Redaktion tachles
Tel Aviv (Weltexpresso) - Professor David Engel, der als Wissenschaftler auf dem Gebiet Moderne Jüdische Geschichte tätig ist, hat seit über 30 Jahren das Wort «Antisemitismus» aus all seinen Publikationen verbannt – sogar wenn sie sich mit dem Holocaust beschäftigen.
Anstelle des bewussten Wortes besteht er darauf, dafür konzisere, den Umständen angepasstere Umschreibungen zu verwenden. So etwa «Regulierung, die Juden diskriminiert» für eine Beschränkung der Anzahl jüdischer Studierender, die an einer Universität zugelassen werden, oder «fantasiebasierte Vorstellung von Juden» für die Blutlüge. Damit steht er gegen die Auffassung vieler anderer Akademiker. Wieder andere hingegen beurteilen seine Überzeugung als mutig und bahnbrechend.
Engel geht davon aus, dass der für ihn willkürliche, vage und abgegriffene Begriff «Antisemitismus» für eine allzu breite Palette an historischen, sozialen und politischen Phänomenen aus verschiedensten Epochen und Orten verwendet werde, von denen die meisten nicht notwendigerweise miteinander verbunden seien. So akzeptiert er auch die wissenschaftliche Leitmeinung nicht, dass Antisemitismus eine lange, praktisch gerade zeitliche Linie vom Altertum bis heute aufweise. Auch andere Historiker teilen indessen mittlerweile die Meinung, dass die tradierten Annahmen dazu zu einem Punkt geführt hätten, an dem die Forschung durch eine ungesunde Stagnation geplagt werde.
Engel provoziert für sie einen willkommenen Diskurs, wenn er zu einer Neubetrachtung der Frage auffordert, ob etwa die christliche Feindlichkeit gegenüber Juden im Altertum und viele andere historische Geschehnisse tatsächlich eine Verbindung mit den Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte der Neuzeit und wiederum anderen Phänomenen haben. «Gibt es zwischen ihnen allen einen gemeinsamen Nenner?», fragt er, während er die Schlachtung einer der heiligsten Kühe des kontemporären Diskurses voranzutreiben versucht.
«Wenn ich von einer ‘antisemitischen’ Person höre, kann ich dann allein auf der Basis dieses Wortes einen Schluss ziehen, welche aus den Myriaden antisemitischer Eigenschaften sie genau zu Tage legt?» Nach eigenen Aussagen habe ihn auch das noch so vertiefte Studium von Literatur, die behaupte, zu erklären, was «Antisemitismus» sei, mit leeren Händen zurückgelassen.
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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 30. September sowie 2. Oktober 2020
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 30. September sowie 2. Oktober 2020