Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auf der Rolltreppe beim Abflug nach Frankfurt, als uns Ahmed, unser Reiseführer im Jemen, im Flughafen Sanaa von unten zuwinkte und wir hoch in die Freiheit fuhren: seine deutsche Ehefrau Kati, ihr kleiner Sohn und ich, die Reiseleiterin, sagte Kati: „Wenn wir oben sind, rufe ich laut „Arschloch“ zurück, woraufhin ich schnell ihre Hand nahm und sagte: „Das tust Du nicht, Du wahrst die Form und seine männliche Ehre.“ Denn allein darum geht es im Jemen. Allein darum ging es, 1990, und ich vermute, heute auch noch.
Eigenartig, die folgende wahre Geschichte hat es an menschlichen extremen Gefühlen und außerordentlicher Dramatik in sich – und doch verhält man sich in der Regel als Journalist auch so: privat ist privat, geschrieben wird über Öffentliches. Erst der Film SAUDI RUNAWAY erinnerte mich, daß ein Ereignis aus meinem privaten Leben eigentlich ein fesselndes Drehbuch für einen Film wäre – und noch ist!
Also von vorne. Denn es gab einen Anfang, als der uns aus dem Jemen – wohin wir deutsche Gruppen als Reiseleiter begleiteten - bekannte lokale Reiseführer Ahmed (links im Bild), der in der DDR studiert hatte, mit seiner Frau Kati aus der DDR ausreiste, denn das durften verheiratete DDR-Bürger, den Ehepartnern in deren Heimatländer folgen, und für einige Tage zu uns nach Frankfurt kam, um von hier aus gemeinsam in den Jemen zu fliegen.
Am Vorabend des Abflugs sagte Kati entschieden zu uns: „Ich flieg nicht mit! Ich bleibe hier“. Hier, das war die BRD, die alte Bundesrepublik. Heftig. Zu verstehen und wieder nicht. Denn das Leben für ihren jemenitischen Ehemann, der die Ankunft mit seiner Ehefrau in die jemenitische Hauptstadt Sanaa , wo die Familie lebte, angekündigt hatte, was zudem ein großes Familienfest werden sollte, wäre ohne ihr Dabeisein zu einer Schande mutiert, hätte ihn als Sohn und Ehemann lächerlich gemacht, er wäre in seiner männlichen Ehre persönlich beleidigt gewesen und von der Gesellschaft geächtet, verachtet. Außerdem das Kind. Außerdem ihr Versprechen. Außerdem nicht nur negative Gefühle.
Also Kriegsrat. Wir versprachen, Kati auf jeden Fall mit allen Mitteln aus dem Jemen zu holen, falls sie nach Deutschland zurückkehren wollte, aber daran gehindert würde. Heimlich fuhren wir mit ihr Sonntagabend zum Frankfurter Hauptbahnhof, machten dort eine Serie von Porträtaufnahmen, falls sie ihren Paß abgenommen bekäme und einen neuen braucht. Kurzum: Sie flog mit!
Über Briefe versicherten wir uns gegenseitig, wie es steht und erst einmal ging alles gut, weil seine Eltern und die zwei Schwestern sie liebevoll aufgenommen hatten, bei den baldigen Ehestreitigkeiten – Männerdominanz, Alkohol, Schlagen - auch unterstützten. Die Jahre vergingen und dann ging es nicht mehr. Was tun? Ganz einfach. Ganz klar. Die Begleitung der nächsten Reisegruppe als Reiseleiterin in den Jemen nutzen! Geplant, getan. Und zufällig, was sehr sinnvoll wurde, war es Anfang April 1990 eine fast reine Frauengruppe, mit nur zwei Männern. Ich nahm mehrere leere Koffer mit, die von einigen eingeweihten Frauen in ihre Hotels – damals gab es nur kleinere Hotels, wir waren also verteilt - mitgenommen wurden. Der Reiseveranstalter hatte ausdrücklich Ahmed als Reiseleiter angefordert, obwohl er bei den letzten Reisen durch aufbrausendes Verhalten, schlechte Laune und Alkohol Probleme gemacht hatte. Eine Reise durch den Jemen hieß damals: kleine Gruppen, verteilt auf Toyotas, mitten hinein in dieses wunderschöne Land mit den liebenswürdigsten, gastfreundlichen und herzenswarmen Menschen. Doch, das darf jetzt kein Reisebericht werden! Obwohl jedem das Herz schmerzt, wie dieses arme Land unter der Weltpolitik aufgerieben, fast vernichtet wurde.
Des Ehemanns Abwesenheit aus der Hauptstadt als Reiseführer war unabdingbar für den Plan, den ich mir ausgedacht hatte. Während wir fast zwei Wochen im Land herumfuhren, hatte Kati die mitgebrachten leeren Koffer mit ihren Besitztümern gefüllt – sie hatte ihre grundsolide deutsche Aussteuer per Schiff nachgeschickt bekommen – und die vollen Koffer in die Hotels der eingeweihten Reiseteilnehmerinnen gebracht und auf deren Namen hinterlegt. Auch, als die Reisegruppe mit Ahmed wieder nach Sanaa kam, fiel Ahmed nichts auf, denn erstens war er mit uns beschäftigt und zweitens schauen jemenitische Männer kaum in die Küchen- oder Wohnzimmerschränke. Und so brachte er selbst die deutsche Reisegruppe mit den Koffern seiner Frau zum Flughafen, wo die Gruppe mit vielen Koffern nach Frankfurt flog.
FORTSETZUNG FOLGT
Fotos:
© Redaktion
Fotos:
© Redaktion