Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Vorteil eines großen Kaufhauses besteht darin, nicht zwischen kleinen Läden hin- und herrennen zu müssen, indem viel unter einem Dach versammelt ist. Bei Karstadt auf der Zeil besteht die Weiße Ware nur noch in vereinzelten Stücken.
Lange gab es keine Ersatz-Körbchen für die Spülmaschine - die dort gekauft wurde. Inzwischen gibt es wieder ein einziges für alle. Der Endkundenfehler bei Karstadt war und ist: Zuviel im Lager, Verdünnung des Angebots; damit wird die anspruchsvolle Kundschaft vor den Kopf gestoßen, Zentralisierung; d.h. von weit her kommen die Anweisungen der Schreibtischhengste rein, die sich nicht um die unteren Ebenen scheren; kein lokales Sortiment, durch die Belegschaft wird ermittelt, die einzig durchblickt. Schreibwaren wurden in den 4. Stock verlegt (auf Ukas von gott-weiß-woher). Ware wird nicht nachbestellt, Nachschub ist im System blockiert, das Angebot ist lückenhaft (Recycling-Druckpapier war plötzlich weg). Pausenlos wurde viel versprochen, aber nichts gehalten. Der aufgelaufene Investitionsstau war riesig. Dadurch nimmt die Kundefrequenz ab. Die Misere ließ sich über 11 Jahre nachvollziehen (es begann mit: „Der Niedergang der Dynastie Schickedanz geht auf das Konto der ewigen Tochter Madeleine“, FR). Die politisch hervorgerufenen Billig-Löhner steuern mangels Rücklagen in die Billigläden.
Der Niedergang von Karstadt/Arcandor ist verbunden mit den Namen Middelhoff und Berggruen, der eine ein gierig lechzender Finanzfürst, der schlussendlich im Knast landete, der andere ein selbsternannter Philanthrop aus Selbst-Missverständnis.
Unter Metro lief die Warenhauskette noch gut, nach der Übernahme durch HBC Finanzinvestor, ließ dieser sich den Kauf vom schaffenden Unternehmen finanzieren. Um die Börsennotierung hochzutreiben wurden die Mieten nach oben geschraubt, die Personalkosten gedrückt und das Personal reduziert, Urlaubsgeld gestundet. Versprochene Investitionen blieben aus, es gab keine erkennbare Verkaufsstrategie, die angekündigte Modernisierung der Filialen kam nicht. Das substantielle Ausschlachten von Karstadt gleicht einer unendlichen Geschichte. Sie stark gekürzt darstellen zu müssen, frustriert.
Immobilien – das gefundene Fressen in bleierner Zeit
Middelhoff zog sich im Juli 2002 vom Firmenpatriarchat Bertelsmann AG zurück. Nach einem Zwischenspiel bei ‚Private Equity‘ Investcorp wurde er im Juni 2004 Aufsichtsratsvorsitzender bei KarstadtQuelle AG und 2005 Vorstandsvorsitzender. Die Umbenennung in Arcandor geht auf sein Betreiben zurück, ebenso die Aufteilung des operativen Geschäfts in die Bereiche Warenhaus, Versandhandel und Touristik. Die Touristik trieb den Umsatz in die Höhe, das Eigenkapital stieg. Das aber ging auf den Immobilienhebel zurück. Beobachter erkannten, dass die Sanierung und die Steigerung des Eigenkapitals nur durch den milliardenschweren Verkauf der Warenhausimmobilien an Whitehall/Goldman Sachs und ein Konsortium der Deutsche-Bank Immobilientochter BREEF zustande gekommen war. Hier liegt der Wurm begraben, denn nach dem Verkauf des Grundstücke- und Immobiliengoldes musste Karstadt wesentlich mehr Miete, monatlich 23 Mill. Euro überweisen. Zu weiteren Haltern des Konsortiums wurden Pirelli, Generali und Fonds von Oppenheim-Esch.
Ab 2006 ging der Besitz an den Häusern auf Highstreet-Immobilien über. Jährlich gestückte Mietzahlungen über die Laufzeit von 15 Jahren beliefen sich auf 280 Mill. Euro. Neckermann ging an Sun Capital Partners, also wiederum an eine Gesellschaft des Immobilien-Geschachers. Und Neckermann sollte an die Börse gebracht werden, was aber nicht zustande kam. Unter Middelhoff fiel der Aktienkurs, 2005 betrug er noch 10 Euro, über Februar 2009 mit 1,30 Euro fiel er November 2014 auf 5 Cent. Deswegen wurde Middelhoff kurz danach durch Thomas Cook Groups Karl-Gerhard Eick (früher Telekom) ersetzt. Im Juni beantragte Arcandor die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Damit einher ging das Ermittlungsverfahren in der Sache persönliche Beteiligung Middelhoffs am Oppenheim-Esch-Fond, der zu jener Zeit aufgrund üblen Geschäftsgebarens Aufsehen erregte. Ins aufmerkende Gespräch kamen auch von Middelhoff an Land gezogene Vertreter der finanzpolitisch neu hervorgetriebenen Politwelt wie Florian Lahnstein und SPD-Rechtaußen Wolfgang Clement, der die Leiharbeit radikal neu aufleben ließ - als Personal für Aufsichtsratspositionen von Germany1-BLM. Der Firmensitz wurde Sommer 2010 von Guernsey nach Luxemburg verlegt. Middelhoff war zunächst Chairman, dann Verwaltungsrat. Inzwischen verlor sich das Konglomerat mit anderen Beteiligten – u.a. auch AEG – in Scheingebilde wie Pulse und River Rock, genauer: in die Beratung von Investoren bei der Hedge-Fond-Auswahl und Portfolio-Strukturierungen, also in die Finanzkonstruktionsmaschine.
Nachdem Arcandor in die Insolvenz getrieben worden war begannen Anklagen gegen Middelhoff wegen Untreue und Steuerhinterziehung. Das Magazin Monitor berichtete. Der Insolvenzverwalter der Arcandor AG verklagte Middelhoff und andere frühere Führungskräfte auf Zahlung von 175 Millionen Euro. Denn Middelhoff hätte Vorgänger Wolfgang Urban nach seinem Start auf Schadensersatz verklagen müssen. Er habe sich quasi nur auf das Aufsitzen versteift. Arcandor sollte nur Mittel zum Zweck sein, solange die Chose funktioniert. Mehr aber zählte der Vorwurf gegen das Management, da es die Überschreibung des Warenhauses an einen Immobilienfond nicht verhindert habe. Anwaltschaft und Justiz waren der Sache auf die Schliche gekommen. Denn der Fond hatte, so der Arcandor-Insolvenzverwalter Hans-Gerd-Jauch, eine überhöhte Miete verlangt. Wobei der übliche wie spekulativ getriebene Börsenhype miteinzurechnen ist.
Es kam dicke
Am 25. April 2012 sprach das Landgericht Essen das Grundurteil: Middelhoff habe, wie auch drei weitere Vorstände, Pflichten verletzt. Für Middelhoff kam es ganz dicke, weswegen er zu dem gebrochenen Mann wurde, der er heute ist; er, der sich am 21.01.2020 in der Talk-Show 3 nach 9 diesbezüglich freimütig outete. Er fiel vor allem dadurch aus dem Rahmen, dass er einen äußerst aufwendigen Arbeits- und Lebensstil auf Unternehmenskosten pflegte. Er war am Ende völlig abgehoben. Beispielsweise ließ er sich mindestens 28 Mal für zusammen 80 000 Euro per Hubschrauber von seinem Wohnsitz in die Firma fliegen, um nicht wegen einer Baustelle am Kamener Kreuz im Stau stehen zu müssen. Den geschäftlich-gesellschaftlichen Schaden an ihm selbst wollte er dennoch mit einem Mahnbescheid aus November 2013 über 120 Mill. Euro ausgeglichen haben; jedoch, im November 2014 verurteilte ihn das Landgericht Essen zu drei Jahren Haft wegen Untreue und Steuerhinterziehung. Begründet war dies Urteil insonderheit mit einem Bonus in Millionenhöhe, ein Oxford-Sponsoring über 800 000 Euro, ohne Vorstandsbeschluss, sowie eine Festschrift für Middelhoffs Mentor Mark Wössner, die Arcandor in Rechnung gestellt wurde und private, von Arcandor bezahlte Reisen.
Noch im Gerichtssaal ereilte Middelhoff ein Haftbefehl und es wurde umgehend Untersuchungshaft über ihn verhängt. Seit Mai 2016 verbüßte er seine Freiheitsstrafe im offenen Vollzug. Bald auch arbeitete er bei der Bodelschwinghschen Stiftung Bethel für ungefähr 1800 Euro im Monat. Am 16 November 2017 wurde er vorzeitig entlassen. Weitergehende Informationen besagen, dass er neben seinem Grundgehalt von 1,2 Mill. Euro noch 2,2 Mill. Euro im Manager-Stil von Bonus, Tantieme und Sondervergütung mitnehmen wollte – obwohl dem Konzern 2008 ein Verlust von 746 Mill. Euro entstanden war. Am 11. Mai 2017 fand noch ein weiterer Prozess vor dem Essener Landgericht statt, der die anderen Finanzvorstände betraf. Das Verfahren gegen Middelhoff wegen Anstiftung zur Untreue verlief im Sand.
Foto:
© t-online.de