Was sich aus dem Mordanschlag von Halle und ähnlichen Attentaten derzeit folgern lässt
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In dem Stream, den der Attentäter von Halle quasi als Bekennerschreiben im Internet hinterließ, leugnet er den Holocaust.
Damit ist er nicht allein. Denn im Netz präsentiert sich vor aller Augen und Ohren eine gewaltbereite rechtsextremistische Szene, die auf Anonymität kaum Wert legt und offensichtlich keine Angst vor Strafverfolgung hat. Besonders bekannt sind Kreise um die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck, den mittlerweile verstorbenen Holocaust-Leugner Ernst Zündel oder den Verein „Gedächtnisstätte“ im Landkreis Sömmerda (Thüringen). Ganz zu schweigen von diversen Neonazi-Organisationen.
Teile der deutschen Justiz scheinen davon entweder noch nichts gehört oder aus den Dokumenten völlig falsche Schlüsse gezogen zu haben. Glaubt man denn wirklich, dass Leute, die unverhohlen die physische Vernichtung von Andersdenkenden proklamieren und aus eigener Machtvollkommenheit den politischen Mord legalisieren, lediglich geschmacklose Scherze posten? Jeder einzelne der bekannt gewordenen Mordfälle war prinzipiell vorhersehbar und er wäre vermeidbar gewesen. Dazu hätte es keines Überwachungsgeflechts bedurft, das die Grundrechte beschneidet. Sondern lediglich des juristischen Grundsatzes, dass Meinungsfreiheit nichts mit einer vermeintlichen Freiheit zur verbalen Diskriminierung (im Netz und anderswo) zu tun hat. Hätte man die Tausende von Verstößen gemäß § 130 StGB (Volksverhetzung) nicht lediglich als nichtöffentliche Provokation, sondern als Staatsgefährdung geahndet, wäre der blau-braune Sumpf längst ausgetrocknet.
Diese Unfähigkeit erinnert an den Umgang mit den Morden der Terrororganisation NSU, speziell durch die Verfassungsschutzbehörden. Der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, ist mittlerweile Fachanwalt in einer Kölner Kanzlei, die dafür bekannt ist, Mandantschaften von rechten Gruppen zu übernehmen. Es scheint zusammenzuwachsen, was zusammen gehört.
Ein Beispiel aus den Niederungen des Alltags: Im September 2017 sandte mir ein in der Rhein-Main-Region bekannter Rechtsradikaler einen Droh- und Hassbrief, einen von mittlerweile ca. 38 innerhalb drei Jahren. Unter dem handschriftlich eingefügten Titelt „Holocaust Auschwitz“ befindet sich die Kopie eines jener typischen Artikel, die man in den Publikationen der NS-Anhängerschaft findet. So über die angebliche tatsächliche Zahl der Opfer („nur“ 1,5 Millionen) und die vermeintlichen hauptsächlichen Gründe für deren Tod (Erschießungen, Epidemien wie Typhus). Der anonym auftretende, aber bekannte Verbreiter dieser Relativierungen und Leugnungen unterstrich seinen Zynismus noch, in dem er seinem Pamphlet die Bemerkung handschriftlich hinzufügte: »OLG FFM 2017. Die Negation des Holoc. in Privatbriefen ist keine strafbare Volksverhetzung, da es nicht Öffentlichkeit ist!«
Auf meinen schriftlichen Strafantrag vom 10. September 2017 an die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wegen des Verdachts der Volksverhetzung (Leugnung der NS-Gewaltverbrechen) habe ich bis heute keine Nachricht erhalten. Weder über die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens noch über die Einstellung eines solchen. In einem parallelen Verfahren, das in keinem Zusammenhang mit der erwähnten Holocaust-Leugnung stand, wurde der derselbe Täter wegen Beleidigung in zwei Fällen im Juni 2018 vom Amtsgericht Frankfurt zu einer Geldstrafe verurteilt.
Vor diesem Hintergrund bewerte ich sowohl den Mordanschlag in Halle als auch den an Regierungspräsident Walter Lübcke sowie andere Attentate aus ähnlichen Motiven als voraussehbare Folgen einer tiefgreifenden Strukturkrise des Rechtsstaats.
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Auszug aus dem im Beitrag erwähnten anonymen Droh- und Hassbrief
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