Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich Feindesland.“ Fritz Bauer
„Es schaudert einen bei dem Gedanken, dass das, was da auf der Anklagebank sitzt, zwölf Jahre lang als die Elite des deutschen Volkes angesehen worden ist“, entsetzte sich Rechtsanwalt Henry Ormond als Vertreter der Nebenkläger in seinem Plädoyer zum Abschluss des Auschwitz-Prozesses. Man schäme sich für die deutsche Nation, dass sie so etwas hingenommen habe. Ohne den Prozess hätten die Unbelehrbaren ihre Versuche zur Bagatellisierung der NS-Verbrechen fortgesetzt. Dass dies nun nicht mehr möglich sei, werde man neben der Bestrafung der Schuldigen als das bleibende Verdienst dieses mustergültig geführten Prozesses betrachten können.
Anders als von Henry Ormond erwartet sind die Versuche zur Verharmlosung der NS-Verbrechen jedoch weitergegangen. 54 Jahre nach Abschluss des Verfahrens kam die Süddeutsche Zeitung vom 26. April 2019 jetzt zu dem Schluss, dass der Nationalsozialismus in Teilen der deutschen Gesellschaft seinen Schrecken verloren habe. Sie bezog sich dabei auf die Ergebnisse einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen. Bereits 2003 hatte eine Umfrage der Universität Bielefeld ergeben, dass 69,9 Prozent der Deutschen nicht mehr an die NS-Verbrechen erinnert werden wollen.
Zu den Befürwortern eines Schlussstrichs gehörte bereits vor Jahren auch Friedrich Merz . Er und seine Generation wollten sich für Auschwitz und die NS-Verbrechen nicht mehr in Haftung nehmen lassen, sagte er als Vorsitzender der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Bis auf Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden in Deutschland hat ihm damals niemand öffentlich widersprochen. Spiegel bezeichnete die Äußerung als „Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden des Naziregimes“. Mit dem Abstreifen der Verantwortung für die Lehren der Geschichte würden rechtsradikale Parolen und Fremdenfeindlichkeit salonfähig gemacht. (AP 31. 3. 2000). Inzwischen sitzt eine Partei mit 91 Abgeordneten im Bundestag, deren Vorsitzender Alexander Gauland die Nazizeit, gemessen an mehr als tausend Jahren „erfolgreicher deutscher Geschichte“ als „Vogelschiss“ verharmlost.
Entdeckung im Staatsarchiv
Auch in juristischer Hinsicht war der Auschwitz-Prozess kein Meilenstein bei der Aufarbeitung von Naziverbrechen. Die vom Gericht vertretene und vom Bundesgerichtshof bestätigte Auffassung, dass nur konkret nachgewiesene Taten bestraft werden könnten, erwies sich als Freibrief für viele Beteiligte am Geschehen während der NS-Zeit. Inzwischen hat auch das Lob für die mustergültige Prozessführung einen bitteren Beigeschmack bekommen. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Vorsitzende Richter Hans Hofmeyer zu den Stützen jenes Regimes gehört hat, über dessen schauerlichstes Verbrechen, die fabrikmäßige Tötung von Menschen, in dem von ihm geleiteten Prozesses geurteilt werden sollte. Entdeckt hat das ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kölner Universität namens Matias Ristic. Er wollte in seiner Dissertation Hofmeyers Verdienste würdigen, stieß im Hessischen Staatsarchiv aber auf Dokumente, die sein Idol in ein völlig neues Licht rückten.
Danach hat Hofmeyer als Richter am Erbgesundheitsgericht in Gießen Menschen gegen ihren Willen unfruchtbar machen lassen. Das geschah auf der Grundlage eines Gesetzes zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“, mit dem die Naziführung „unwertes Leben“ nach und nach ausmerzen wollte. Betroffen von dem unmenschlichen Vorhaben waren geistig Behinderte, psychisch Kranke, Epileptiker, Blinde und Taube ja sogar Alkoholkranke. Etwa 400 000 Menschen wurden auf Anordnung der Erbgesundheitsgerichte zwangsweise sterilisiert. Etwa 5000 überlebten den Eingriff nicht. Hofmeyer soll das Gesetz in Einzelfällen rigoros zum Nachteil betroffener Opfer ausgelegt haben. Wie der Gießener Anzeiger vom 3. April 2019 unter Berufung auf Ristic schreibt, gehörte Hofmeyer während seiner Tätigkeit in Gießen acht Naziorganisationen an, eingerechnet die NSDAP, für die er einen Aufnahmeantrag gestellt habe.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Hofmeyer zunächst als Nachrichtenoffizier eingesetzt, machte dann aber schnell Karriere in der Heeresjustiz. Dort brachte er es bis zum Oberstabsrichter. Den Angaben von Ristic zufolge saß Hofmeyer an zentraler Stelle der Abteilung für die Einsetzung so genannter Fliegender Standgerichte. Diese Gerichte fällten unzählige Todesurteile und waren ein gefürchtetes Terrorinstrument zur Bekämpfung von Kriegsmüdigkeit bei Soldaten und Zivilpersonen. Geleitet wurde die Abteilung vom Chef der Heeresfeldjustiz Otto Grünewald.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
Auschwitzprozeß
© Hessisches Landesarchiv-Hessen.de
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Mit freundlicher Genehmigung Nachdruck aus: https://www.fritz-bauer-blog.de
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