Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Zwar sind Propheten in Israel nicht direkt abgeschafft worden, aber die Gilde hat es offensichtlich viel schwerer. Die Kunst des Vorhersagens der Zukunft will künftig noch mehr geübt werden. Das gilt vor allem, seit Staatspräsident Reuven Rivlin am Mittwochabend bekanntgab, den gegenwärtigen Premierminister und Likud-Chef Binyamin Netanyahu mit der Aufgabe zu betrauen, eine Regierungskoalition zu bilden, nachdem die Gespräche zwischen Likud und Blauweiss (Benny Gantz) für die Gründung einer Regierung der nationalen Einheit laut Rivlin gescheitert waren.
Während seiner Rede, in der er seinen Beschluss verkündete, bekräftigte der Präsident mehrere Male, dass das Volk keine weitere Wahl wünsche. In seinen Ausführungen, worin er Rivlins Auftrag annahm, sagte Netanyahu, er tue dies im Bewusstsein, dass er keine besseren Chancen habe, eine Regierung zu bilden. «Meine Unfähigkeit ist aber etwas kleiner die von Gantz», meinte er, «da keiner von uns in der Lage sein wird, eine Regierung zu bilden, es sei denn gemeinsam.»
Trump huldigen und noch mehr Pathos
Netanyahu bezeichnete eine Regierung der nationalen Einheit als das Gebot des Tages. Dabei betonte er, getreu seiner Gewohnheit, das Volk mit dem Rücken an die Wand zu treiben, die Gefahr, die durch die «Geistesgegenwart und Chuzpa Irans» herrsche. Er sprach auch von Donald Trumps «Deal des Jahrhunderts», der eine starke, vereinte Regierung erfordere, um seine östliche Grenze angesichts der amerikanischen Forderungen zu behaupten. Töne, die von Washington wohl nicht für selbstverständlich gehalten werden. «In den 71 Jahren der Existenz Israels haben wir keine solche Gelegenheit wie den US-Deal gehabt», bekräftigte der Regierungschef und fügte hinzu, dass seiner Meinung nach die Details des Planes nur veröffentlicht werden würden, «wenn wir als eine einzige, breite Front dastehen».
Benny Gantz seinerseits ging in seinem Argument offensichtlich in die Defensive: «Meine Partei wird nicht in einer Regierung sitzen, die einen Premierminister hat, gegen den eine schwerwiegende Anklage droht».
Mögliche Szenarien
Noch am Dienstag hatte Präsident Rivlin erklärt, er werde den Beschluss über die Vergabe der Aufgabe der Regierungsbildung bis nächsten Mittwoch vertagen, um Likud und Blauweiss eine Chance zu geben, zu einem Abkommen zu gelangen. Politische israelische Quellen, die in den Verhandlungen zwischen den beiden Grossparteien engagiert sind, vermuten, dass keine von ihnen ernsthaft an der Bildung einer Einheitsregierung interessiert war und ist.
Sollte Rivlin zum Schluss gelangen, dass keiner der beiden Kandidaten eine Regierung bilden könne, wird er sich möglicherweise, wie «Haaretz» schreibt, für eine Kürzung des Prozesses entscheiden. Wenn Netanyahu bei seinem ersten Versuch scheitert, wird Rivlin ihm folglich keine weiteren zwei Wochen dafür Tun einräumen, wie dies sonst üblich ist. Der Präsident könnte dann verkünden, dass er auch nicht glaube, dass Gantz eine Koalition bilden könne. Der Knesset werden dann drei Wochen zur Verfügung stehen, um die Unterstützung von mindestens 61 der 120 Abgeordneten für einen anderen Kandidaten zu garantieren. Sollte dieser allerdings auch nicht in der Lage sein, eine Koalition zusammenzuschusternn, muss die Knesset aufgelöst werden, und es würde ein dritter Wahlgang ausgeschrieben werden. Das alles sind vorerst aber Spekulationen.
Streithähne der Extraklasse
Nachdem Staatspräsident Reuven Rivlin noch Anfang der Woche vorsichtig optimistisch nach einem zweistündigen Treffen mit Premierminister Netanyahu und Blauweiss-Chef Gantz erklärt hatte, die beiden hätten «bedeutende Anstrengungen» zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit unternommen, laufen die Dinge nun doch nicht so rund. Die Verhandlungsteams von Blauweiss und Likud kamen am Dienstag zwar zusammen. Die Krux lag zunächst aber darin, dass die unfreiwilligen Verhandlungspartner sich offenbar nicht einmal darauf einigen konnten, wer der «Streithähne» denn wen genau vertreten würde. Nach dem Treffen vom Montag sagte Netanyahu zu seinen Alliierten auf der Rechten des Parteienspektrums, er würde sie alle in seinen Gesprächen mit Gantz repräsentieren, er halte sich an sein Versprechen, keiner Regierung ohne sie beizutreten. «Die erste Herausforderung», sagte der Staatspräsident, «besteht nun darin, einen Kanal des direkten Dialogs zu bauen, der auf gegenseitigem Vertrauen aufbaut.» Die Nation erwarte von beiden, fügte Rivlin hinzu, eine Lösung zu finden und weitere Wahlgänge zu verhindern, auch wenn dies bedeuten könne, einen «persönlichen oder ideologischen Preis» zu zahlen.
Vor dem Dreiertreffen hatte Netanyahu in einer geschlossenen Diskussion seine Likud-Abgeordneten gewarnt, der gegenwärtige politischen Disput könnte sich «über Monate hinweg» erstrecken. In einer Verlautbarung nach dem Treffen bei Rivlin sagte Benny Gantz unter anderem: «In diesem Treffen wurde viel über Einheit gesagt, was unser Ziel seit der Bildung unserer Partei ist. Ich machte bei dem Treffen klar, dass der Weg zur Einheit über Dinge geht, die wir der Öffentlichkeit versprochen haben, die uns wählte. Die Öffentlichkeit wählte Veränderung, und wir beabsichtigen nicht, in Sachen Führung, betreffend unsere Grundsätze oder unsere natürlichen Partnern auf diesem Weg nachzugeben. Am Dienstag werden die Verhandlungsteams von Blauweiss und Likud zu einer präliminaren Diskussion zusammenkommen.» Was dann auch geschehen ist, ohne dass die beiden Seiten über das Stadium von Unverbindlichkeiten hinausgekommen wären. Um das Mass der Verwirrung noch zu erhöhen, wurde am Mittwochmorgen bekannt, dass Likud laut Nachzählungen auf Kosten des Vereinigten Thorjudentums (VTJ) ein Mandat mehr erhalten würde, während VTJ auf sieben Sitze schrumpft.
Somit kam Netanyahu auf 32 Sitze, nur noch gerade ein Mandat weniger als Blauweiss. Staatspräsident Rivlin schien es dabei mulmig geworden zu sein. Jedenfalls verschob er kurzerhand die Bekanntgabe der Person, die er als erste mit der Regierungsbildung betrauen wollte, auf den letztmöglichen Termin, den das Gesetz ihm einräumt, auf Mittwoch nächster Woche, den 2. Oktober. Sicher ist es nur Zufall und keine Absicht, dass an genau diesem Tag Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit mit der Anhörung vor einer möglichen Anklageerhebung gegen Netanyahu in dessen Korruptionsaffären beginnen will. Damit wird der juristische Prozess in eine neue Phase treten, die, je nach Ausgang, gewichtige Konsequenzen für die weitere politische Karriere des Premierministers haben kann.
Wo bleibt der Hase im Zylinder?
Unter dem Deckmantel der Anonymität brachten Leute, die in die Koalitionsverhandlungen zwischen Blauweiss und dem Likud involviert sind, ihren Pessimismus über den Gang der Gespräche zum Ausdruck: «Wenn Präsident Rivlin nicht noch einen Hasen aus seinem Zylinder zieht, ist der Erfolg eine höchst zweifelhafte Angelegenheit», meinte eine Quelle. Diese Äusserung bestärkte Beobachter in ihrer Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeit gering sei, dass die beiden Parteien den Weg zu einer Regierung der nationalen Einheit finden würden. Dass Likud und Blauweiss in den ersten Debatten nicht einmal in der Lage waren, die Natur der Rotation im Amt des Regierungschefs zu besprechen, zeigt tatsächlich, wie weit die Positionen der beiden Parteien vor diesem Wochenende noch voneinander entfernt lagen. Die Vergabe der Aufgabe zur Bildung einer Regierung an Netanyahu hat allen Beteiligten etwas Luft verschafft, ohne dass man sich in der konkreten Aufgabenlösung näher gekommen wäre. Sollten die kurzen Ruhetage während des Neujahrsfestes Rivlin nicht klüger und seine Gesprächspartner nicht flexibler machen, dann gäbe es ja noch die letzte Variante in der Form eines dritten Wahlgangs innert weniger Monate. Ausser Spesen nichts gewesen?
Foto:
Auftrag zur Regierungsbildung: Binyamin Netanyahu (l.) und Staatspräsident Reuven Rivlin
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. September 2019
Somit kam Netanyahu auf 32 Sitze, nur noch gerade ein Mandat weniger als Blauweiss. Staatspräsident Rivlin schien es dabei mulmig geworden zu sein. Jedenfalls verschob er kurzerhand die Bekanntgabe der Person, die er als erste mit der Regierungsbildung betrauen wollte, auf den letztmöglichen Termin, den das Gesetz ihm einräumt, auf Mittwoch nächster Woche, den 2. Oktober. Sicher ist es nur Zufall und keine Absicht, dass an genau diesem Tag Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit mit der Anhörung vor einer möglichen Anklageerhebung gegen Netanyahu in dessen Korruptionsaffären beginnen will. Damit wird der juristische Prozess in eine neue Phase treten, die, je nach Ausgang, gewichtige Konsequenzen für die weitere politische Karriere des Premierministers haben kann.
Wo bleibt der Hase im Zylinder?
Unter dem Deckmantel der Anonymität brachten Leute, die in die Koalitionsverhandlungen zwischen Blauweiss und dem Likud involviert sind, ihren Pessimismus über den Gang der Gespräche zum Ausdruck: «Wenn Präsident Rivlin nicht noch einen Hasen aus seinem Zylinder zieht, ist der Erfolg eine höchst zweifelhafte Angelegenheit», meinte eine Quelle. Diese Äusserung bestärkte Beobachter in ihrer Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeit gering sei, dass die beiden Parteien den Weg zu einer Regierung der nationalen Einheit finden würden. Dass Likud und Blauweiss in den ersten Debatten nicht einmal in der Lage waren, die Natur der Rotation im Amt des Regierungschefs zu besprechen, zeigt tatsächlich, wie weit die Positionen der beiden Parteien vor diesem Wochenende noch voneinander entfernt lagen. Die Vergabe der Aufgabe zur Bildung einer Regierung an Netanyahu hat allen Beteiligten etwas Luft verschafft, ohne dass man sich in der konkreten Aufgabenlösung näher gekommen wäre. Sollten die kurzen Ruhetage während des Neujahrsfestes Rivlin nicht klüger und seine Gesprächspartner nicht flexibler machen, dann gäbe es ja noch die letzte Variante in der Form eines dritten Wahlgangs innert weniger Monate. Ausser Spesen nichts gewesen?
Foto:
Auftrag zur Regierungsbildung: Binyamin Netanyahu (l.) und Staatspräsident Reuven Rivlin
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. September 2019