Bildschirmfoto 2019 10 12 um 03.25.13Das Attentat von Halle mit zwei Toten und mehreren Verletzten geht auf einen deutschen Neonazi zurück. Er ging nach dem Vorbild des Attentäters von Christchurch vor und streamte seine Tat im Netz

Tobias Müller

Halle (Weltexpresso) Es war kurz nach Mittag, als bei der Polizei in Halle im deutschen Bundesland Sachsen- Anhalt ein Notruf einging. In einem Viertel im Norden der Altstadt waren Schüsse gefallen – in unmittelbarer Nähe der Synagoge der Stadt. Diese war zu diesem Zeitpunkt voll besetzt. 70 bis 80 Gemeindemitglieder hatten sich anlässlich von Jom Kippur zum Gottesdienst versammelt.

Zwei Menschen wurden getötet: eine Frau auf der Humboldstraße, die an der Synagoge vorbeiführt, und ein Mann in einem Kebab-Imbiss wenige Hundert Meter entfernt. Zwei weitere Opfer wurden mit Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. In einem Video, das auf deutschen Medien- Sites kursiert, berichtet ein anonymer Augenzeuge davon, einer der Täter sei mit Schrotflinte und Maschinengewehr bewaffnet gewesen und “gekleidet wie ein Polizist, in totaler Kampfausrüstung”. Er habe auch “mehrere Molotowcocktails oder Granaten über die Friedhofmauer geschossen”.

Ein Sprecher der Polizei Halle wollte diese Details gegenüber einem Reporter der Tageszeitung ´Die Welt´ nicht bestätigen. Inzwischen ist bekannt, dass es sich beim Täter um den  deutschen  Neonazi Stephan Balliet (27) handelt.

Der erschossene Mann, so der Sprecher, sei ein Kunde des Kebab-Ladens gewesen.  Drinnen in der Synagoge konnten die Gemeinde- Mitglieder unterdessen die Schüsse hören. Wie Max Privorozki, der Vorsitzende, dem ´Spiegel´ berichtete, versuchte ein Mann vergeblich, in die Synagoge einzudringen, was sich mit Hilfe der Überwachungskamera verfolgen ließ. “ Der Täter schoss mehrfach auf die Tür und warf auch Molotowcocktails, Böller oder Granaten um einzudringen. Aber die Tür blieb zu, Gott hat uns geschützt. Das Ganze dauerte vielleicht fünf bis zehn Minuten.”

Offenbar haben die funktionierenden Sicherheitsmassnahmen der Gemeinde verhindert, dass dieser Angriff zu weitaus mehr Todesopfern führt. Was diese Tatsache für die künftige Sicherung jüdischer Einrichtungen bedeutet, ist eine der beklemmenden Konsequenzen, die sich im Nebel, der den Anschlag von Halle umgibt, abzeichnet. In mehreren Städten der Umgebung wurden die Schutzvorkehrungen von Synagogen erhöht. Die Polizei in der Landeshauptstadt Magdeburg gab bekannt, in sämtlichen jüdischen Einrichtungen Sachsen- Anhalts habe man Anwesende aus Sicherheitsgründen aufgefordert, sich nach Hause zu begeben.  Am frühen Nachmittag gab die Polizei bekannt, dass sie einen Verdächtigen, der in einem Auto geflüchtet sei, festgenommen habe. Darüber hinaus jedoch ist die Informationslage auch am Abend noch schwammig.

Genaue Angaben gibt es weder zur Identität der Opfer noch zur genauen Anzahl der Täter. Ein Foto auf mehreren Nachrichten- Websites zeigt einen bewaffneten Mann in Kampfuniform samt Helm. In einem Video sieht man, wie einer der Täter aus einem Auto aussteigt und mit einer auffälligen Ruhe mehrere Schüsse abgibt. Zu Motiven allerdings gibt es bis dato keinerlei offizielle Angaben, ebensowenig wie über weitere Schüsse, die im 15 Kilometer von Halle entfernten Landsberg fielen.

Dass es sich um einen antisemitischen Anschlag handelt, der womöglich nicht zufällig an Jom Kippur stattfand, liegt jedoch auf der Hand. Dass, wie am Nachmittag bekannt wurde, die Generalbundesanaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen übernahm, spricht ebenfalls dafür. Wie der Evangelische Pressedienst berichtete, gefährden die Vorfälle die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Pressesprecherin Urban bestätigte gegenüber tachles online diese Einschätzung. Bezüglich eines rechtsextremistischen, antisemitischen Hintergrunds wollte sie sich allerdings nicht näher äußern. “Wir ermitteln auch in diese Richtung. Aber es ist zu früh dazu etwas zu sagen.”

Unterdessen haben die Gemeindemitglieder, die sich nach dem Angriff und dem Abbruch des Gottesdiensts noch lange in der Synagoge aufhielten, ihr Gotteshaus verlassen. “Wir wurden evakuiert und sind jetzt bei der Polizei”, so der Vorsitzende Max Privorozki gegenüber tachles online. Inzwischen bestätigten Berichte, wonach der Täter die Tat filmte und im Netz streamte. Noch am späten Mittwochabend entfachte sich eine breite Welle der Solidarität von Politikern, Mahnwachen und Trauerveranstaltungen von Berlin bis Halle.


Foto:
Die Synagoge mit jüdischem Friedhof von Halle ist am Jom Kippur Ziel eines Attentats geworden
© tachles

 Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 9. Oktober 2019