ausgabe vom 1. August die Meinung eines elfjährigen deutschen Schülers wieder. Diese Stimme verdeutlicht einen Teil des Elends, das bereits jetzt mit der so genannten Digitalisierung einhergeht. Manche Lehrer erlauben, so der Schüler, dass mit dem Handy während des Unterrichts „gegoogelt“ wird. Schließlich gäbe es nur einen Computer im Klassenzimmer.
Das wirft gleich mehrere Fragen auf:
Warum sollen Schüler, die in der Schule auf der Basis von Lehrplänen der Kultusministerien zu unterrichten sind, überhaupt bei Google recherchieren müssen? Spart der Staat an gedruckten und digitalen Lehrbüchern? Oder fällt der Umgang damit, insbesondere das verstehende Lesen, zu schwer? Und falls im Einzelfall und vorrangig bei den Hausaufgaben Suchmaschinen unumgänglich sein sollten, warum dann nicht in seriöseren wie metager.de oder duckduckgo.com (unter Ausschließung von Quellen wie Google, Yahoo oder Bing) nachforschen?
Die Trefferlisten des kommerziellen Anbieters Google sind von bezahlter Werbung einschließlich verkaufter Platzierungen völlig überfrachtet, sodass zufriedenstellende Ergebnisse erst auf hinteren Seiten auftauchen, die erfahrungsgemäß mangels Durchhaltevermögen gar nicht mehr angeklickt werden. Folglich strömen Halbwissen und Fakes in Bereiche ein, die zumindest in der Schule ausschließlich der Vermittlung von Allgemein- und Fachwissen dienen sollen und keineswegs wirtschaftlichen Interessen und schon gar nicht irgendwelcher Zeitgeist- oder Politikpropaganda.
Zu durchleuchten sind in diesem Kontext die Aufgaben der Lehrer. Ist es ihnen nicht möglich, den Schulstoff so zu vermitteln, dass sich Nachfragen im direkten Gespräch oder mittels der üblichen Unterrichtsmaterialien (zu denen im digitalen Zeitalter auch – zumeist kostenpflichtige - elektronische Nachschlagewerke gehören) beantworten lassen? Wozu eine Mindestanzahl an PCs in der Schule notwendig ist. Was eine politische Frage ist, nämlich die der Verwendung von Steuermitteln.
Und weil Pädagogik heute auch zu einem bedeutenden Teil Medienpädagogik sein muss, hake ich an dieser Stelle weiter nach: Woran kann der Schüler erkennen, dass die Auskünfte, auf welche man im Internet stößt, tatsächlich zuverlässig sind? Welche Kriterien geben die Lehrer ihren Schülern mit auf den Weg, damit diese zwischen nicht gesicherten Einschätzungen, oberflächlich-pauschalen und häufig veralteten Informationen sowie dem Wissen, das sich auf der Basis enzyklopädischer Standards bewegt, unterscheiden können? Setzt das Nachschlagen im Internet nicht bereits weitgehend jene Bildung voraus, die durch das Anklicken von im Augenblick kaum überprüfbaren Artikeln erst erlangt werden soll?
Ich ahne bereits die Einsprüche. Vor allem die Verweise auf Wikipedia. Dieses Internetlexikon klicke ich ebenfalls an. Vor allem, um Artikel zu vergleichen. Vorzugweise mit Standardwerken wie „Kindlers Literaturlexikon“, „Killys Literaturlexikon“, „Religion in Geschichte und Gegenwart“, „Metzler Lexikon Philosophie“, „Metzler Philosophen-Lexikon“, „Nohlen/Grotz, Kleines Lexikon der Politik“ (das ursprünglich ein großes und mehrbändiges war) sowie „Taddey/Behnen, Lexikon der deutschen Geschichte“. Und in den meisten Fällen stelle ich fest, dass sich viele Wikipedia-Autoren offensichtlich an diesen Handbüchern orientiert haben. Manche haben sogar wortwörtlich abgeschrieben, aber ohne ihre Quellen explizit zu nennen. Nicht selten wurden die Originaltexte an wichtigen Stellen sinnentstellend gekürzt und die Informationen dadurch unbrauchbar gemacht. Von Tippfehlern, die beim schnellen Abschreiben entstehen, ganz zu schweigen. Wie kann man also die Zuverlässigkeit der Wikipedia-Angaben beurteilen? Eigentlich nur, indem man sich die erwähnten und andere Fachlexika beschafft oder in einer Bibliothek Einsicht nimmt (eine Ausleihe ist dort in der Regel nicht möglich).
Dieser Umgang mit den Archiven des Wissens müsste eine zeitgemäße Aufgabe der Schule sein. Smartphones benötigt man dazu nicht. Deswegen sind sie in der Schule absolut entbehrlich. Der teuren Nonsens-Kommunikation der Kinder untereinander könnte man durch ein generelles Verbot den Rechtfertigungscharakter nehmen („das haben doch alle“).
Zugegeben: Bestimmte Geschäftsmodelle, vor allem jene der dissozialen kommerziellen Netzwerke, würden durch ein Verbot vollständig infragestellt. Hingegen könnte es das Heranwachsen junger Menschen zu autonomen Persönlichkeiten fördern. Frankreich hat den richtigen Weg beschritten.
Foto:
Montage von Trikolore und Smartphone-Verbotsschild
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