kpm Reichsprasident Ebert und die Vertreter der alten MachtExkurse in den literarischen Untergrund (2/3)

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Volkspoesie kann bewusst oder unbewusst dokumentieren, dass sich das Volk mit den Verhältnissen arrangiert hat.

Die Revolution, auf die immer mehr Menschen gehofft hatten, blieb 1918/1919 aus. Die maßgeblichen Parteien, die SPD und das Zentrum, wollten sie letztlich genau so wenig wie die Nationalisten und Monarchisten. Die Linke (zunächst USPD, dann Spartakus und KPD) war nicht dazu in der Lage, dem um sich greifenden Untertanengeist und der Anpassungsbereitschaft in weiten Teilen der werktätigen Bevölkerung etwas entgegen zu stellen.

Und so hatte es den Anschein, dass im ersten Jahrzehnt der Weimarer Republik vor allem Verdrängung angesagt war. Die Kulturszene brachte zwar Künstler von Rang hervor, aber die Epoche war letztlich eine Blütezeit des unpolitischen Nonsens.

Der fand auch in der Volkslyrik seine Entsprechung. Hier nun einige typische Beispiele:

Lied vom Massenmörder Hamann:

„In Hannover an der Leine
Strippenstraße Nummer acht
Wohnt der Massenmörder Hamann
Der aus Kindern Blutwurst macht.

Warte, warte nur ein Weilchen
Bald kommt Hamann auch zu dir
Mit dem kleinen Hackebeilchen
Klopft er leis an deine Tür.

Aus dem Bauch da macht er Würste
Aus dem Rücken macht er Speck
Aus dem Kopf da macht er Sülze
Alles andre wirft er weg.“


Auf den populären Schlager von der kleinen Konditorei, in der zwei bei Kuchen und Tee saßen und doch nicht zusammenkommen konnten, brachte der Volksmund ein satirisches Pendant hervor:

„Auf einer langen, langen Chaussee
Stand ein kleiner DKW
In Kälte, Eis und Schnee.
Er hatte Panne: Motordefekt
Der Benzintank war leck
Der Auspuff verdreckt
Und der Besitzer stand dabei und musste weinen
Über seinen
Kleinen DKW
Auf einer langen, langen Chaussee .....“


Bei so viel literarischer Kleinkunst führte zumindest dann und wann kein Weg an Goethe, unserem bedeutendsten Dichter, vorbei:

„Kennst Du das Gedicht von Goethe?
Eines Abends gingen späte
Eine Wassermaus und Kröte
Einen steilen Berg hinauf
Sprach die Wassermaus zur Kröte:
Kennst du das Gedicht von Goethe?

„Goethe sprach zu Schiller
Hol aus dem Arsch nen Triller.
Schiller sprach zu Goethe
Mein Arsch ist keine Flöte.“


Wem der letzte Vers zu heftig erscheint, sollte bei den folgenden zwei fest die Augen schließen:

„In Frankfurt an der Eck
Da wohnt der Bäcker Beck
Der steckt sein‘ Arsch zum Fenster naus
Un seggt, es wär ’n Weck.“

„Der Pfarrer von Kempten
Der stärkt seine Hemden
Mit eigenem Samen.
In Gottes Namen.
Amen.“


Die folgenden Texte sind Ausdruck des eher unpolitischen Humors:

„Wir sind vom Idiotenklub
Und laden herzlich ein
Bei uns ist jeder gern gesehn
Nur dusslig muss er sein.
Bei uns gilt die Parole
Stets doof bis in den Tod
Und wer bei uns der Doofste ist
Ist Oberidiot.“


Häufig riefen bekannte Markenartikel den Spott der Menschen hervor. So auch die Margarinesorte „Sanella“:

Sanella-Lied
(Melodie: Ei, ei, ei Maria, Maria aus Bahia)

„Ei, ei, ei Sanella,
Sanella auf dem Teller
Wenn Sanella ranzig wird
Dann wird sie’s immer schneller.
Einmal hab ich sie probiert
Auf das Butterbrot geschmiert
Dabei bin ich explodiert.“


Auf den Ersten Weltkrieg folgte nach einer kurzen Pause von 21 Jahren der Zweite und mit ihm die endgültige Katastrophe Deutschlands, die sich aber bereits ab 1933 abzeichnete. Es war nicht mehr die Zeit eines lebensbejahenden Nonsens, der Humor des Volkes starb den Tod der Ernüchterung und wenn sich politischer Widerstand auch selten sichtbar manifestierte, so ließ sich ein kritischer Sarkasmus nicht ausrotten:

„Lieber Gott mach mich stumm,
Dass ich nicht nach Dachau kumm.

Lieber Gott mach mich taub,
Dass ich nicht am Radio schraub.

Lieber Gott mach mich blind,
Dass ich alles herrlich find.

Bin ich taub und stumm und blind,
Bin ich Adolfs liebstes Kind“


Während des Bombenkriegs von 1943 bis 1945 sangen Arbeiter im Ruhrgebiet:

„Lieber Tommy fliege weiter
Denn hier wohnen nur Arbeiter
Fliege weiter nach Berlin
Denn die haben „ja“ geschrien.“


In den von der deutschen Wehrmacht besetzten Niederlanden wurden 1943 Flugblätter verbreitet mit dem Titel „Zehn kleine Meckerlein“. Das Verbreiten dieses Flugblattes oder das Singen dieser Parodie wurde im Deutschen Reich und im besetzten Ausland mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft, in einigen Fällen auch mit der Einweisung in ein Konzentrationslager:

Zehn kleine Meckerlein

„Zehn kleine Meckerlein
Die tranken einmal Wein
Der eine machte Goebbels nach
Da waren's nur noch neun.

Neun kleine Meckerlein
Die haben was gedacht
Dem einen hat man's angemerkt
Da waren's nur noch acht.

Acht kleine Meckerlein
Die haben was geschrieben
Und bei dem einen fand man's dann
Da waren's nur noch sieben.

Sieben kleine Meckerlein
Die fragte man: na schmeckt's
Der eine sagte Schweinefraß
Da waren's nur noch sechs.

Sechs kleine Meckerlein
Die trafen einen Pimpf
Der eine sagte Lausebalg
Da waren's nur noch fünf.

Fünf kleine Meckerlein
Die spielten mal Klavier
Der eine spielte Mendelssohn
Da waren's nur noch vier.

Vier kleine Meckerlein
Die sprachen mal von Ley
Der eine sagte Immerblau
Da waren's nur noch drei.

Drei kleine Meckerlein
Die hörten Radio
Der eine stellte England ein
Da waren's nur noch zwo.

Zwei kleine Meckerlein
Die traten mal in Dreck
Der eine sagte Nazibraun
Da war er auch schon weg.

Der letzte der ließ dies Gedicht
Am falschen Orte sehn
Da bracht man ihn nach Dachau hin
Da waren’s wieder zehn.“


Der heimliche Spott machte auch vor den Führungsfiguren des Regimes keinen Halt:

„Es braust ein Ruf wie Donnerhall
In Deutschland sind die Zwiebeln all.
Der Göring sprach vor kurzem:
Man kann auch ohne Zwiebeln furzen.“


Je länger der Krieg dauerte, umso knapper wurden die Lebensmittel. Der Volkszorn machte sich Luft, indem er ein populäres Soldatenlied, das von Lale Andersen gesungen wurde, umdichtete:

„Schweinefleisch ist teuer
Ochsenfleisch ist knapp
Gehen wir mal zu Meier
Ob er Knochen hat.
Und alle Leute soll‘n es sehn
Wenn wir bei Meier Schlange stehn
Wie einst Lilli Marleen.“


Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs suchte der DDR-Lyriker Kurt Bartsch auf literarische Weise nach den Schuldigen:

Adolf Hitler ganz allein

„Adolf Hitler, ganz allein
Baute er die Autobahn.
Keiner trug ihm einen Stein,
Keiner rührte Mörtel an...“

Foto:
Reichspräsident Friedrich Ebert und die Vertreter der alten Macht
© ARD

Info:
Die PRO LESEN-Themenwoche „Über das Volksvermögen“ ist auch dokumentiert in der Homepage des Vereins:
https://www.bruecke-unter-dem-main.de/themenwoche/