Avigdor Lieberman kündigt an, dass Israel militärische Ziele Irans in Irak treffen könnte – ein Blick auf Israels Pläne für Damaskus, Bagdad und Teheran
Jacques Ungar
Der uralte Spruch, dass die Europäer mit einer Lungenentzündung rechnen müssen, sollte die Wall Street Husten bekommen, ist inzwischen derart fest etabliert, dass er sich weltweit auf praktisch alle Lebens- und Geschäftsbereiche anwenden lässt.
Auf den Nahen Osten umbuchstabiert, lieferte der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman diese Woche einmal mehr ein Beispiel dafür, wie die Parabel vom Husten und der Lungenentzündung sich auch auf die genannte Region verwenden lässt. Lieberman deutete nämlich an, dass Israel imstande sei, militärische Ziele Irans in Irak zu treffen. Ähnliches habe Israel bereits in Syrien getan, fügte er hinzu. Unter Hinweis auf iranische, irakische und westliche Quellen berichteten Nachrichtenagenturen letzte Woche, dass Iran in den vergangenen Monaten ballistische Kurzstreckenraketen an schiitische Alliierte in Irak transferiert habe. Diese Berichte sind sowohl in Teheran als auch in Bagdad in aller Form dementiert worden, was immer solche Dementi auch wert sein mögen.
Neue Fronten
Israels Beobachter sehen, wie in der regionalen Expansion Irans versucht wird, neue Fronten gegen ihr Land zu errichten. Jerusalem zeigt sich entschlossen, solche Aktivitäten im Keime zu ersticken. Dazu Lieberman: «Wir verfolgen auf jeden Fall alles, was sich in Syrien zuträgt, und in Bezug auf die iranische Gefahr beschränken wir uns nicht ausschliesslich auf das syrische Territorium. Das sollte klar gesagt werden.» Der israelische Verteidigungsminister sprach an einer Konferenz der Israeli Television News Company. Auf die Frage, ob Lieberman mit seinen Worte auch mögliche Aktionen in Irak meinen würde, sagte der Minister zweideutig-eindeutig: «Ich sage, dass wir uns mit allen iranischen Bedrohungen befassen würden, egal woher sie kommen ... Israels Freiheit ist total. Wir behalten uns die Handlungsfreiheit vor.»
Erneuter Zwischenfall
Israelische Militärexperten befürchten, dass die Zwischenpause vorbei ist, was Israels Luftangriffe gegen Syrien und iranische Ziele in Syrien betrifft. Zuerst warfen Berichte von einem Anfang Woche durchgeführten Angriff auf ein Waffendepot beim internationalen Flughafen von Damaskus einige Fragen bezüglich der Urheberschaft der Attacke auf. Zuerst wurde die Verantwortung für den Zwischenfall, wie es für Damaskus üblich ist, Israel in die Schuhe geschoben. Dann aber wich das Regime Assad von der verbalen Routine ab und sprach von einem elektrischen Kurzschluss in einem Waffendepot. Die Explosionen waren jedenfalls laut zu hören. Unbestritten war wenigstens die Zahl von acht Toten, unter ihnen auch Iraner. Die IDF hüllten sich wie praktisch immer in solchen Fällen in ambivalentes Schweigen. Immerhin fallen die häufigen Wortmeldungen Premier Binyamin Netanyahus, Verteidigungsminister Liebermans und anderer militärisch-politischer Prominenz in dieser Angelegenheit auf. Israel liess in letzter Zeit keine Gelegenheit aus, sich negativ über die iranische Präsenz in Syrien zu äussern, und, wie eingangs zitiert, nehmen Jerusalemer Repräsentanten nun auch die Rolle Bagdads eigentlich bereits systematisch aufs Korn. Dabei ist der Tenor stets derselbe: Wir können iranische Positionen auch in Irak unter Beschuss nehmen, wie überhaupt überall.
Amos Harel, der Militärexperte von «Haaretz», fasst die Situation wie folgt zu-sammen: «Zusammenfassend kann hinsicht-lich der jüngsten Entwicklungen gesagt werden, dass die kurze Zwischenphase in den Kämpfen an der syrischen Grenze offensichtlich vorüber ist. Die Periode zwischen Februar und Juli, während welcher die iranischen Aktionen in Syrien zunahmen, und nach der Wieder-Einnahme des syrischen Teils des Golans durch das Regime Assad, brachte zahlreiche Zwischenfälle. Einige von ihnen waren geprägt durch Feuer oder Flugzeuge auf israelisches Territorium. In den letzten Wochen jedoch, nachdem Bashar al-Assad seine Übernahme des südlichen Syriens vollzogen hatte, herrschte relative Ruhe in der Region.»
Ende der Ruhephase?
Angesichts dieser geschilderten Entwicklung aus syrischer Sicht wäre es für Israel aus seiner Sicht unverständlich, sollte es sich passiv verhalten. Alles macht daher den Anschein, als ob Jerusalem zum bisher üblichen Aktionskonzept zurückgehen würde. Sobald Israels Armee eine Gefahr identifiziert – für Israel gehört dem Vernehmen nach auch das Abweichen von Übereinkünften mit den Russen dazu –, nehmen sich die IDF das Recht heraus, mit Zustimmung der politischen Ebene zu reagieren. In diesem Sinne äusserte sich diese Woche auch Verteidigungsminister Lieberman ganz klar. Die Öffentlichkeit wäre daher gut beraten, sich für die nächste Zeit in der Nachbarschaft Israels wieder auf einige «Aktivitäten» einzustellen, was israelische militärische Aktionen betrifft. Dabei dürften iranische Interessen im Konflikt Syrien-Irak-Iran-Israel wie bisher schon den Schwerpunkt dieser Aktivitäten bilden.
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