Bildschirmfoto 2019 03 02 um 05.00.35Israels Premierminister ist sich für nichts zu schade, auch nicht mit einer Gruppe Rechtsradikaler zu sympathisieren, die für die Knesset allzu gefährlich wäre

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Die weltweite Verärgerung über die Versuche des israelischen Regierungschefs Binyamin Netanyahu nimmt neue Dimensionen an. Sowohl in Israel als auch in jüdischen Kreisen in den USA nimmt das Verständnis für den Premierminister zunehmend ab.

Dieser will nämlich angesichts der näherrückenden Knessetwahlen vom 9. April die Position seiner Rechtskoalition im Jerusalemer Kabinett mit folgender Methode festigen: Er schreckt nicht einmal davor zurück, Mitglieder einer rechtsextremen Partei (Otzmat Jehudit) für die zukünftige Koalition vorzuschlagen, selbst wenn diese potenziellen Parlamentarier Anhänger der rassistischen, virulent antiarabischen Ideologie des ermordeten Rabbi Meir Kahane sind. Wenn damit das geflügelte Wort vom Fettnäpfchen einmal mehr strapaziert werden soll, geziemt es sich, in diesem Zusammenhang zu sagen, dass im gegenwärtigen israelischen Wahlkampf wohl kein Fettnäpfchen zu klein ist, um nicht noch Netanyahu bequem Platz zu bieten.


Harsche Reaktionen

Konzentrieren wir uns im Folgenden auf die wichtigsten Reaktionen auf Netanyahus Vorgehen: So verurteilen in einer öffentlichen Verlautbarung fast 90 modern-orthodoxe Rabbiner und Pädagogen, laut «Haaretz» viele von ihnen prominente Namen in der religiös-zionistischen Gemeinschaft, Netanya­hu für seinen Schritt, den loyalen Anhänger des «Rassisten Meir Kahane» in die Knesset zu bringen.­ «Der Premierminister hat den legitimen Wunsch», heisst es in der Verlautbarung, «in einem heiss umkämpften Wahlkampf den Sieg für seinen Block zu erringen. In diesem Fall jedoch rechtfertigen die Ziele die Mittel nicht. Dieser Deal mit einer widerwärtigen Gruppe wird auf den moralischen demokratischen Charakter des Staates Israel in der Welt ein schlechtes Licht werfen. Das ist ein beklagenswertes Versagen eines Führers, der sein Leben auf Israels Sicherheit und die Stärkung seines internationalen Prestiges konzentriert hat.»

Begonnen hat diese Welle der Anprangerung des israelischen Premiers wegen seines Anbandelns mit Otzmat Jehudit mit einer unüblichen Kritik des American Jewish Committee und des American-Israeli Public Affairs Committee (AIPAC). Beide Gruppen liessen klipp und klar wissen, dass sie mit Vertretern von Otzmat Jehudit (einer «rassistischen und verwerflichen» Partei), sollten diese in die Knesset einziehen, nicht zusammensitzen würden. Wer weiss, wie sehr proisraelische Gruppen in den USA in der Regel Zurückhaltung üben, wenn es um die Einmischung in innerisraelische Angelegenheiten geht, der begreift, dass es offensichtlich keine Regel ohne Ausnahmen gibt. Für besorgte Juden in Washington oder New York hat Israels Rechte unter Führung Netanyahus in ihrer obsessiven Angst, am 9. April die politische Vorherrschaft im Lande zu verlieren, damit definitiv «rote Linien» überschritten.


Gefährlicher Vergleich

In Israel selbst gilt Netanyahus Position auch in religiösen Kreisen alles andere als unangefochten. Rabbiner Benny Lau etwa, ein Neffe des ehemaligen israelischen Oberrabbiners Israel Meir Lau, der den Holocaust überlebt hat, sagte, er würde alles tun, um sicherzustellen, dass Kahanes Doktrin die Knesset nicht betreten würde, denn es handle sich dabei um eine «rassistische Doktrin, vergleichbar mit den Nürnberger Gesetzen». In einer Reaktion darauf vermied die rechts-nationale Partei Das Jüdische Haus, direkt auf Laus Kritik einzugehen und verteidigte stattdessen Parteiführer Rafi Peretz und dessen Abkommen mit Otzmat Jehudit. Peretz, der sich dem «Wohlergehen des jüdischen Volkes» widme, habe aus einem Gefühl für «Führerschaft und nationaler Verantwortung» heraus gehandelt. Lau selbst weigert sich hingegen, sich bei Otzmat Jehudit dafür zu entschuldigen, dass er die Ansichten der Partei in die Nähe derjenigen der Nazis gerückt habe. Daran ändert offenbar auch die drohende Verleumdungsklage des Otzmat-Abgeordneten und Anwalts Itamar­ Ben-Gvir nichts.

In einer Stellungnahme zur ganzen Auseinandersetzung erwähnte Netanyahu AIPAC zwar nicht namentlich, bezeichnete seine Kritiker aber als «heuchlerisch und von doppelten Wertvorstellungen geleitet». Die Debatte hat Netanyahu mit seinem unglücklichen Werben um extremistisch-faschistoide Stimmen selbst ausgelöst. Wahrscheinlich wird sich dieser Hexenkessel vor dem Wahltermin vom 9. April nicht abkühlen, und ob Netan­yahu seine Füsse unbeschadet aus dem Fettnäpfchen ziehen kann, in das er getreten ist, wird sich zeigen. Es sei daran erinnert, dass Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit wahrscheinlich schon nächste Woche darüber entscheiden wird, ob gegen Netanyahu wegen Bestechungen in mehreren Fällen und anderer Vergehen Anklage erhoben werden soll oder nicht. Dass die Sache Netan­yahus schwer auf dem Magen liegt, bewies die Tatsache, dass er seinen Aufenthalt in Moskau so kürzte, dass er noch vor dem Wochenende wieder in Israel eintraf. Wer weiss, vielleicht wird der ganze Kahanisten-Spuk vorzeitig beendet, soll die Zentrale Wahlkommission doch die Möglichkeit prüfen, Otzmat Jehudit für die Wahlen zu disqualifizieren.

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Die Kahanisten und die Homophoben – niemand will sie, doch Netanyahu braucht sie. Auf dem Bild: Itamar Ben-Gvir (l.) und Michael Ben Ari von Otzmat Jehudit an einer Demonstration in Umm al-Fahm im...

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom1. März 2019