Bildschirmfoto 2018 11 30 um 08.35.51Netanyahu: lieber Außenpolitik

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Während Binyamin Netanyahu eine Anklageerhebung wegen Korruption befürchten muss, konzentriert er sich auf aussenpolitische Beziehungen – diese Woche zu Tschechien und Tschad.

Normalerweise schliessen Albträume und Träume beziehungsweise die Reaktionen auf diese Art geistiger Erlebnisse einander aus. Nicht so offenbar beim israelischen Regierungschef Binyamin Netanyahu. Gerade dieser Tage bewies er wieder, wie leicht es ihm fällt, beide Arten der an sich kontroversen Gefühle physischer und psychischer Natur zu einer Realität zu kombinieren und zu seinen Gunsten auszunutzen.


Besuch aus Tschechien

Grund zu Tagträumereien hatte Netanyahu am Sonntag gleich zweimal. Es begann mit der Ankunft des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman in Israel, der hier einen viertägigen offiziellen Besuch absolvierte. Während seiner Visite stand auf dem Programm des Tschechen, eines überzeugten Freundes des Staates Israel, am Dienstag in Jerusalem in Gegenwart von Premier Netanyahu die Eröffnung des Tschechien-Hauses und die Einweihung eines Büros in der israelischen Hauptstadt, das allgemein als erster Schritt zur Verlegung der tschechischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem gesehen wird. Das Tschechien-Haus wird tschechische Kultur-, Investitions-, Handels- und Tourismusbüros beherbergen. An einem Gala-Anlass im letzten April in Prag aus Anlass des 70. Geburtstages des Staates Israel hatte Präsident Zeman erklärt, dass die Ernennung eines Honorarkonsuls für Israel in jenem Monat, gefolgt von der Errichtung eines tschechischen Kulturzentrums in der Stadt, die ersten zwei Schritte eines Dreistufenplanes gewesen seien, in der Hoffnung, dass sie in der Eröffnung einer Botschaft in der Hauptstadt kulminieren würden.

Zeman wird in diesem Punkt mit dem Widerstand einer Gruppe rund um Premierminister Andrej Babiš zu rechnen haben, der bereits angetönt hatte, dass Prag nicht beabsichtige, in diesem Punkt von der Linie der EU abzuweichen, die die Eröffnung von Botschaften in Jerusalem zum jetzigen Zeitpunkt kategorisch ablehnt. Innerhalb der EU existiert aber eine Gruppe ost- und zentraleuropäischer Staaten, die diesem Schritt durchaus positiv gegenüberstehen. Neben der Tschechischen Republik sind das vor allem Rumänien (gegen die erklärte Opposition Deutschlands), Ungarn, Lettland und Polen. Netanyahu hat also mehrere Gründe, von einem eigentlich diplomatisch-europäischen Auszug aus Tel Aviv in Richtung Jerusalem zu träumen.


Waffenlieferungen nach Tschad

Die am Sonntagabend mitten in die Hochstimmung hineingeplatzte Empfehlung des Staatsanwaltes, gegen Premier Netanyahu in zwei der gegen ihn laufenden Untersuchungen wegen Bestechung und anderer Vergehen Anklage zu erheben, wären an sich Grund genug, dem Regierungschef den Wochenbeginn gehörig zu verderben. Premierminister Netanyahu jedoch gelang es ein weiteres Mal, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf positive Entwicklungen in der israelischen Aussenpolitik zu lenken. Neben der Visite des israel-freundlichen tschechischen Präsidenten stach am Sonntag vor allem der weitere beachtliche Erfolg von Netanyahus Afrika-Politik hervor.

Zum ersten Mal seit der Staatsgründung Israels 1948 traf am Sonntag nämlich mit Idriss Déby ein Präsident von Tschad zu einer offiziel­len Visite ein. Die formelle Wiederaufnahme der 1972 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen dürfte bevorstehen. In dieser Beziehung setzte Déby den Schwerpunkt auf Realpolitik: «Genauso wie der Abbruch der diplomatischen Beziehungen in den 1970er-Jahren», sagte er zu Beginn seiner Visite, «gute Beziehungen zwischen den beiden Nationen nicht verhindern konnte, wird die Wiederaufnahme der Beziehungen das palästinensische Problem nicht vom Tisch wischen.» Débys Besuch konzentriert sich dem Vernehmen nach auf Sicherheitsthemen. Israel soll der tschadischen Armee dieses Jahr Waffen und andere Ausrüstung geliefert haben, um das Land im Kampf gegen die Rebellen im Norden zu unterstützen. «Wir haben einen gemeinsamen­ Kampf auszufechten», sagte der Gast aus Tschad während einer gemeinsamen Presseerklärung mit Premier Netanyahu, «gegen die krankhafte Erscheinung des Terrorismus». Alle Optionen stünden offen für eine Kooperation zwischen den Nationen, meinte er ferner. Der offene Dialog sei zudem auch für eine friedliche Lösung des Palästinenserkonflikts die Basis jeder Lösung. Premier Netanyahu liess an einer Pressekonferenz den Erwartungspegel der israelischen Medien blitzartig in die Höhe schnellen, als er durchblicken liess, «sehr bald schon» weitere arabische Staaten zu besuchen. Gewisse Medien stellten bereits die Frage in den Raum, ob jetzt Sudan und Bahrain an der Reihe seien.


Beziehungen zu Bahrain und Sudan

Noch ist die Wiedereinrichtung der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Tschad formell nicht Tatsache geworden, doch die israelischen Spekulationen gehen schon viel weiter. So spekulierte die Zeitung «Haaretz» am Sonntagabend im Zusammenhang mit der Ankunft des tschadischen Präsidenten Déby in Israel, dass Netanyahu bereits daran ist, die Normalisierung der Beziehungen zu Bahrain und Sudan voranzutreiben. Vor allem diplomatische Beziehungen mit Sudan, das seinerseits 2015 die Kontakte zu Iran gekappt hatte, könnte laut israelischen Medien die Flugverbindungen zwischen Tel Aviv und südamerikanischen Staaten wie Brasilien beträchtlich verkürzen. Viel mehr als solche Dinge dürfte der Umstand ins Gewicht fallen, dass Netanyahu mit jedem diplomatischen Erfolgserlebnis jenen unter seinen eigenen Leuten die Arbeit wesentlich erschweren würde, die den israelischen Regierungschef möglichst bald und möglichst umfassend wegen der gegen ihn laufenden Untersuchungen vor Gericht gestellt sehen möchten.


Anklageerhebung gegen den Premier?

Damit kommen wir zu den Albträumen von Binyamin Netanyahus politischem Alltag. Ebenfalls am Sonntag berichtete nämlich ein israelischer TV-Sender, dass ein Team von Staatsanwälten, die an den sogenannten Fällen 1000 (illegale Geschenke) und 2000 (Affäre hinsichtlich der Gratiszeitung «Yediot Achronot») arbeiten und die Rolle Netanyahus­ im Bereich von Korruptionen untersuchen, die Anklageeerhebung empfehlen wird. Ein entsprechender Bericht soll an Staatsanwalt Shai Nitzan geschickt worden sein. Liat Ben-Ari, die Direktorin der Division für Wirtschaftsverbrechen, hatte schon im Mai 2017 empfohlen, gegen Netanyahu Anklage wegen Bestechung zu erheben. In diesem Zusammenhang wird auch erwartet, dass sie und ihr Team von Staatsanwälten Shai Nitzan demnächst ihre Empfehlungen für den um einiges gewichtigeren Fall 4000 (Affäre Bezeq-Walla) unterbreiten werden. Die letzte Entscheidung wird bei Generalstaatsanwalt Avichai Mendelblit liegen. Dieser liess bereits durchblicken, dass er einen alle hängigen Fälle gemeinsam einschliessenden Entscheid treffen wird.


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Nach dem Besuch von Idriss Déby, dem Präsidenten von Tschad, dürfte die formelle Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Israel bevorstehen. © tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 30. November 2018